KRANKENKASSEN: Quadri-Party

Das erste Spiel des neuen Gesundheitsministers ging besser aus als das der Nationalelf am gleichen Tag. Die Quadripartite fand in bester Atmosphäre statt. Die Akteure hoffen, das Defizit der Krankenkassen im Einvernehmen auszugleichen.

Manche seiner Aussagen klingen recht vorsichtig, in anderen bringt er seine Meinung klar zum Ausdruck. Der neue Gesundheitsminister Mars di Bartolomeo bemüht sich, den schwierigen Dialog mit den Akteuren im Gesundheitswesen nicht abreißen zu lassen. Er flüchtet sich aber nicht in die Mischung aus nichtssagenden öffentlichen Erklärungen und Geheimverhandlungen, mit der sein Vorgänger Carlo Wagner allen Kredit verspielte. Mehr als auf Vorschriften und Kontrollen setze er darauf, dass alle Betroffenen ihre Verantwortung übernehmen, so der Minister nach der Quadripartite-Sitzung vom vergangenen Mittwoch.

Nach den Reaktionen im Anschluss an die Quadripartite zu urteilen, funktioniert die Methode „di Bartolomeo“ zumindest gegenüber den anderen GesprächsteilnehmerInnen. Alle lobten das gute Klima und den konstruktiven Charakter der Diskussionen – beste Voraussetzungen also im Vorfeld der Generalversammlung der Krankenkassenunion am 9. November, bei der Beschlüsse zum Defizit fällig sind. Die Quadripartite ist wieder zu dem geworden, was sie sein soll: eine Denkfabrik.

Stoff zum Ideenaustausch war vorhanden. Das Defizit der Krankenversicherung für den Haushalt 2005 wird auf 98 Millionen Euro geschätzt. Grundsätzlich gibt es drei Möglichkeiten, diesem Problem zu begegnen. Zum einen kann man die Kosten der Versicherungsleistungen einschränken, zum Beispiel durch eine erhöhte Eigenbeteiligung der PatientInnen. Zum anderen lassen sich die Einnahmen durch eine Beitragserhöhung oder andere Maßnahmen aufstocken. Schließlich kann versucht werden, über eine Reglementierung die Anzahl und die Kosten der medizinischen Eingriffe zu verringern. Die Eigenbeteiligung zu erhöhen, was in der Quadripartite zur Diskussion stand, wird von wirtschaftsliberalen PolitikerInnen und ExpertInnen favorisiert. Sie verweisen darauf, dass wer mehr draufzahlen muss, weniger zu Überkonsum von Leistungen neige. Für sozial Schwache falle eine geringe Erhöhung nicht ins Gewicht.

Als Sanierungsmaßnahme ist die Erhöhung der Eigenbeteiligung dennoch umstritten. Übertriebener Konsum von Medikamenten und Analysen sei nicht nur ein Problem der PatientInnen, sondern auch der ÄrztInnen, so die KritikerInnen. Und wenn sozial Schwache aus Kostengründen anstehende Arztbesuche oder Behandlungen unterließen, so könne das Folgekosten haben, die viel höher seien als das, was man kurzfristig eingespart habe.

Wer soll zahlen?

„Müssen die Beiträge paritätisch aufgebracht werden?“, hatte Daniel Mart, Generalsekretär der Ärztevereinigung AMMD auf einer Pressekonferenz gefragt. In der Tat haben sich die ArbeitgeberInnen in den vergangenen Jahren wiederholt gegen Beitragserhöhungen ausgesprochen, weil diese die Wettbewerbsfähigkeit der luxemburgischen Unternehmen weiter schwächen. Wird das 98-Millionen-Defizit allein über Beitragserhöhungen finanziert, bedeutet dies einen Anstieg um 0,25 Prozentpunkte sowohl für ArbeitgeberInnen wie für ArbeitnehmerInnen. Werden hingegen die Unternehmen von der Erhöhung befreit, so wird das reale Einkommen der Lohnabhängigen um den doppelten Betrag belastet. Mit anderen Worten: Ärztevereinigung und Unternehmerverband fordern die ArbeitnehmerInnen auf, ein Stückchen der aktuellen Indextranche auf dem Altar der Wettbewerbsfähigkeit zu opfern.

Dass die Regierung dieser Forderung nachgibt, ist unwahrscheinlich. Zum einen können die Gewerkschaften darauf verweisen, dass in den Zeiten, als die Gewinne schneller stiegen als die Löhne, die Beitragserhöhungen ebenfalls paritätisch getragen wurden. Zum anderen ist es wenig glaubwürdig, wenn die Wirtschaft behauptet, 0,25 Prozentpunkte mehr Sozialbeiträge gefährdeten den Standort Luxemburg. Vielleicht haben die ArbeitgeberInnen zu niedrig gepokert, als sie nur die Beitragserhöhungen ins Spiel brachten. In Deutschland zum Beispiel sollen die Beitragszahlungen der Unternehmen drastisch gesenkt werden, um den Standort zu sichern.

Beyond Bismarck

Ziel der deutschen Reformen ist es aber auch, die Finanzierung der Sozialversicherungen von der Lohnmasse zu entkoppeln. Im klassischen „Bismarckschen“ Modell zahlen ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen zu gleichen Teilen X Prozent des Lohns ein. In Luxemburg kommt der Staat seit 1994 für über ein Drittel der Beitragszahlungen auf. AMMD-Generalsekretär Mart, der das alte Modell für überholt hält, möchte diese Entkopplung weiter treiben. Die Finanzierung auf die ArbeitnehmerInnen und den Staat umzulegen, ist allerdings nicht die einzige Möglichkeit. Déi Lénk fordert beispielsweise, die derzeitige Beitragsdecke abzuschaffen. Wenn auch auf Einkommen, das über dem Fünffachen des Mindestlohnes liegt, Beiträge gezahlt würden, könnten die Krankenkassen mehr als 300 Millionen Euro im Jahr zusätzlich einnehmen.

Ebenfalls zur Debatte steht eine höhere Besteuerung der Unternehmensgewinne. Dies würde dem Effekt, dass die Sozialbeiträge arbeitsintensive Unternehmen besonders belasten, entgegensteuern. Auch zusätzliche Abgaben auf Energie, Tabak oder alkoholischen Getränken könnten zur Sanierung der Krankenversicherung beitragen. Mars di Bartolomeo hat Alkohol und Tabak, die einen Teil der Ausgaben verursachen, ins Visier genommen. Spannend wird sein, wie viele seiner MinisterkollegInnen sich in dieser Frage dem Druck der Tankstellen- und Getränkeindustrie-Lobbys entziehen können.

Doch der Minister hat angekündigt, dass ein Teil des Defizits auch über eine Effizienzsteigerung aufgefangen werden soll. Wenn sich die MedizinerInnen auf das beschränken, was „nützlich und notwendig“ sei, lässt sich mit weniger Geld eine ebenso gute Versorgung gewährleisten, sagt Mars di Bartolomeo.

Bemerkenswert ist, dass diese Herangehensweise auch von den ÄrztInnen mitgetragen wird. Daniel Mart nennt das Beispiel eines Patienten, der wegen Rückenschmerzen zum dritten Mal in einen IRM-Scanner gelegt werde. „Statt einer Magnetresonanz braucht der Mann mehr Sport und eine gesündere Lebensweise.“ Daniel Mart fordert Richtlinien für die Behandlung von typischen Krankheiten. Diese sollen es den Ärzten ermöglichen, ihre Eingriffe gegenüber den Kassen, aber auch gegenüber den Patienten zu rechtfertigen. Auch die Gewerkschaften, die hinter jeder Regulierung eine Einschränkung der Leistungen wittern, haben bei der Quadripartite eingewilligt, ein wissenschaftliches Aufsichtsgremium zu schaffen.

Dass die ÄrztInnen sich hierauf einlassen, hat wohl mehrere Gründe. Zum einen sind sie nicht direkt betroffen: Die meisten Regeln dürften das Verschreiben von Medikamenten, Heilgymnastik und Laboranalysen betreffen. Zum anderen sind sie, wie es InsiderInnen formulieren „bedient“ – die Anhebung der Arzttarife unter Minister Carlo Wagner übt noch immer eine besänftigende Wirkung auf den Berufsstand aus. Der neue Gesundheitsminister Mars di Bartolomeo will sich aber nicht auf das Verwalten eines Defizits beschränken. In ersten Interviews hat er bereits angekündigt, punktuell auch Leistungen zu verbessern. Insbesondere in der Zahnmedizin seien die Rückzahlungen durch die Kassen unzureichend.

Gebisse günstiger

Robert Kieffer, Präsident der Krankenkassenunion, bestätigt dies gegenüber der woxx: „Seit zehn Jahren haben die Fachärzte keine Veränderung der Nomenklatur der Eingriffe vorgeschlagen. Diese entspricht sicherlich nicht der heutigen Praxis.“ Die Krankenkassenunion habe einen Experten mit der Erstellung einer neuen Nomenklatur beauftragt, die aber erst noch mit den ÄrztInnen abgetimmt werden muss, so Robert Kieffer. Die Sozialpartner seien sich bewusst, dass dies Mehrausgaben nach sich zieht. Doch niemand habe sich dieser Verbesserung widersetzt. Man könne ja vielleicht bei anderen, wenig sinnvollen Eingriffen die Rückzahlungen senken, schlägt Robet Kieffer vor.

Ist die Einführung neuer Leistungen ein Hinweis darauf, dass die Finazierungsprobleme der Krankenkassen kurz vor einer dauerhaften Lösung stehen? Kaum, denn die angedachten Maßnahmen sind keine Zaubermittel. Welche auch immer umgesetzt werden, jede einzelne bedeutet für einen oder mehrere Akteure ein schmerzhaftes Zugeständnis.

Außerdem mögen die Einsparungen aufgrund der „Nützlich und notwendig“-Verschreibepraxis zwar erheblich sein, sie werden aber nur einmal zu Buche schlagen. Auf Dauer gilt in Luxemburg wie anderswo, dass die Ausgaben für die Gesundheitsversorgung schneller steigen als die Löhne. Es wird also auch künftig immer wieder Finanzierungslücken geben. Und Quadripartiten, die darüber debattieren, wer in welchem Maße zur Kasse gebeten wird: ArbeitnehmerInnen oder ArbeitgeberInnen, Versicherte oder Staat.


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