BIOTECHNOLOGIE: Gefährliche Lücke

Was nicht verboten ist, ist erlaubt: Theoretisch könnten WissenschaftlerInnen in Luxemburg Menschen klonen, denn ein entsprechendes Gesetz gibt es bislang nicht.

Dass ihre Veranstaltung so aktuell sein würde, haben die Verantwortlichen des 6. Nationalen Ethiktages in Luxemburg sicher nicht vorhergesehen: Eine knappe Woche ist es her, dass der Rechtsausschuss der Vereinten Nationen die Entscheidung über ein totales Klonverbot mit 80 zu 79 Stimmen um zwei Jahre vertagt hat. Und eine Woche zuvor hatte die deutsche Justizministerin Brigitte Zypries die Debatte um die Grenzen der Gentechnik neu entfacht. Zypries hatte in einem Vortrag in Berlin bezweifelt, dass Embryonen, die in einem Reagenzglas gezüchtet und nicht von einer Mutter ausgetragen werden, Menschen im eigentlichen Sinne sind und somit ein Recht auf die verfassungsrechtlich verbriefte Menschenwürde haben. Die Überlegungen der Politikerin hätten weit reichende Konsequenzen für die Biotechnologie: Die Forschung an Reagenzglas-Embryonen wäre demnach, trotz strengem deutschen Embryonenschutzgesetz, erlaubt.

In Luxemburg haben es forschungswillige Biotechnologen grundsätzlich noch leicht(er). Was viele wohl nicht wissen, bestätigte gestern der Präsident der hiesigen Nationalen Ethikkommission, Jean-Paul Harpes: „Bisher existiert kein Gesetz zur Embryonenforschung.“ Eine Gesetzeslücke mit Tragweite, denn im Umkehrschluss müsste praktisch alles, was nicht verboten ist, erlaubt sein. Neben der so genannten Stammzellenforschung (siehe Kasten) wäre damit sogar das „reproduktive“ Klonen, das genetische Kopieren eines Menschen, wie es etwa der italienische Arzt Severino Antinori oder die US-amerikanische Raelianer-Sekte vollzogen haben wollen, im Großherzogtum ganz legal.

Luxemburg – Schlaraffenland für Antinori & Co

Man habe sich erstmalig am vergangenen Dienstag mit gesetzlichen Überlegungen zur Biotechnologie befasst, räumte CSV-Politiker Patrick Santer bei dem den Ethiktag abschließenden Rundtischgespräch zum Thema „La recherche sur les embryons humains: quels espoirs, quelles inquiétudes?“ ein. Konkrete Entscheidungen seien aber nicht getroffen worden. Mit „Das geht nicht von heute auf morgen“ versuchte Santer zwar das Versäumnis zu erklären – aber Kenner wissen: Die Bioethik-Debatte läuft europaweit schon seit mehreren Jahren Jahren. So wurde das Zusatzprotokoll über das Verbot des Klonens von menschlichen Lebewesen des Europarats aus dem Jahr 1998 von 22 Ländern unterzeichnet, darunter auch Luxemburg (wenngleich bislang nicht ratifiziert).

Die hiesige Nationale Ethikkommission (CNE) ist da schon einen Schritt weiter. Wenn auch bisher weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit, kommen die Debatten allmählich ins Laufen. In ihrer Ablehnung gegenüber dem reproduktivem Klonen ist die Kommission sogar einhellig, während die Forschung mit erwachsenen Stammzellen von der großen Mehrheit eher als unbedenklich angesehen wird.

Anders sieht es jedoch bei der Bewertung der embryonalen Stammzellenforschung aus. „Es gibt bei uns keine Einmütigkeit in dieser Frage“, stellte CNE-Mitglied Paul Heuschling fest. In der Tat gingen die Meinungen der CNE-Repräsentanten beim Ethiktag weit auseinander. Facharzt Jules Molitor sprach sich in seinem Vortrag ausdrücklich gegen die Embryonenforschung aus und lehnte sie als „Versachlichung“ und „Kommerzialisierung schützenswerten Lebens“ ab. Molitor befürchtet wohl eine Art Dammbruch-Effekt: Würde die (kommerzielle) Züchtung künstlicher Embryonen für mögliche, aber noch nicht gesicherte Heilzwecke erst einmal etabliert, wäre auch das Produzieren von genetisch gesunden Retortenbabys als personifizierte Lebensretter genetisch Kranker im großen Stil denkbar. Der Arzt verwies dabei auf den realen Fall „Adam“. Adam ist ein genetisch getestetes Retortenbaby, das in den USA eigens als Knochenmarkspender für seine schwerkranke Schwester geboren wurde.

Selektion als Ausgangspunkt

Ganz anders hingegen argumentierte Paul Kremer. Der pensionierte Philosophielehrer plädierte für die „Freiheit“ und den Fortschritt der Forschung und befürwortet deshalb die embryonale Forschung. Auf den Einwand aus dem Publikum, dass Forschung allein kein Garant für den Fortschritt der Menschheit ist (erinnert sei an die Erfindung und Anwendung der Atombombe), antwortete Kremer recht lapidar: Man könne vor einer Forschung schlecht wissen, in welche Richtung („gut oder schlecht“) sie sich entwickeln wird.

Viel tiefer ging die ethische Kontroverse leider nicht. Kein Wunder, den rund 20 TeilnehmerInnen des Ethik-Tages wurde auch kaum Platz und Zeit zum Mit-Diskutieren eingeräumt. Dabei hatte Buchautor und Biologieprofessor Michel Morange von der Pariser „Ecole normale supérieure“ in einem sehr anschaulichen Vortrag deutlich gemacht, welche dringenden Fragen im Kontext von Gen- und Biotechnologie die Gesellschaft beantworten muss. Zum Beispiel: Welche Krankheiten sollen behandelt werden? Alzheimer, Parkinson und Herzinfarkte zählen zu den klassischen Alterskrankheiten, weil sie in der Regel ältere Menschen betreffen. Wenn ihnen allen Heilung versprochen und – vielleicht – eines Tages auch möglich gemacht wird, was bedeutet das: für die Wirtschaft? für die Sozialpolitik? für das Verständnis von Tod?

Auch erinnerte der französische Wissenschaftler daran, dass die Erfolge, die mit Stammzellentransfer erzeugt wurden, bislang gering ausgefallen sind. So wurden erst kürzlich erschreckende Ergebnisse eines Stammzellen-Experiments von Kölner Wissenschaftlern bekannt. 14 Tage nach der Einpflanzung embryonaler Stammzellen in die Gehirne von Mäusen waren diese vom Krebs zerfressen. Das heißt im Klartext: Beim gegenwärtigen Stand der Forschung ist nicht auszuschließen, dass menschliche Stammzellen, beim Menschen angewendet, Krebs auslösen können. Umso wichtiger, endlich juristische Grundlagen für jegliche Art von Stammzellen-Forschung zu schaffen.


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