KINDESERZIEHUNG: Kein Freibrief für Erzeuger

Welche Sorgepflicht haben die Eltern gegenüber dem eigenen Kind? In Zeiten differenzierter Lebensformen ist diese Frage zunehmend schwer zu beantworten. Ein neues Gesetzesprojekt will Richtlinien schaffen.

Noch vor einigen Jahren, stellt Marie Anne Rodesch-Hengesch fest, habe sie vor allem mit Elternteilen zu tun gehabt, bei denen ein Part dem andern den Umgang mit dem Kind oder selbst das Besuchsrecht verwehrt habe. Mittlerweile jedoch, so die Ombudsfra fir d’Rechter vum Kand, suchten zunehmend Mütter oder Väter ihre Beratungsstelle auf, die sich darüber beklagten, dass der jeweils andere Elternteil sich einfach aus der Verantwortung für die Kinder stehle. „Wünschenswert wäre es, wenn dieses neue Gesetzesprojekt, das erstmals die ?responsabilité parentale‘ definiert, so viele Konflikte wie möglich im Vorfeld einer Trennung beseitigen würde“, so Rodesch-Hengesch. In der Tat beackert das neue Gesetzesprojekt 5867 „relatif à la responsabilité parentale“, das Anfang April von Justizminister Luc Frieden deponiert wurde, ein breites Feld des Familien-, Scheidungs- und Zivilrechtes. Eine Reform der gesetzlich verankerten Sorgepflicht ist nicht nur notwendig, da die klassische Familienstruktur, die bisher insbesondere innerhalb der Ehegemeinschaft rechtlich geregelt wurde, zunehmend mit neuen Lebensformen wie Patchwork-Familien oder Alleinerziehenden konkurriert. Auch internationale Konventionen erfordern eine Überarbeitung der bisherigen luxemburgischen Rechtssituation. So ist in internationalen Menschenrechtskonventionen das Prinzip der gemeinsamen Erziehungsverantwortung beider Elternteile festgeschrieben. Und 1986 hat das europäische Parlament eine Resolution gestimmt, die sich an die Gerichte der Mitgliedsländer wandte. Diese werden angehalten, vor allem auf das Wohlergehen der Kinder zu achten und die gemeinsame Verantwortung der Eltern in der Erziehung auch nach deren Trennung zu berücksichtigen. Zudem hat Luxemburg 1993 die Konvention der Vereinten Nationen zu den Kinderrechten angenommen, die eine Anhörung des Kindes einschließt.

Ziel des neuen Gesetzesprojektes ist ein System der Ko-Elternschaft, die die Trennung des Paares überdauert: „Die gegenwärtige Entwicklung geht dahin, möglichst ein Gleichgewicht an der Teilnahme der Sorgepflicht der Mütter und Väter zu gewährleisten, ohne dass dabei ein Elternteil diskriminiert wird“, heißt es im „Exposé des motifs“.

Erstmals wird im neuen Gesetzes-projekt auch der Begriff der „autorité parentale“ durch den der „responsabilité parentale“ entsprechend der „Convention relative aux droits de l’enfant“ ersetzt und somit neu definiert.

Unabhängig von ihrem Status – ob verheiratet oder nicht, geschieden oder nicht – sollen Eltern zukünftig rechtlich verpflichtet sein, finanziell für den Unterhalt und die Erziehung ihrer Kinder zu sorgen. Bisher war diese Verpflichtung explizit nur im Rahmen der gesetzlichen Ehe festgeschrieben. So heißt es im Artikel 203 des Zivilrechtes: „les époux contractent ensemble, par le fait seul du mariage, l’obligation de nourrir, entretenir et élever leurs enfants“.

Darüber hinaus regelt das Gesetzesprojekt Aspekte wie das Aufsichts- und Besuchsrecht sowie Fragen zur Vormundschaft. Schon das Zivilrecht schreibt fest, dass das Sorgerecht über ein außerehelich geborenes Kind nicht ausschließlich von der Mutter ausgeübt werden soll. Das Kind hat laut der internationalen Konvention der Kinderrechte einen Anspruch auf den Erhalt der Beziehung zu beiden Elternteilen – auch im Falle einer Trennung. Diesen Aspekt betont der neue Gesetzesentwurf. Er geht sogar noch darüber hinaus, da geschiedene Eltern angehalten werden, den Kontakt des Kindes zum jeweiligen anderen Elternpart zu fördern. Auch das Recht der Kinder, die Großeltern und Verwandten beider Elternteile zu sehen, wird festgeschrieben.

Die „responsabilité parentale“ soll nach dem neuen Gesetzesentwurf jedoch auch im Sinne einer „démocratie parentale“ verstanden werden. Eltern sollen ihre Kinder entsprechend ihres Alters an Entscheidungen teilhaben lassen: Diese sollen ihre Meinung frei zu allen Fragen äußern und haben das Recht, von einem Richter gehört zu werden.

Marie Anne Rodesch-Hengesch begrüßt die neue rechtliche Auslegung der Sorgepflicht: „Durch die Begriffswahl der ?responsabilité‘ werden beide Elternteile angesprochen.“ Das bedeute auch, dass nach der Trennung beide Eltern alle Entscheidungen für das Kind gemeinsam treffen. Der getrennt lebende Partner soll über die Schulentwicklung des Kindes informiert werden und ein Anrecht darauf haben, eine Kopie des Schulzeugnisses zu erhalten. „Das setzt natürlich eine Abstraktion von den eigenen Konflikten voraus. Die Eltern müssen miteinander kommunizieren – was auch den Kindern sehr zugute kommt“, so Rodesch. Bisweilen seien Elternteile sogar zu Gefängnisstrafen mit Bewährung verurteilt worden, da sie dem früheren Partner den Zugang zu den Kindern vorenthalten haben. Um eine solche Eskalation künftig zu vermeiden, sei der im Gesetzesprojekt enthaltene Aspekt der Mediation sehr wichtig.

Auch Alice Risch, Präsidentin der „Association Luxembourgeoise de la Médiation et des Médiateurs Agées“ (Alma), begrüßt, dass das Gesetzesprojekt eine „information préalable à la médiation“ enthält. „Viele ums Sorgerecht streitende Eltern wissen nicht, dass es andere Schlichtungsinstanzen gibt als das Gericht, wo letztlich ein Richter bestimmt, wie die zukünftige Lebensgestaltung in Bezug auf das gemeinsame Kind auszusehen hat“, so Risch. Dagegen biete eine Mediation ganz andere Möglichkeiten. „Es wäre gut, wenn eine Mediationsinformation im Trennungsfall obligatorisch wäre“, so Risch. Diese ist jedoch bisher im Gesetzesprojekt nur optional oder aufgrund eines punktuellen richterlichen Beschlusses vorgesehen. Dagegen habe man in Belgien oder in Kanada, wo eine Mediation vor jeder Scheidung Pflicht ist, schon viele gute Erfahrungen gemacht. „Eine solche Hilfestellung ermöglicht es, vor der Trennung alle Fragen in Bezug auf die Kinder zu regeln“, glaubt auch Rodesch-Hengesch. Wichtig sei hier auch, wer die Mediation anbietet. Falls es die Richter sind, sollten diese über eine entsprechende Ausbildung verfügen. In Luxemburg fehlt jedoch nach wie vor ein Gesetz, das die Ausbildungs- und Qualitätskriterien der Mediation bestimmt.

„Wenn man Kinder bekommt, dann muss man sie auch erziehen. Das beinhaltet auch Opfer“, meint Rodesch-Hengesch. Und in diese Sinne ist das Gesetzesprojekt wahrlich kein Freibrief für die Erzeuger. Sondern gemahnt erneut an die gemeinsame elterliche Verantwortung.

Im Merscher Kulturhaus findet am kommenden Donnerstag, dem 24. April um 18.30 Uhr ein Rundtischgespräch zum Thema Mediation statt. TeilnehmerInnen sind: Paul Demaret, Gilbert Pregno, Marie-Anne Rodesch-Hengesch, Marc Fischbach und MitarbeiterInnen von CPOS und CDAIC. Moderation: Raymond Weber.


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