LIBYEN: Diskret eingreifen

Die EU und die USA debattieren über mögliche Interventionen in den Bürgerkrieg in Libyen. Auf dem Spiel stehen nicht zuletzt die Wirtschaftsbeziehungen vieler westlicher Staaten zu Libyen.

Sind nicht um die Ölpreise, sondern um die Menschen in Libyen besorgt: Protestierende in Glasgow.

Viele Beobachter hatten ihn nach dem Beginn der Revolte schon abgeschrieben, und seine grotesken Auftritte im libyschen Staatsfernsehen bestärkten den Eindruck, dass das Ende von Muammar al-Gaddafi nur noch eine Frage von Tagen sei. Doch mittlerweile zeigt sich, dass er zwar über weite Teile des Landes die Kontrolle verloren hat, offenbar aber noch über genügend militärische Ressourcen verfügt. Die Luftwaffe ist gut ausgerüstet und loyal gegenüber der Regierung. Den modernen Kampfjets und -hubschraubern aus russischer und französischer Produktion haben die Rebellen wenig entgegenzusetzen. Sie werden zwar von der Armee unterstützt, die zu großen Teilen zur Opposition übergelaufen ist. Doch die Soldaten verfügen kaum über schwere Waffen.

Gaddafi kann sich hingegen auf seine Eliteverbände verlassen. So soll die „Brigade 32“ von Khamis al-Gaddafi, dem jüngsten Sohn des Diktators, befehligt werden. Nach Einschätzung des US-Militärs ist es „die am besten ausgestattete und am fähigsten, das Regime zu schützen“, wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vergangene Woche aus einem von Wikileaks veröffentlichten Dokument der US-Botschaft in Tripolis zitierte.

Ausgerüstet wurde diese Brigade mit Waffen und Technik aus Europa. Die britische Filiale des US-Rüstungskonzerns General Dynamics lieferte demnach 2008 nicht nur Waffen und Kommunikationssysteme im Wert von 166 Millionen Dollar für die Einheit. Großbritannien unterzeichnete zudem ein Militärabkommen, das die Ausbildung libyscher Eliteverbände umfasst. Andere europäische Staaten haben Libyen in den vergangenen Jahren ebenfalls militärisch unterstützt. Vor vier Jahren einigten sich Libyen und Frankreich auf die Lieferung von 14 Kampfflugzeugen, 35 Hubschraubern, Panzerabwehrraketen sowie auf die Zusammenarbeit beim Training libyscher Einheiten. Auch die italienische Regierung arbeitete mit Gaddafi militärisch zusammen, ebenso wie Deutschland. Allein im Jahr 2009 genehmigte die deutsche Bundesregierung die Lieferung von Rüstungsgütern im Wert von 53,2 Millionen Euro an das nordafrikanische Land. In den vier Jahren zuvor sollen die Rüstungsexporte insgesamt 83,5 Millionen Euro betragen haben, darunter vorwiegend Kommunikationsgeräte, Polizeiausrüstung und Hubschrauber.

Da die Rebellen den Bürgerkrieg militärisch kaum für sich entscheiden können, befinden sich die westlichen Staaten in einem Dilemma. Die USA und Großbritannien wollen zwar eine militärische Intervention nicht ausschließen. Die Voraussetzung dafür wäre aber ein entsprechendes Mandat des UN-Sicherheitsrats, was angesichts der Haltung der chinesischen und russischen Regierung äußerst unwahrscheinlich ist. Auch Deutschland macht eine Beteiligung an möglichen militärischen Aktionen, wie etwa die Durchsetzung einer Flugverbotszone, von einem UN-Mandat abhängig. Ein Alleingang der Nato wie in den Neunzigerjahren während des Krieges in Jugoslawien scheint ausgeschlossen, da sich einige Mitglieder, allen voran die Türkei, strikt gegen eine Intervention ausgesprochen haben. Die Arabische Liga würde hingegen die Schaffung einer Flugverbotszone unterstützen, wie das französische Außenministerium am Wochenende gegenüber der Nachrichtenagentur AFP bestätigte.

Einem Bericht der „New York Times“ zufolge will die US-Regierung jedenfalls eine weitere militärische Intervention gegen ein muslimisch geprägtes Land vermeiden. Stattdessen bevorzugt man weniger offensichtliche Eingriffe.

So sollen die Rebellen amerikanische Waffen erhalten, wie der Vorsitzende des Außenausschusses des US-Senats, John Kerry, andeutete. „Ich nehme an, dass eine Menge Waffen in den nächsten Wochen ihren Weg auf die eine oder andere Weise dorthin finden werden“, sagte er. Zudem könnten Spezialkommandos in Libyen eingeschleust werden, um die Aufständischen zu unterstützen. Diese speziell ausgebildeten Einheiten könnten die Kampfkraft der Rebellen praktisch über Nacht verbessern, heißt es in der „New York Times“. Diese Taktik sei auch in Afghanistan zum Sturz der Taliban 2001 erfolgreich eingesetzt worden.

Fällt Libyen als Ölexporteur für längere Zeit aus, dürfte das die Preise auf neue Höchststände treiben.

Tatsächlich können es sich die Europäer und die USA auf Dauer kaum leisten, dem Bürgerkrieg tatenlos zuzusehen. Zu viele Interessen stehen auf dem Spiel. Vor allem die südeuropäischen EU-Staaten fürchten einen extremen Anstieg der Flüchtlingszahlen, wenn der Konflikt weiter eskaliert.

So sind nach UN-Angaben bereits mehr als 200.000 Menschen aus dem Land geflohen. Zehntausende sind nach Informationen der Internationalen Organisation für Migration (IOM) auf dem Weg zur Grenze. Insgesamt rechnet die Uno mit weiteren 400.000 Flüchtlingen in den kommenden Wochen. Angesichts dieser Zahl nehmen sich die rund 6.000 Flüchtlinge, die in den vergangenen Wochen auf die italienische Mittelmeerinsel Lampedusa gelangten, bescheiden aus. Dennoch reichte die verhältnismäßig kleine Zahl schon aus, um panische Reaktionen bei der italienischen Regierung hervorzurufen. Bislang sind vor allem die Nachbarländer Tunesien und Ägypten mit den Flüchtlingen konfrontiert. Fallen die libyschen Grenzkontrollen dauerhaft weg, ist es aber nur eine Frage der Zeit, bis sie ihren Weg über das Mittelmeer finden. Die Uno und die EU entsenden in dieser Woche Erkundungsteams nach Libyen, um sich ein genaues Bild von der humanitären Lage zu machen.

Hinzu kommt, dass Libyen wirtschaftlich zu wichtig ist, um es sich selbst zu überlassen. Beispielsweise ist das Land der drittwichtigste Erdöllieferant der Bundesrepublik und deckt etwa elf Prozent des deutschen Gesamtbedarfs. Nach Italien steht Deutschland als Abnehmer libyschen Öls zusammen mit Frankreich an zweiter Stelle. Fällt Libyen als Ölexporteur für längere Zeit aus, dürfte das die Preise auf neue Höchststände treiben. In den USA sind die Benzinpreise nach Angaben des US-Autoclubs AAA in den vergangenen vier Wochen um mehr als zwölf Prozent gestiegen. Andere Länder wie Spanien setzen wegen der steigenden Energiepreise bereits drastische Sparmaßnahmen durch. Auch in Luxemburg, das sein Erdöl hauptsächlich aus Russland bezieht, sind die Preise von der weiteren Entwicklung abhängig. „Erdöl ist ein internationales Produkt“, erinnerte vor kurzem der Präsident des Luxemburgischen Erdölverbandes, Jean-Paul Schmit: „Wenn die Unruhen bald ein Ende haben, kann sich der Markt schnell beruhigen. Wenn nicht, werden wir die Steigerungen zahlen.“

Wie wichtig die libyschen Rohstoffexporte insbesondere für Europa sind, zeigt die enorme Reputation, die Gaddafis Regime nach seinem Kurswechsel dort erfahren hat – nicht nur von Seiten Italiens und Großbritanniens, sondern auch von der deutschen Regierung. Nachdem sich Libyen zu Entschädigungszahlungen an die Opfer des Bombenanschlags auf die Westberliner Diskothek La Belle 1986 verpflichtet hatte, reiste der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder 2004 in das nordafrikanische Land. Während des Besuchs wurde eine Ölquelle des deutschen Unternehmens Wintershall eingeweiht. Die BASF-Tochterfirma ist bereits seit 1958 in Libyen aktiv und betreibt dort mehrere Ölfelder. Kanzler Schröder sagte damals, Libyen habe wegen seiner „enormen Ressourcen“ große Bedeutung für die deutsche Wirtschaft. Für eine so exportabhängige Wirtschaft wie die deutsche müsse es darum gehen, bei der Erschließung von Märkten in Libyen „nicht zu kurz zu kommen“. Schröder würdigte den Kurswechsel von Gaddafi. „Dieses Land hat sich politisch verändert. Das kann man nur begrüßen“, sagte er, „die Richtung stimmt.“

Diese Haltung wurde auch von der gegenwärtigen Bundesregierung übernommen. Im April 2009 eröffnete der damalige Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg in Tripolis das Deutsch-Libysche Wirtschaftsforum des Afrika-Vereins und lobte die Partnerschaft mit Libyen, das „unser größter Öllieferant außerhalb Europas“ sei. Die positive Einschätzung von Gaddafis Regime dürfte sich in Berlin mittlerweile geändert haben. Die Abhängigkeit von den libyschen Ölexporten aber bleibt nicht nur für Deutschland bestehen.

Anton Landgraf ist Publizist und lebt in Berlin.


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