TERRORISMUS: Auf die Folter gespannt

Mohamed K. soll Anschläge gegen EU-Institutionen geplant haben. Doch über den mutmaßlichen gefährlichen Terroristen schweigen sich Regierung und Behörden weiter aus.

Kameramänner klingeln an der Haustür. Eine Frau öffnet ihnen. Nur ihre Augen sind zu sehen, den Rest des Gesichtes verbirgt sie hinter einem schwarzen Schleier. Die Szene, die ein deutsches Fernsehteam aufnahm, entstand nicht in einer Fundamentalistenhochburg irgendwo im Ausland. Gefilmt wurde die Frau in einem kleinen Dorf nahe der luxemburgischen Hauptstadt.

Mit diesem Bild begann ein Bericht des Nachrichtenmagazins „Panorama“, den das Erste Deutsche Fernsehen am Donnerstag vergangene Woche ausstrahlte. Die brisante Enthüllung: Luxemburg ist ins Visier von Terroristen geraten. Islamisten planten vermutlich Anschläge auf EU-Institutionen, so Panorama. Die luxemburgische Staatsanwaltschaft ermittele gegen eine Gruppe von Islamisten wegen des Verdachts der „Bildung einer kriminellen Vereinigung“. Deren Kopf sei der Tunesier Mohamed Kalifi, der zum harten Kern der „Association des musulmans du Luxembourg“ (AML) gehört habe. Bei ihm und anderen Terrorverdächtigen, insgesamt 18 Personen, hätten Fahnder bei mehreren Razzien im vergangenen Jahr verdächtiges Propagandamaterial und Aufrufe zum „heiligen Krieg gegen die Ungläubigen“ sichergestellt. Zudem seien eine Anleitung zum Bombenbau, mehrere gefälschte Pässe und ein Videofilm mit brisanten Aufnahmen von Gebäuden der Europäischen Union gefunden worden. Ausspähmaterial, meint das Magazin und stützt sich dabei auf Aussagen des leitenden Oberstaatsanwaltes Robert Biever.

Doch ganz so eindeutig, wie es der TV-Beitrag suggeriert, ist die luxemburgische Terrorstory nicht. Es bleiben wichtige Fragen offen.

So hat die Polizei den Videofilm nicht, wie von verschiedenen Medien fälschlicherweise behauptet, während der Hausdurchsuchungen im März 2003 gefunden, sondern laut Staatsanwaltschaft bei einer anderen Razzia im Oktober 2001. „Nous ne disposions d’aucune photo ni de tournage des institutions européennes“, wehrt sich die mit den Verdächtigen in Verbindung gebrachte AML gegen die Terrorvorwürfe. Auch sei Mohamed Kalifi nie Mitglied der Organisation gewesen.

Der Name taucht im Vereinsregister tatsächlich nicht auf, auch nicht sein richtiger Name: Taoufik Ben Mohamed Salmi. Auf die Frage der woxx, ob das erwähnte Video bei Kalifi gefunden wurde und ihm gehöre, sagte Staatsanwalt Robert Biever wörtlich: „Das hat niemand jemals behauptet.“ Der Film sei bei jemanden gefunden worden, „der dieser Gesinnung ist“. Der Besitzer vertritt demnach radikal-islamistische Positionen – mehr will Biever nicht verraten.

Ähnlich geheimnisvoll gab sich Jean-Claude Juncker bei seinem Pressebriefing am vergangenen Freitag. In Luxemburg hielten sich Personen auf, „die uns nicht extrem freundlich gesonnen sind und auf dem Sprung waren, im terroristischen Bereich aktiv zu werden“, so der Premierminister. Er sieht sich durch die Panorama-Recherchen, die für ihn „nichts Neues“ erbracht hätten, in seiner Haltung vom Vorjahr bestärkt. Im April 2003 waren auf Junckers Anweisung der Tunesier Faouzi Châaban sowie sein Landsmann Taoufik Salmi, dessen bosnische Frau und deren drei Kinder nach Tunis ausgewiesen worden – obwohl Salmi vor Gericht erklärt hatte, ihm drohe in Tunesien die Folter. Eine Abschiebung verstoße deshalb gegen internationales Recht, argumentierten seine Anwälte in Luxemburg.

Es sei gut, dass diese Person nicht mehr im Land sei, hatte hingegen der Premier gemeint. Die schnelle Ausweisung rechtfertigten er und Justizminister Luc Frieden mit der Gefährlichkeit Kalifis. Der Mann sei Mitglied der verbotenen islamistischen Al-Nahda-Bewegung in Tunesien und werde dort von der Polizei gesucht, hieß es damals. Genaueres über die Hintergründe des Tunesiers gab Juncker, der zugleich oberster Chef des Geheimdienstes ist, allerdings nicht preis. Er berief sich auf das Staatsgeheimnis.

Wer ist Mohamed K.?

Wer ist also dieser Taoufik Salmi alias Mohamed Kalifi – und was sind die Beweise für seine Gefährlichkeit? Die bekannt gewordenen Fakten bisher: Salmi kam im Jahr 2000 über Umwegen in Syrien, Bosnien und der Türkei mit einem gefälschten Pass nach Luxemburg und beantragte hier unter falscher Identität Asyl. Die Anerkennung als politischer Flüchtling wurde ihm im September 2000 vom Justizminister verweigert. Salmi habe seine politische Verfolgung nicht glaubhaft machen können, erklärt Guy Schleder vom Justizministerium, der den Fall betreut hat. Das Verwaltungsgericht lehnte einen ersten Rekurs Salmis ein Jahr später ab, und auch ein zweiter Anlauf blieb erfolglos. Es bestehe für den Tunesier keine Gefahr für Leib und Leben, lautete die Urteilsbegründung. Den Einwand Salmis, er habe 1987 Geld für islamistische Familien gesammelt und werde deshalb von tunesischen Behörden verfolgt, ließen die Richter nicht gelten.

Doch diese mutmaßliche Verbindung zu Islamisten wurde dem 37-jährigen Muslim kurz darauf in Tunis offenbar zum Verhängnis. Dort angekommen, karrten die tunesischen Behörden Salmis Frau und Kinder kurzerhand in ein Hotel. Salmi wurde von der Polizei inhaftiert und im Gefängnis wochenlang gefoltert. Die Behörden werfen ihm vor, Mitglied der verbotenen islamistischen Al-Nahda-Partei zu sein und in Verbindung mit ausländischen Terrorgruppen zu stehen. Laut Anwältin Radhia Nasraoui und der tunesischen Liga für Menschenrechte hängten ihn Wärter mit Handschellen gefesselt an die Decke, schlugen ihn am ganzen Körper und im Genitalbereich. Nasraoui will die Verletzungen mit eigenen Augen gesehen haben.

Als die grausamen Details der Folter bekannt wurden, schaltete sich auch Luxemburgs Menschenrechtskommission ein. Sie verurteilte in einem Bericht scharf das Vorgehen der eigenen Regierung – und tut das heute wieder. „Man darf niemanden ausweisen, wenn ihm in dem Land, in das er ausgewiesen wird, Folter droht – ganz gleich, was man ihm vorwirft“, sagte der Präsident der Menschenrechtskommission, Nic Klecker, gegenüber der woxx. Verwundert fügt er hinzu: „Warum hat uns der Premier die Fakten über den Fall nicht früher wissen lassen?“ Und: Wenn er so gefährlich ist, warum wurde der Tunesier überhaupt erst abgeschoben und nicht vernommen, fragt sich die Pariser Menschenrechtsaktivistin Luiza Toscane, die den Fall ebenfalls gut kennt.

Vielleicht, weil die Fakten für einen begründeten Terrorverdacht nach wie vor recht dürftig sind. So sind die anderen in Luxemburg lebenden Verdächtigten aus dem Umfeld der AML noch immer auf freiem Fuß. Im Rahmen der Razzien vom März 2003 wurden sie zwar vorübergehend festgenommen und auf die Polizeiwache gebracht – das war aber auch schon alles. „Sie wurden dort erkennungsdienstlich behandelt“, sagt Biever, und auf Nachfrage: „Nein, verhört wurden sie nicht.“ Angesichts Bievers und Junckers Warnungen, Kalifi und seine Komplizen seien gefährliche Terroristen, muss diese Zurückhaltung von Polizei und Staatsanwaltschaft verwundern. Auf der Grundlage derzeitiger Informationen scheint sich der Terrorverdacht der luxemburgischen Behörden also in erster Linie auf Taoufik Salmi alias Mohamed Kalifi zu konzentrieren.

Eine Mitgliedschaft bei Al-Nahda allein wäre nach Ansicht von Human Rights Watch (HRW) allerdings noch kein Grund, terroristische Aktivitäten zu vermuten. „Al-Nahda ist keine gewalttätige Bewegung“, so Erich Goldstein, HRW-Zuständiger für Nordafrika. Die 1999 verbotene islamistische Partei ist nach Aussagen des Menschenrechtsexperten bisher nicht mit Gewalt aufgefallen.

Weitere Verdächtige auf freiem Fuß

Radhia Nasraoui, die Salmi mehrmals in der inzwischen über anderthalb Jahre andauernden Untersuchungshaft besucht hat, ist sich indes sicher: „Mein Mandant ist kein Terrorist.“ Sie hält die jüngsten Vorwürfe für ein nachgeschobenes Manöver der luxemburgischen Regierung – als konstruierte Rechtfertigung der unrechtmäßigen Abschiebung vergangenes Jahr. Auch das Argument der Mitgliedschaft Salmis bei Al-Nahda glaubt sie nicht. Der Führer der Partei, Hamadi Jebali, habe sich persönlich geweigert, Salmi in der Partei aufzunehmen. Wenn er Geld „für bedürftige Familien“ gesammelt habe, dann sei dies „völlig normal“, so die Anwältin. Bis heute weiß Nasraoui nicht, warum Salmi angeklagt werden soll und was für ausländische Kontakte zu welchen Gruppen ihm vorgeworfen werden. Auch die beiden Anwälte in Luxemburg, Edmond Dauphin und Mourad Sepki, die erst aus dem Fernsehen vom Terrorverdacht gegen ihren Mandanten erfuhren, rätseln, welche Beweise gegen Salmi persönlich vorliegen. „Wir haben nie etwas gesehen, das auf terroristische Aktivitäten zurück schließen lässt“, sagt Dauphin. Möglich, dass Premierminister Jean-Claude Juncker solches Beweismaterial kennt. Aber auch anderthalb Jahre nach der Ausweisung verrät er nichts.


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