LEIHARBEIT: Prekäre Zeiten

Die Nachfrage nach Leiharbeitern steigt auch in Luxemburg weiter an. Zwar ist die Zeitarbeit hierzulande durch Mindestlohn und Kollektivverträge einigermaßen abgesichert, dennoch spiegelt sich darin die europaweite Tendenz zur zwangs-flexibilisierten Lohnabhängigkeit.

Nicht nur bei der Arbeit auf dem Bau überdurchschnittlich gefährdet: 2004 hatte laut der Gewerbeaufsicht jeder vierte Leiharbeiter einen Arbeitsunfall.

Zu Besuch bei Veteranen: Manpower – Pionier der Leiharbeit in Luxemburg. Seit 1965 ist das global agierende Unternehmen hierzulande aktiv. Unscheinbar der Eingang zum Büro der Hauptverwaltung fürs Großherzogtum in der rue de Strasbourg. Freundlich der Empfang durch Yann Le Jaudet, Directeur des opérations bei dem Branchenriesen.

Anheuern und weitervermitteln ? daraus bestand bis Anfang der Achtzigerjahre die Praxis. Dann drängten die Mitbewerber auf den Markt. Auch das wirtschaftliche Klima veränderte sich. Die Anforderungen der Kunden wurden größer. „Heute prüfen ausgebildete Personalreferenten die sich bewerbenden Arbeitskräfte und treffen eine Auswahl“, sagt Le Jaudet. Das bedeutet auch, dass branchenintern um die attraktivere Arbeitskraft konkurriert wird. Anders als früher, versucht man nun, die Intérimaires an die Zeitarbeitsfirma zu binden, die treuesten Mitarbeiter werden belohnt. „Die Leute wollen ja nicht unbedingt bei Manpower arbeiten, sondern sie suchen einen Job“, fasst er zusammen.

Etwa 900 Arbeitskräfte werden im Wochenschnitt für Manpower Luxemburg tätig. Das ist viel ? und es entspricht dem internationalen Standard des Unternehmens, das mit 13,3 Milliarden Euro Jahresumsatz 2006 gleich hinter dem Marktführer Adecco folgt.

Seit zehn Jahren steigt die Zahl der Leiharbeiter in Luxemburg ständig an, von 3.737 im Februar 1999 auf 10.634 im Dezember 2006. Das entspricht in etwa einem Anteil am gesamten Arbeitsmarkt von 2,4 Prozent und ist damit auf dem gleichen Niveau wie in Deutschland, aber über dem europaweiten Durchschnitt von 1,8 Prozent. Laut einer EURES-Studie von Anfang des Jahres wird Leiharbeit hierzulande weiterhin vom Bausektor dominiert, wo die Intérimaires in den Semesterferien mit der noch günstigeren Arbeitskraft der studentischen Jobber konkurrieren. Auch bei Manpower arbeiten noch immer 70 Prozent der durch das Unternehmen vermittelten Arbeitskräfte in der Bau- und Indus-triebranche: lediglich 30 Prozent verrichten vorwiegend Kopfarbeit.

Das angeblich große Plus der Zeitarbeit ist die Chance einer späteren Festanstellung. Auch Yann Le Jaudet weist darauf hin: „60 bis 70 Prozent der Vermittlungen im administrativen und im Finanz-Bereich führen zu einer Festanstellung.“ Bei der Handarbeit sind es allerdings wesentlich weniger. Dennoch gesteht Carlos Pereira vom OGBL zu: „Oft ist die Leiharbeit auch die Eintrittskarte für den dauerhaften Verbleib im Betrieb.“ Ein Loblied auf das gedeihende Phänomen Zeitarbeit mag seine Gewerkschaft aber trotzdem nicht singen: „Unsere Position ist vor allem dadurch geprägt, dass die Arbeitnehmer an ihrem Arbeitsplatz adäquat abgesichert sein müssen. Nicht selten kommen Leiharbeiter jedoch in eine prekäre Situation.“ Dann seien sie zunehmend gezwungen, jede Arbeit anzunehmen, obwohl diese in keiner Weise dem gewünschten Arbeitsplatz beziehungsweise den vorhandenen Fähigkeiten entspricht. So könne sich dann ein Automatismus entwickeln, der immer tiefer in die Prekarität hineinführt.

Ein höheres Alter ist zur Vermittlung über Manpower laut Le Jaudet nicht prinzipiell ein Nachteil. Allerdings sehr wohl dann, wenn es um die Perspektive einer späteren Festanstellung geht.

„Zeitarbeit stellt einen hervorragenden Indikator für die generelle wirtschaftliche Entwicklung dar.“

Um so mehr greift dann der zweite große Kritikpunkt der Gewerkschaften: Um im Krankheitsfall auch Krankengeld ausbezahlt zu bekommen, muss man sechs Monate am Stück via Arbeitsvertrag sozialversichert gewesen sein – lediglich eine einmalige Unterbrechung für die Frist von maximal acht Tagen ist hier erlaubt. „Die Leiharbeiter werden jedoch häufig über Verträge beschäftigt, die von Montag auf Freitag befristet sind.“ In der Folgewoche gibt’s dann einen neuen Vertrag. Wird jemand innerhalb dieser Wochenfrist krank und damit arbeitsunfähig, wird er in der darauffolgenden Woche bei andauernder Krankheit selbstverständlich keinen neuen Vertrag bekommen. Da die Sechs-Monats-Frist mit dem beschriebenen Vertragskonstrukt aber ebenfalls nicht eingehalten wurde, gibt’s schlicht kein Krankengeld.

Indessen hat eine EU-Studie ergeben, dass im Jahr unter 1.000 regulär Beschäftigten 37 von Arbeitsunfällen betroffen sind, unter den Leiharbeitern sind es jedoch 48. Auch in Luxemburg gehört die Leiharbeit gemeinsam mit den Dachdeckern sowie allgemein der Arbeit am Bau zu den gefährlichsten Berufen. Im Jahr 2004 hatte laut der hiesigen Gewerbeaufsicht hierzulande jeder vierte Zeitarbeiter einen Arbeitsunfall.

Zeitarbeit, das zeigt auch die EURES-Studie, „stellt einen hervorragenden Indikator für die generelle wirtschaftliche Entwicklung dar“, die sich auf dem Zeitarbeitsmarkt deutlicher abzeichnet. So wies dieser zum ersten Trimester 2007 einen Anstieg der Arbeitskraftnachfrage von 16,1 Prozent auf. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt spiegelte sich der Konjunkturanstieg mit einem Zuwachs von 4,1 Prozent wieder. „Wir sind die ersten Betroffenen bei konjunkturellen Schwankungen“, bestätigt Yann Le Jaudet. „Bei guter Auftragslage werden Unternehmen erst mal auf Zeitarbeiter zurückgreifen“. Wenn sich die Situation konsolidiert, werden wieder Festanstellungen vergeben, von denen unter Umständen auch bereits eingearbeitete Leiharbeiter profitieren können. Da die Konjunkturschwankungen jedoch zunehmend schneller aufeinander folgen, gewinnt der Faktor Zeitarbeit an Bedeutung.

Juristisch betrachtet, gibt es für Unternehmen nur zwei Möglichkeiten, auf Leiharbeiter zurückzugreifen. Die eine ist ein unvorhersehbarer Arbeitszuwachs im Betrieb, der mit dem Einsatz von Intérimaires kompensiert werden soll. Diese Arbeitsverträge sind beschränkt auf eine Laufzeit von ab einem Tag (wobei der Vertrag insgesamt zwei Mal verlängert werden kann) bis zu einem Jahr. Danach darf der Leiharbeiter für die Dauer eines Drittels der gearbeiteten Zeit nicht mehr in demselben Unternehmen arbeiten. Er kann aber natürlich von seiner Zeitarbeitsagentur in eine andere Firma vermittelt werden. Die zweite Möglichkeit, einen Leiharbeiter zu beschäftigen, entsteht durch Krankheit eines festangestellten Beschäftigten oder als Überbrückung einer Periode, während der ein Unternehmen Arbeitskräfte mit dem Ziel einer Festanstellung sucht. Diese Arbeitsverträge (ebenfalls mit einer Laufzeit bis zu maximal einem Jahr) verlängern sich automatisch von Woche zu Woche.

„Die Realität sieht allerdings anders aus“, wendet Carlos Pereira ein, „in der Praxis werden oft Leiharbeiter engagiert, obwohl ein festes Arbeitsverhältnis betrieblich möglich wäre.“ Immerhin werden die in Luxemburg angeheuerten Intérimaires besser bezahlt als ihre Kollegen in Deutschland, wo ein Leiharbeiter etwa in der Metallbranche im Schnitt 30 bis 40 Prozent weniger Lohn als die Stammbelegschaft erhält und zudem kein garantierter Mindestlohn besteht. „Wird in Luxemburg ein Leiharbeiter in einen Betrieb entsendet, in dem ein Kollektivvertrag gilt, muss er den entsprechenden Vertragslohn erhalten“, sagt Pereira. Ist die gewerkschaftliche Präsenz allerdings schwach oder kein Kollektivvertrag vorhanden, wie etwa in den Branchen rund um Nahrung und Genuss oder in Teilen der Dienstleistung, wird häufig bloß der Mindestlohn gezahlt.

Bereits im Jahr 2002 haben das Europäische Parlament und der Rat der Kommission einen Richtlinienkatalog über die Arbeitsbedingungen von Leiharbeitnehmern vorgelegt, mit dem deren Rechte einigermaßen gestärkt werden sollen. Dessen Ratifizierung wird jedoch von der deutschen Bundesregierung blockiert. Dort will man die unternehmerfreundlichen Bedingungen erhalten und von der Maxime „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ nichts wissen. Lediglich in einem entscheidenden Punkt sind die Bedingungen für Leiharbeiter in Deutschland sicherer, oder – in Agenturdiktion – unflexibler. Dort nämlich sind die Zeitarbeitsfirmen auch dann zur Lohnfortzahlung verpflichtet, wenn Leiharbeiter momentan nicht eingesetzt werden können. In Luxemburg, wie Le Jaudet es formuliert, „sind die Arbeitnehmer nach Beendigung ihres Einsatzes nicht mehr unter unserer Verantwortung“.

Betrachtet man die Zeitarbeitsunternehmen unter dem gewerkschaftlichen Aspekt, so ergibt sich ein gewisses Missverhältnis zwischen den Leiharbeitern und den Angestellten in den Büros dieser Agenturen selbst. Letztere sind in Luxemburg laut Carlos Pereira gut organisiert und tarifvertraglich abgesichert, die Intérimaires betreffend sei es dagegen „äußerst schwer, sie gewerkschaftlich zu mobilisieren und zu organisieren“.

Bei den Grenzgängern, die im Schnitt immerhin 79 Prozent der Luxemburgischen Leiharbeiter ausmachen (nur zwei von hundert Luxemburger Staatsbürgern sind auf diese Weise beschäftigt), verstärkt sich diese Problematik noch. „Obwohl der OGBL bei den Frontaliers allgemein stark vertreten ist, kommen wir an die Leiharbeiter unter ihnen sehr schwer heran.“ Rekrutierungschancen ergeben sich für die Gewerkschaften vor allem dann, wenn sich Intérimaires mit ihren Problemen direkt Hilfe bei ihnen suchen oder wenn sie über einen längeren Zeitraum hinweg in einem gewerkschaftlich gut organisierten Betrieb arbeiten. Im Jahr 2005 lag die durchschnittliche Verweildauer im selben Betrieb jedoch bei lediglich 19,7 Tagen.

„Nicht selten kommen Leiharbeiter in eine prekäre Situation.“

Immerhin 40 bis 50 Prozent der Personen, die für Manpower im Einsatz sind, verfügen laut Yann Le Jaudet über keine besondere Qualifizierung. Wie in anderen Ländern, sind Geringqualifizierte häufig die Kandidaten für Niedrig- beziehungsweise Mindestlohn. Ihnen hatte Arbeitsminister François Biltgen vergangenen Oktober geraten, berufliche Qualifikation sei das beste Rezept, um der Falle der Erwerbstätigenarmut zu entgehen. „Land“-Redakteur Romain
Hilgert kommentierte, dieser kluge Tipp beantworte nicht die Frage, wer in Zukunft unqualifizierte Arbeit in Luxemburg verrichten soll, wenn er oder sie nicht davon leben kann.

Da es jedoch innerhalb und vor allem außerhalb Luxemburgs genug Arbeitslose gibt, deren Wahlmöglichkeiten in diesem Punkt schlechterdings sehr beschränkt sind, wird es tendenziell weiterhin zunehmend zwangs-flexibilisierte Lohnabhängige geben. Der deutsche Publizist Robert Kurz sieht deshalb auch in Europa bereits Teile der Lohnabhängigen auf das Niveau des 19. Jahrhunderts zurückversetzt: „Kampf um Mindeststandards kennzeichnete den Frühkapitalismus“. Im Gegensatz zu heute durften die Arbeiter damals jedoch noch auf Reformen hoffen, argumentiert der französische Sozialwissenschaftler Robert Castel: Die Situation heute sei „eine total andere als die des Proletariats vor 150 Jahren. Die Arbeiter waren vielleicht ausgebeutet und unterdrückt. Aber sie waren es auch, die die Fabriken am Laufen hielten: Das System brauchte sie. Nur deshalb konnten sie Forderungen stellen. Heute repräsentieren die Exkludierten überhaupt keine gesellschaftliche Dynamik.“

„Für unqualifizierte Arbeit werden sie nie ein Stellenangebot in der Zeitung finden“, versichert denn auch Yann Le Jaudet. Die Zeitarbeitsfirmen rekrutieren günstig, und die entleihenden Unternehmen profitieren von der beschriebenen Situation. „Sie müssen dann auch keine Kündigungen aussprechen und haben weniger arbeitsrechtliche Probleme“, wie Carlos Pereira ergänzt. Ein Zusammenspiel, das zeigt, dass die Lösung des Problems nicht darin liegt, die Zeitarbeitsfirmen als besonders ausbeuterisch an den Pranger zu stellen.


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