EUTHANASIE: „Er ist hier, dazwischen“

Don DeLillos Theaterstück „Gott der Träume“ handelt von Sterbehilfe und von der Frage, was uns mit einem todkranken Menschen verbindet.

„Wie er stirbt. Damit werden wir für immer leben.“ In seinem neuen Theaterstück „Gott der Träume“ widmet sich der US-amerikanische Schriftsteller Don DeLillo der Frage, welcher Stellenwert dem Leben eines Wachkomapatienten zukommt, und wie würdiges Sterben in den Augen der Außenstehenden auszusehen hat. Denn oft sind sie es, die den Anblick des Komapatienten nicht mehr ertragen können oder wollen. Sterbehilfe ist also das Thema des jüngst erschienenen Dreiakters, dessen deutsche Übersetzung des amerikanischen Originaltitels „Love-Lies-Bleeding“ etwas esoterisch klingt. In kurzen, manchmal einsilbigen Dialogen führt das Stück an die Problematik heran, die DeLillo ausschließlich im engsten Familienkreis angesiedelt hat: Mittelpunkt der Auseinandersetzungen ist der siebzigjährige Landart-Künstler Alex, der nach zwei Schlaganfällen über Monate bewusstlos am Tropf hängt. In seinem abgelegenen Häuschen, mitten in der Natur, haben sich Lia, seine vierte und viel jüngere Frau, die ihn liebevoll pflegt, Toinette, seine zweite Frau, und Sean, der Sohn aus erster Ehe, versammelt. Die Gespräche drehen sich um die jeweilige Beziehung der Einzelnen zu Alex, der bewegungslos im Hintergrund sitzt. Jeder ist mit seinen Erinnerungen an diesen abwesenden Menschen beschäftigt – Lia voll bewundernder Liebe, Sean voller Enttäuschung über einen Vater, der sich nicht um ihn gekümmert hat, und Toinette voll Bitterkeit nach einer gescheiterten Ehe. Sie ringen darum, ob Alex‘ Leiden beendet werden soll oder ob er das Recht auf einen natürlichen Tod hat. Alex selbst kommt dabei nur in wenigen Rückblenden zu Wort. Letztlich ist jeder mit sich selbst beschäftigt, bis zu dem Moment, als der Maler durch Euthanasie getötet wird – erst dann wird er als Person präsent.

Don DeLillo fragt in seinem Buch nach den Gründen, die Familienangehörige dazu bewegen, Euthanasie bei einem nahe stehenden Komapatienten zu befürworten. Störend ist dabei vor allem, dass die einzelnen Charaktere zum Teil wie Schablonen für bestimmte Ansichten ins Feld geführt werden. Und dass man von Anfang an herauszuhören meint, mit welcher Haltung Don DeLillo sympathisiert – nämlich jener Lias, die sich gegen die Sterbehilfe ausspricht: „Es gibt eine andere Ebene, und dafür hat sich Alex entschieden. Sterben, wenn die Natur es will“, so Lia. Sie spricht sich für ein Bejahen auch der schwierigen Situationen im Leben aus: „Das heißt es doch, auf der Welt zu sein. Manchmal leiden wir.“ Und sie argumentiert gegen eine Welt, die den Körper verwaltet und verändert, und den Tod künstlich beschleunigt, egal ob der Betroffene dazu bereit ist oder nicht. „Alex ist nicht bereit“, lautet Lias Fazit, bevor sie letztlich dennoch ihre Zustimmung zur aktiven Sterbehilfe gibt.

Dadurch, dass die Argumente der beiden anderen Protagonisten Sean und Toinette, Befürworter der Sterbehilfe, eher schwach ausgebaut werden, gelingt es DeLillo nur bedingt, die Brisanz des Themas auszuloten. Ins Feld geführt wird von den Befürwortern der Sterbehilfe vor allem die eigene Belastung durch den Zustand des andern: „Wir müssen befreit werden … er sitzt hier und hält uns fest. Unser Leben geht nicht weiter“, so Sean. Und: „Wann wird Selbstaufopferung zum Fetisch?“, hinterfragt der Sohn die hingebungsvolle und in seinen Augen abnorme Art, mit der sein todkranker Vater gepflegt wird.

Wirkliche Dynamik erlangt das Theaterstück erst, als Sean, der enttäuschte Sohn, zur Tat schreitet und mittels einer aus dem Internet besorgten Gebrauchsanweisung den Vater mit Morphium langsam ins Jenseits befördert: „Sublingual verabreichtes Morphium ist eine wirksame Darreichungsform am Ende des Lebens, wenn der Patient nicht länger schlucken kann“, so lauten seine technischen Erläuterungen zum Prozedere. Mit dem Warten auf die ersten Anzeichen der Überdosierung kommen die Zweifel an der Richtigkeit der Tat. „Ich weiß, es stimmt nicht, was Lia sagt. Sie sagt, du könntest uns hören. Du könnest fühlen und denken … das glaube ich nicht“, räsoniert der Sohn in Gegenwart des sterbenden Vaters. Hier gewinnt das Stück an Komplexität: Denn letztlich wirft sein Tod die Betroffenen zurück auf die Erkenntnis, dass dadurch die eigenen Probleme, die unausgetragenen Konflikte mit dem Vater und Ehemann, nicht gelöst wurden: „Letzten Endes geht es nicht darum, was für ein Mann er war, sondern einfach darum, dass er nicht mehr da ist. Um diese krasse Tatsache geht es. Um das, was uns zu Kindern macht, die allein unter dem Himmel sind“, so die nüchterne Feststellung von Lia.

Was ist es, was uns mit einem Menschen verbindet, sowohl im Leben als auch beim Sterbeprozess. Dies scheint die Frage zu sein, der DeLillo nachgeht. Und die letztlich offen bleibt.


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