BIN LADEN: Über den Tod hinaus

Die genauen Umstände der Tötung des Al-Qaida-Führers kommen nur langsam ans Licht. Umso stärker wächst das Unbehagen.

Selbst nach seinem Tod schafft es Bin Laden, die Front seiner Gegner aufzuweichen. Die pakistanische Regierung – ganz gleich, was man von ihr halten mag – geht sicher nicht gestärkt aus dieser Aktion hervor. Zunächst verkündete sie, eingeweiht gewesen zu sein. Später musste sie, auch aus innenpolitischen Gründen, ihre Rolle anders darstellen und distanzierte sich nun förmlich von einem Akt, den nicht nur sie als einen Eingriff in ihre Hoheitsrechte ansieht. Auch bei den westlichen Alliierten halten sich die Glücks-und Triumphgefühle in Grenzen oder werden – nach entsprechender Intervention der hiesigen christlichen Kirchenführer  – in „Erleichterung“ umgedeutet. Und bei den diplomatischen Diensten der im afghanischen Krieg engagierten Nationen dürfte diese Erleichterung sehr schnell auch einer gewissen Besorgnis Platz gemacht haben.

Im Falle Saddam Husseins konnte man die Verantwortung für die rasche und rechtlich bedenkliche Hinrichtung noch dem Zorn der über Jahrzehnte hinweg geschundenen Volksseele zuschreiben. Bei Bin Laden legte der amerikanische Präsident Wert darauf, deutlich zu machen, dass es seine persönliche Entscheidung war, den Zugriff auf Bin Laden zu diesem Zeitpunkt und mit den zu erwartenden Konsequenzen vornehmen zu lassen. Doch beide Tötungen haben eines gemeinsam: Sie lösten sofort eine Debatte aus, ob es nicht besser gewesen wäre, die Schurken vor ein internationales Tribunal zu stellen, statt sie kurzerhand liquidieren zu lassen.

Es geht dabei nicht so sehr darum, ob die Persönlichkeitsrechte der beiden politischen Führer verletzt wurden. Jeder Strafjurist kennt die Argumente, weshalb auch der übelste Mörder, Kinderschänder oder Vergewaltiger ein Anrecht auf ein den Rechtsnormen genügendes Verfahren hat. Dieser Grundsatz ist der Kern des Rechtsstaatsprinzips, das sich gerade die westlichen Regierungen auf die Fahne geschrieben haben.

Vielmehr beschäftigt viele der Verdacht, dass eine solche Liquidation vor allem zum Ziel hat, einen unbequemen Mitwisser aus dem Verkehr zu ziehen. Bei Hussein war dieser Verdacht sicherlich begründeter als jetzt bei Bin Laden. Saddam Hussein war über Jahrzehnte Alliierter auch des Westens und konnte sein Regime unter tatkräftiger Mithilfe jener ausbauen, die ihm später den Garaus machten. Aber auch ein lebender und eventuell vor ein Gericht gestellter Bin Laden hätte sicherlich so manches Unbequeme ans Licht gebracht. Oder es hätte, umgekehrt, ein Prozess seine Bedeutung möglicherweise relativiert und damit den großen Erfolg seiner Ergreifung etwas kleiner aussehen lassen.

Doch die eigentliche Sorge gilt dem Danach: Ist ein toter Bin Laden nicht letztlich schädlicher als ein lebender? Die amerikanische Regierung scheint ja sehr besorgt darum zu sein, jede Mythenbildung um Bin Laden zu verhindern. Die schnelle seemännische Bestattung und das Hin und Her um die Publikation von Bildern des Getöteten machen dies deutlich. Doch Photoshop und YouTube haben jeden Versuch, Bin Laden aus dem Bewusstsein der Menschen verschwinden zu lassen, zunichte gemacht. Schon kurze Zeit nach Bekanntwerden der Kommandoaktion der US Marines kursierten die unterschiedlichsten Bilder des toten Bin Laden im Netz. Und wer weiß, vielleicht hat dieser ja in seiner langen Zeit des Verstecktseins jede Menge an Videospots auf Vorrat produziert, die die Amerikaner noch auf Jahre hinaus verhöhnen werden?

Aber waren es nicht am Ende doch innenpolitische Gründe, die den Friedensnobelpreisträger Barack Obama der Tötungsaktion zustimmen ließen? Sofern nicht auch er irgendwann vorzeitig als „killed in action“ das Zeitliche segnet, werden wir das wohl spätestens bei der Veröffentlichung seiner Memoiren erfahren. Ob Oliver Stone dann noch lebt, um den mythenbefrachteten Film dazu zu drehen? Jedenfalls hat Bin Laden es geschafft, einen US-Präsidenten, der so gern den starken Mann spielen wollte, als Schwächling zu verhöhnen, und einen anderen, der gerne als Friedensstifter in die Geschichte eingegangen wäre, vollends zu entzaubern.


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