STRASSENBAU: Nur ein paar Linien …

Als Reaktion auf Planungen im Bereich des öffentlichen Transports hat die Straßenbauverwaltung ihrerseits ein Strategiepapier erstellt. Nun ist das Dokument an die Öffentlichkeit gelangt und stößt auf allgemeine Ablehnung.

Ein Geschenk der ganz besonderen Art erhielt der Mouvement écologique kurz vor Weihnachten: Das geheime Strategiepapier „Route 2020“ der Straßenbauverwaltung wurde ihm zugespielt. In diesem Dokument, das nicht weniger als 31 Bauprojekte umfasst, sieht die Umweltorganisation eine Art Kriegserklärung an die Landesplanung. „Die Straßenbauverwaltung ignoriert den Anspruch einer kohärenten Regierungsplanung einfach und kocht weiterhin ihre eigene Suppe!“, so der Mouvement écologique in einer Presseerklärung.

„Das Dokument bestätigt, dass unsere Sorgen berechtigt waren“, stellt Jeannot Muller, Präsident der Bürgerinitiative Küntzig gegenüber der woxx fest. Vor zwei Jahren hatten sich die GegnerInnen von Straßenprojekten in Küntzig, Monnerich, Sanem und Kehlen sowie der Mouvement écologique zur Plattform „Fir Mobilitéit mat Zukunft“ zusammengeschlossen. Statt dass jede Ortschaft gegen „ihre“ Straße kämpft, machen sie gemeinsam Front gegen die Straßenbau-lastige Verkehrspolitik der Regierung. Immer wieder hatten sie vor Bauprojekten gewarnt, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit vorangetrieben würden. Jeannot Muller berichtet: „Es wurde uns gesagt, das seien nur Linien auf Landkarten. Leider sehen wir, dass diese Linien immer präziser werden.“

Anschluss

Unter den Route-2020-Projekten finden sich teilweise „alte Bekannte“ wie der By-pass Foetz-Monnerich und die West-Tangente, die an Kehlen vorbei verläuft. Auch die „Liaison de Sélange“ ist dabei, die die Collectrice du Sud mit dem belgischen Autobahnnetz verbinden soll und quer über das Gebiet der Gemeinde Küntzig verläuft. Dass im Strategiepapier zwei Trassenvarianten auftauchten, findet Jeannot Muller erschreckend: Würde dieses Projekt umgesetzt, so würde aus der Collectrice du Sud eine internationale Transitautobahn.

Die Planer der Straßenbauverwaltung stört diese Perspektive kaum. Sie sehen in der Verbindung die Möglichkeit, die Westumgehung der Stadt Luxemburg zu entlasten. Auch der Transitverkehr soll weiterhin möglichst durch Luxemburg fließen. Dabei hatte dieselbe Verwaltung in der Nordstraßen-Studie von Juli 2000 noch dafür plädiert, dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten: Man solle auf Saar-Lor-Lux-Ebene für neue, Luxemburg umfahrende Autobahnen eintreten. Mittlerweile scheint die Straßenbauverwaltung zur reinen Lehre der Umgehungs-, Entlastungs- und Verbindungsstraßen zurückgefunden zu haben. Wer für ein Projekt wie die Umgehung von Ulflingen die überzogene Bezeichnung „Collectrice du Nord“ wählt, hat noch viel vor …

Beeindruckend sind die im Strategiepapier enthaltenen Lösungsvorschläge, um den Nordwest Bereich der Stadt Luxemburg zu entlasten. Zum einen ist da die West-Tangente, die zwischen Mersch und Mamer verläuft und die Nordstraße direkt mit der Autobahn nach Belgien verbinden soll. Diese Straße sei nicht als „zweite Nordstraße“ gedacht, weil die A7 auf der falschen Seite gebaut werde, schreibt die Straßenbauverwaltung. Damit spielt sie auf die Probleme an, die durch die Ostvariante der Nordstraße entstehen: Auf Kirchberg trifft der Verkehr entlang der Nordachse auf jenen entlang der Ostachse, von dem ein Teil an der Stadt vorbei nach Westen will. Um den Ring um die Stadt Luxemburg zu schließen, legt die Verwaltung gleich zwei zusätzliche Projekte vor: Eine Stichstraße von Steinsel bis zum „Biirgerkräiz“ sowie eine direkte Verbindung zwischen Kirchbergplateau und „Biirgerkräiz“. Letztere soll vierspurig ausfallen, wobei zwei Spuren dem öffentlichen Transport (ÖT) vorbehalten wären. Die Trasse verläuft vom Kreisverkehr an den Ausstellungshallen am Rand des Plateaus entlang, überbrückt das Alzettetal auf einem 800 Meter langen Viadukt und führt dann übers Eecherfeld bis oberhalb von Bereldange. Ein gigantisches Projekt, das angesichts knapper Kassen wohl kaum Chancen hat, je umgesetzt zu werden.

Weniger wirklichkeitsfremd sind hingegen die Überlegungen, welche die Straßenbauverwaltung an den Anfang des Papiers gestellt hat: Angesichts von Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum wird der Autoverkehr weiter steigen. Geht man von einem eher optimistischen ÖT-Anteil von 25 Prozent im Jahr 2020 aus, so errechnen Verkehrsexperten einen Anstieg des motorisierten Individualverkehrs von etwa 30 Prozent. „Wir blenden das nicht einfach aus, wir sind nicht grundsätzlich gegen jede neue Straße“, erklärt Jeannot Muller. Doch der Bau von 31 neuen Straßen führe bestimmt nicht dazu, dass der ÖT-Anteil auf 25 Prozent steige. Im Gegenteil: „Die Stadt Luxemburg vom Durchgangsverkehr zu entlasten, wird es wieder attraktiver machen, mit dem Auto in die Stadt zu fahren, statt mit Zug und Bus“, befürchtet Jeannot Muller.

„Um das zukünftige Verkehrsaufkommen zu bewältigen, werden wir neue Straßen bauen müssen. Doch der Nachholbedarf im ÖT-Bereich ist viel größer“, lautet die Einschätzung von Maryse Scholtes, Leiterin der Landesplanungsabteilung im Innenministerium. Im Gespräch mit der woxx verweist sie auf Planungen im Rahmen des „Integrativen Verkehrs- und Landesentwicklungskonzeptes“ (IVL), das eine Reihe von Verkehrsprojekten untersucht und im Januar veröffentlicht werden soll. Maryse Scholtes erklärt, die bisher geplanten Maßnahmen zu Gunsten des öffentlichen Transports reichten nicht aus, so viel habe das IVL gezeigt. Ein substanzieller Anstieg des Individualverkehrs sei in die Berechnungen einbezogen worden. Dabei habe man zwei Varianten untersucht, die eine mit einem starken Anstieg der GrenzpendlerInnen, die andere mit einem Anstieg der in Luxemburg wohnenden Bevölkerung.

IVL, hilf!

„Ich habe mich gewundert“, kommentiert Maryse Scholtes etwas ungehalten das Route-2020-Dokument. Vorhaben wie die Schließung des Rings um die Stadt Luxemburg seien beim IVL kein Thema gewesen. Um 30 Prozent mehr Individualverkehr zu verkraften, müsse man bestimmt nicht alle 31 Projekte realisieren, auch wenn die Straßenbauverwaltung so andeute. „Das Ganze ist in meinen Augen ein bedauerlicher Ausrutscher“, fasst die Landesplanerin ihre Sicht der Dinge zusammen.

Das IVL wird am Ende das offiziell gültige Dokument sein, so die Überzeugung von Maryse Scholtes. Der Versuch der Straßenbauverwaltung, beide Studienpapiere auf eine Stufe zu stellen, scheint gescheitert. Denn auch die Bautenministerin Erna Hennicot bezeichnete Route 2020 als ein technisches Dokument, für das sie keine politische Verantwortung übernehme. Das Recht, dem Christkind eine Wunschliste zu unterbreiten, steht allen zu, auch der Straßenbauverwaltung.


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