MALEREI: Nachlassende Wut

Vor vier Jahren verunglückte der polnische Formel-1-Rennfahrer Robert Kubica während des Großen Preises von Kanada schwer. Die Bilder seines Unfalls, bei dem sein Fahrzeug fast vollständig zerstört worden war, gingen um die Welt. Die Nachrichten waren um so spektakulärer, da Kubica bereits vierundzwanzig Stunden später mit Prellungen und einer leichten Gehirnerschütterung wieder aus dem Krankenhaus entlassen werden konnte. Dem rollenden Rennzirkus war ein neuer, dem Tode entronnener Held geboren.

Der Luxemburger Filip Markiewicz hat sich eine besonders krasse Momentaufnahme dieses Unfalls zur Vorlage genommen und mit Bleistift auf Papier gekonnt umgesetzt. Der Bolide rutscht gerade von seinem ersten Einschlag zur nächsten Betonmauer. Erde und Dreck spritzen auf, Räder und abgerissene Karosserieteile fliegen durch die Luft. Zweifellos birgt das Motiv eine gewisse, den Betrachter wegen seiner Brutalität und der Nähe zum Tod, beunruhigende Ästhetik. Markiewicz gab der Zeichnung den Titel  „Kubica Habeas Corpus“. Mit den lateinischen Worten wurde im mittelalterlichen England ein willkürlicher Haftbefehl eingeleitet. Später wurden sie zum Synonym für ein Gesetz, das solch willkürlichen Akten der Staatsgewalt Einhalt gebieten sollte.

In der Galerie Beaumontpublic in Luxemburg werden derzeit Arbeiten des umtriebigen Künstlers präsentiert. Der 31jährige tanzt auf vielen Hochzeiten – Musik, Performance oder Malerei, Installation, Video oder Plastik – und so gehört die derzeitige Ausstellung mit dem Titel „Sacrifice Bank“ zu seinen eher schlichteren, beschränkt auf aktuelle Bleistiftzeichnungen.

Der Eindruck der Schlichtheit wird noch dadurch verstärkt, dass die Bilder rahmenlos direkt an die Wand gepinnt sind. Gerade so, als solle der Betrachter durch nichts von den Motiven oder vielmehr den dahinter stehenden Aussagen abgelenkt werden. Allerdings ist es nicht Markiewiczs Art den Betrachter über diese Aussagen im Unklaren zu lassen oder ihm gar breiten Spielraum für Interpretationen einzuräumen.

Vielleicht hängt deshalb die Zeichnung von Kubicas Unfall etwas im Abseits, aber praktisch jede andere von Markiewiczs Arbeiten ist dem Motiv entsprechend mit einem deutlichen Motto versehen, und trotz oder gerade wegen des philosophischen Gehalts, den diese Aphorismen haben, bleibt der Beigeschmack von Parolen oder – noch schlimmer – von Einträgen in ein Poesiealbum.

In seiner Serie mit Zeichnungen von geklonten bekannten Persönlichkeiten mag dies bis zu einem gewissen Grad beabsichtigt sein, sind diese doch arrangiert wie Familienfotos aus dem 19. Jahrhundert. So entstehen Anachronismen, die dem Betrachter durchaus eine veränderte Perspektive auf die heutige Zeit ermöglichen.

Leichter kaschieren lassen sich die Sinnsprüche auf den von Markiewicz geschaffenen überdimensionalen Banknoten fiktiver Währungen. Angelehnt an Dollar und Pesos nutzt er sie für Collagen, die praktisch jeden Missstand in unserer Welt anprangern, wobei gerade seine zum Teil fast tagesaktuellen Bezüge besonders beeindrucken.

Dabei scheint Markiewicz erfüllt von tiefer Abscheu und einer kaum zu beherrschenden Wut und wirkt in seinem Engagement und der damit verbundenen Hoffnungslosigkeit wie ein pubertierender Jugendlicher, der mit dem Kopf durch die Wand will. Doch im Grunde ist es gerade das Verblassen dieser Wut im Laufe des Alterns, das sozialer Ungerechtigkeit und nachlassender Rechtsstaatlichkeit Tor und Tür öffnet.

Mit seinen Zeichnungen legt Markiewicz plakativ den Finger in aktuelle gesellschaftliche Wunden, will provozieren und aufrütteln. Vielleicht etwas zu sehr wie der Oberlehrer mit dem Rohrstock, aber nichtsdestotrotz sehenswert.

In der Galerie Beaumontpublic, bis zum 30. Juli.


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