CLIMATE ENGINEERING: Temperatur nach Wunsch?

Mit den Mitteln der Ingenieurskunst den Klimawandel bremsen – das planen Anhänger von Climate Engineering. Aber Wissenschaftler begegnen diesen technischen „Lösungen“ mit großer Skepsis.

Klimabacken im Kleinen. Der Wolkenbildungssimulator AIDA.

Vom Prinzip her ist „marine cloud whitening“ eine einfache Sache: Schiffe fahren auf den Ozean hinaus und versprühen dort Meerwassertropfen. Diese verdampfen und die zurückbleibenden Meersalzpartikel steigen zu den Wolken auf. Dort oben bilden sie Kondensationskeime. Die Wolken werden dadurch weißer und können mehr Sonnenlicht reflektieren. Der Albedo-Effekt, den es auch beim arktischen und antarktischen Eis gibt, wird also künstlich verstärkt – und das Erdklima kühlt ab.

Ein Plan für diese künstliche Wolkenaufhellung existiert erst einmal nur auf dem Reißbrett. Die britischen Wissenschaftler John Latham und Stephen Salter entwarfen Spezialschiffe, unbemannte, windbetriebene Trimarane mit Sprühkaminen in der Mitte. Diese Schiffe sollen permanent auf den Ozeanen kreuzen, ohne zwischendurch einen Hafen anzulaufen, und per Satellitenfunk immer dorthin steuern, wo sich Wolkenfelder gebildet haben. Jahr für Jahr müssten tausend Stück vom Stapel gelassen und etwa eine Milliarde Euro investiert werden – damit ließe sich der gegenwärtige Treibhauseffekt ausgleichen, sagen die Wissenschaftler von der Insel. Eine Milliarde Euro klingt verlockend im Vergleich zu den immensen Kosten anderer Klimaschutzmaßnahmen, zum Beispiel dem Wechsel zu erneuerbare Energien. Aber es gibt – wie so oft bei scheinbar einfachen Lösungen – einen Haken.

Thomas Leisner kann das, was oben in der Wolke passiert, unten auf der Erde nachstellen. Der Physiker vom Karlsruher Institut für Technologie experimentiert mit AIDA, einer 84-Kubikmeter-Versuchskammer aus Aluminum, die sich über mehrere Stockwerke verteilt. In der Kammer simuliert Leisner den Einfluss von Aerosolen auf die Wolkenbildung – also den physikalischen Prozess, mit dem seine britischen Kollegen die Erderwärmung bremsen wollen. „Der Plan ist aber nicht zu Ende gedacht“, meint Leisner. Wahrscheinlich würden viele der versprühten Salzaerosole die Wolken überhaupt nicht erreichen, da sie durch Verdunstungskälte wieder absinken. Und selbst wenn die Wolkenaufhellung klappt: Die Folgen dieser Wettermanipulation könnten schwerwiegend sein. Denn wenn weniger Energie in das komplizierte System der Erdatmosphäre hereingelassen wird, drehen möglicherweise die Winde. Dann können sich zum Beispiel Zuggebiete von Wirbelstürmen ändern, was zu gegenseitigen Verdächtigungen und sogar ernsten politischen Spannungen führt – besonders bei Staaten, die sich sowieso schon misstrauen. Leisner: „Wenn ein Atomkraftwerk explodiert, kennen wir den Schuldigen. Aber der Verursacher von Wirbelstürmen ist letztendlich nicht nachweisbar.“

Symptombekämpfung

Nicht nur die Wolkenaufhellung, eine ganze Gruppe von Ideen zur Klimabeeinflussung wird unter dem Begriff Solar Radiation Management (SRM) zusammengefasst. Das Reflektieren von Sonnenstrahlung wird als Last-Minute-Variante der Klimapolitik gehandelt, weil es als Notbremse eingesetzt werden könnte, zum Beispiel wenn das Klimasystem eines Tages gänzlich zu kollabieren droht. Ein Entwurf verlagert Klimaschutz gleich in den Orbit: Spiegelreflektoren sollen Sonnenlicht schon 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernt stoppen – die wohl aufwändigste, Science-Fiction-hafteste Form des Klimaklempnerns. Dennoch sollte Climate Engineering in kleinem Maßstab weiterhin erforscht werden, sagt Leisner. Ohne Forschungen zu behindern, die auf Vermeidung von Klimagasemissionen zielen. Selbst Anhänger von Climate Engineering sehen die Versuche der Klimabeeinflussung nicht als Ersatz für Erneuerbare Energien – mit wenigen unrühmlichen Ausnahmen wie dem US-Republikaner Newt Gingrich, der allein auf SRM setzen würde. Fridolin Stähli von der Fachhochschule Nordwestschweiz befasst sich mit den ethischen Dimensionen der Ingenieurskunst und findet es symptomatisch, dass Climate Engineering in den USA hoch gehandelt wird. „Eine technische Lösung ist typisch für dieses Land. Dann muss am American Way of Life nichts geändert werden. Symptombekämpfung scheint eben allemal bequemer zu sein als Ursachenbehebung.“ Dass die US-Bürger selber maßgeblich zur jetzigen hohen Kohlendioxid-Konzentration in der Atmosphäre beigetragen haben, scheine sie wenig zu kümmern, kritisiert Stähli. Aber wir Europäer seien in diesem Punkt kein bisschen besser.

Gott spielen

Anhänger von Weltraumspiegeln oder Schwefelinjektionen sprechen sogar von einer moralischen Verpflichtung. Climate Engineering sei der einzig gangbare Weg, den Klimawandel zu bremsen – politisch und kulturell leichter durchzusetzen. Dem hält Stähli entgegen, dass durch Climate Engineering unvorhersehbare Folgen entstehen können. Von Einzelnen verursacht, müssen diese Folgen von allen getragen werden, besonders von den Bevölkerungen, die nie ihre Meinung äußern konnten.

Was Stähli auch an den großtechnischen Vorhaben stört, ist der Gestus der Hybris. Menschen spielen Gott, sie haben das Maß verloren, sind von Technikversessenheit beherrscht. Diese Naturvergessenheit lasse uns vor nichts mehr Furcht empfinden, sagt Stähli: „Seit längerem schon leben wir auf zu großem Fuß. Das Biokapital des Globus ist aber beschränkt. Daher brauchen wir Genügsamkeit – und nicht Climate Engineering. Das ist der nicht neue, aber oft übersehene, weil nicht gern gesehene ethische Wegweiser.“

Die möglichen Auswirkungen von Climate Engineering untersucht Hauke Schmidt vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg. Der Atmosphärenwissenschaftler wertet im Rahmen eines Forschungsprojekts deutsche, französische und norwegische Klimamodelle aus und versucht daraus robuste Prognosen zu entwickeln. „Wir können da unsere Erfahrungen mit den Folgen von Vulkanausbrüchen nutzen“, erklärt Schmidt.

Als vor 74.000 Jahren auf Sumatra der Vulkan Toba ausbrach, wurden Schwefelaerosole in die Stratosphäre hinauf geschleudert. Klimaforscher konnten anhand von Supervulkan-Simulationen nachweisen, dass die Temperaturen auf der Erde daraufhin gleich um drei Grad sanken. Auch eine Eruption neueren Datums, die des Vulkans Pinatubo auf den Philippinen im Jahr 1991, brachte eine vorübergehende Abkühlung – wenn auch „nur“ um 0,5 Grad. Ließe sich dieser „vulkanische Winter“ nicht auch künstlich erzeugen, indem Schwefelaerosole von Menschenhand in die Stratosphäre geflogen werden? Diese Injektionen in rund 20 Kilometern Höhe sind machbar – nicht mit Ballons oder Artilleriegeschossen, wie schon zu lesen war, sondern mit Flugzeugen, die allein für diesen Zweck konstruiert werden müssen. Nach momentanem Stand der Forschung lässt sich sagen, dass die globalen Temperaturen durch massive Schwefelinjektionen tatsächlich auf ein vorindustrielles Niveau sinken. Allerdings wäre diese Temperaturabnahme ungerecht verteilt. Schmidt: „In hohen Breiten und über den Kontinenten behalten wir etwa ein Grad Erwärmung, zum Äquator hin und über den Ozeanen wird eine Abkühlung um 0,5 Grad eintreten.“

Risiken und Nebenwirkungen

Eine Temperatur nach Wunsch gibt es also nicht. Stattdessen verlangsamen Schwefelinjektionen die Erholung der Ozonschicht – und verursachen schlimmstenfalls Dürren. „Wir haben durch die momentane Erwärmung zwar eine allgemeine Zunahme an Niederschlägen“, erklärt der Wissenschaftler. „Das würde durch Climate Engineering aber mehr als kompensiert.“ Mit fatalen regionalen Folgen, wie ein US-Wissenschaftler vorhersagt: Wenn der indische Monsun jahrweise ausbleibt, würden dem Subkontinent lange Zeiten der Trockenheit bevorstehen.

Wissenschaftler diskutieren daher untereinander, ob sie nicht die Finger vom Climate Engineering lassen sollten. Schmidt meint aber auch, dass die Forschungen angebracht sind, weil das Thema nicht den Interessengruppen überlassen werden dürfe. Aber was ist, wenn die Staatengemeinschaft eines Tages vom mühseligen Versuch der Klimagas-Reduzierung ablässt und sich dem Schwefel oder den Spiegeln zuwendet? Vor dem Startschuss müssen nach Meinung des Wissenschaftlers erst einmal politische, ethische und juristische Fragen geklärt sein: „Denn selbst wenn wir alles, was wir wissen, in Klimamodelle packen. Eins darf nicht vergessen werden: Bei solchen massiven Eingriffen kann es immer zu Nebenwirkungen kommen, an die vorher niemand gedacht hat.“

Diese Nebenwirkungen müssen gar keine schlimmen klimatischen Folgen haben. Sie können ein Verfahren auch einfach scheitern lassen. Die Eisendüngung der Ozeane zum Beispiel wurde schon euphorisch gefeiert, weil sie geeignet schien, sehr viel Kohlendioxid aus der Atmosphäre herauszunehmen – auch wenn Climate Dioxide Removal (CDR) wegen der Trägheit des Erdsystems allgemein als langsamere Methode gilt. Nun schickte aber das Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven sein Forschungsschiff „Polarstern“ in den Südatlantik. Dort wurden Eisensulfate ins Meer gekippt, um das Wachstum von Algen zu beschleunigen. Doch der Teufel steckte im Detail: Die Pflanzen, die Kohlendioxid hätten fressen sollen, wurden selbst von kleinen Krebstieren verspeist, die sich aufgrund der Eisendüngung rasant vermehrt hatten.

Neben der manchmal vetrackten technischen könnte auch die psychologische Seite über Climate Engineering entscheiden. Würde es vom Wahlvolk als akzeptable Maßnahme gegen den Klimawandel empfunden? Zwar gibt es noch keine repräsentativen Erhebungen zu diesem Thema, sagt Dorothee Amelung, Psychologin an der Universität Heidelberg. Wohl aber Hinweise darauf, dass Klimabeeinflussungen abwehrende Gefühle wecken. „Erwünscht ist eine Politik der Reduzierung von CO2-Emissionen und nicht die Bekämpfung der Symptome mit technologischen Mitteln.“

Allerdings verweist der Wunsch nach einer Reduzierung von Klimagasemissionen auch auf unser eigenes Umweltverhalten, zum Beispiel beim Autofahren und bei Flugreisen. Darin liegt durchaus eine Gefahr, meint Amelung: „Technische Lösungen versprechen schnell und unkompliziert zu sein. Sie können von der Beseitigung der eigentlichen Ursachen ablenken – und diese sogar korrumpieren.“


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