DATENSCHUTZ: Etikettengeschwätz

Bislang wussten Supermärkte nur wenig über ihre KäuferInnen. Eine neue Kennzeichnungsmethode macht es möglich, dass sie bald sämtliche persönliche Daten wissen können. Sie schützt vor Ladendieben und gewährt Datendieben freie Hand.

Ein Überwachungsapparat à la George Orwell baut sich im Kaufhaus auf. Was die KonsumentInnen nicht wissen: Eine neue Technologie wird sich wohl schon bald in ihren Einkaufsbeuteln befinden. Die so genannte RFID (Radio Frequency Identification) soll die Strichcodes auf den Verpackungen ablösen. Sie ermöglicht, mittels Radiofrequenzen die Datensätze in Mikrochips von Etiketten kontaktlos und nahezu alle gleichzeitig zu lesen – im Zweifelsfall unbemerkt und aus Entfernungen bis zu zehn Metern.

Was für die einen das Wunderwerk der Technologie ist, ist für die anderen schlicht ein Skandal. Einerseits schützen die fernabfragbaren Mikrochips Unternehmen vor Diebstählen, sorgen für Einsparungen in der Logistik-Kette und optimieren die Verwaltung.

Aber dieser Gewinn kostet. Denn ein aktiver Funkchip greift unberechtigt in die Privatsphäre ein. „Das verträgt sich nicht mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung“, sagt der deutsche Datenschutzbeauftragte Peter Schaar gegenüber dem Internetmagazin Telepolis.

RFID ermöglicht eine eindeutige Identifikation aller Objekte weltweit. Ein Leichtes ist es daher beispielsweise mit Hilfe eines Chip im Schuh, eine Person auszuspionieren – im Supermarkt, aber auch auf politischen Versammlungen. Lesegeräte, eingewebt in Fußböden und in Regalen versteckt, machen es für VerbraucherInnen nahezu unmöglich zu erfahren, wann und wo sie „gescannt“ werden.

Der jüngste Sündenfall liegt beim Metro-Konzern. In seinem Future-Store in Deutschland, in dem er den Verkauf einzelner Produkte mit RFID-Etikett testet, verteilte er heimlich auch eine Rabattkarte mit Identifizierungschip an seine KundInnen.

Die neue Technik wird von DatenschützerInnen also zu Recht kritisiert – sogar mit Erfolg. Metro – Vorreiter beim Einsatz der „Schnüffelchips“ in Supermärkten – zog nach Protesten des Datenschutzvereins FoeBuD seine RFID-Kundenkarten per Rückrufaktion zurück. Dennoch treibt die Handelskette ebenso wie Tesco, Wal-Mart, Kraft Foods, Gillette, Procter & Gamble den Umstieg vom Barcode auf RFID weiter voran. Ebenfalls interessiert an der neuen Technik sind Büchereien.

Die Marktforschungsinstitute Soreon Research und LogicaCMG erwarten einen großflächigen Einsatz der Technik ab 2008. Laut einer Umfrage von Soreon Research wird Deutschland mit einem Volumen von 600 Millionen Euro dann Marktführer in Europa bei der neuen Etikettierung sein, gefolgt von Frankreich und Großbritannien mit jeweils knapp 500 Millionen Euro.

DatenschützerInnen lehnen die High-Tech-Lösung nicht per se ab. Ein sinnvoller Einsatz in ihren Augen: den Weg von Medikamenten und Gütern vom Herstellungs- bis zum Verkaufsort zurückzuverfolgen. Sie fordern vor allem Kontrollmöglichkeiten. Das akzeptieren mittlerweile auch die Unternehmen. „Für uns endet die Supply Chain im Regal. Danach muss der Konsument entscheiden können, ob er den Chip weiter benutzen will“, erklärt Volker Heidrun, Vertreter von Kraft Foods auf einer Tagung Anfang Mai beim Handelsblatt in Düsseldorf.

KritikerInnen erwarten noch mehr: Kennzeichnungspflicht für die Schnüffelchips. VerbraucherInnen müssten die Überwachungswerkzeuge nach dem Kauf im Laden deaktivieren können. Schlafende Schnüffelchips seien daher ebenso tabu wie Funkchips an Geldscheinen wie sie die Europäische Zentralbank plane. Das wäre das Ende der Anonymität aller KäuferInnen. AnwenderInnen sollen die Verantwortung für die Funkchips übernehmen und Abteilungen einrichten, bei den sich BürgerInnen bei Verletzung der Privatsphäre beschweren können.

Während DatenschützerInnen versuchen, Spielregeln für den Einsatz der neuen Technologie zu etablieren, finden sich immer neue Märkte für die Funkchips. Das Organisationskomitee der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 will den Zugang zu den Veranstaltungen in den deutschen WM-Stadien mittels RFID sichern und damit Ticketfälschungen erschweren. „Wir haben den Eindruck, dass hier nicht die Sicherheit im Mittelpunkt steht. Aus den Stadien sollen Einkaufszentren mit eingebautem Fußballplatz werden“, sagt Matthias Bettag vom Bund Aktiver Fußballfans. Der Grund für seine Skepsis: Beim Ticketkauf muss auch ein Fragebogen ausgefüllt werden, dessen Daten dann gespeichert werden und im Stadion theoretisch unbemerkt gelesen werden können. „Unternehmen verwenden die geraubten Daten, um mir noch effektiver mit immer weniger Gegenleistung und Vielfalt mein Geld aus der Tasche zu ziehen“, sagt der Cyberrights-Aktivist mit dem Künstlernamen padeluun, Mitgründer des „Big Brother Award“ in Deutschland, gegenüber Telepolis.

Im Gegensatz zum Strichcode lassen sich die Schnüffelchips auch unsichtbar in Tiere und Menschen einpflanzen. VeriChip, ein US-Unternehmen, bietet solche Implantate im menschlichen Körper an. In Lateinamerika haben sich laut „Consumer Against Supermarket Privacy Invasion and Numbering“ bereits rund 2.700 Personen bereitwillig einen Schnüffelchip einpflanzen lassen, um sich so vor Entführungen zu schützen.

„Viele sagen, ich habe doch nichts zu verbergen. Doch der Big Brother Container kann nicht das Sinnbild einer demokratischen Gesellschaft sein“, warnt Deutschlands Datenschutzbeauftragter Peter Schaar. Es ist ja nicht nur der Staat, der mit seinen Kontrollfunktionen hier einen Schritt zu weit gehen kann. Die Jagd nach Persönlichkeitsdaten kann ebenso schnell zu einem prosperierenden Geschäftsfeld werden.


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