NAHRUNGSMITTELKRISE: Der freie Markt wird’s nicht richten

Ob in Mexiko, Haiti, Senegal, Marokko, Ägypten, Kenia oder anderswo: Vor allem die Bevölkerung in den Städten dieser besonders betroffenen Länder sieht sich seit Monaten massiven Preissteigerungen bei Grundnahrungsmitteln ausgesetzt.

Während der Scheffel (etwa 26 Kilogramm) Mais an der Börse von Chicago Anfang 2006 mit zwei Dollar gehandelt wurde, kostete die gleiche Menge Anfang April dieses Jahres 5,97 Dollar. Nicht zuletzt in Mexiko bekam man dies massiv zu spüren: Mais ist dort das Grundnahrungsmittel par excellence, das aber zu großen Teilen importiert werden muss. Auf dem Weltmarkt konkurriert Mexiko, das 2006 etwa 9,6 Prozent der weltweit gehandelten Maisproduktion aufkaufte, vor allem mit Japan (19,2 Prozent) und Süd-Korea (10,6 Prozent).

Seitdem der Ölpreis angestiegen ist, verteuern sich nicht nur die Produktionskosten vieler Nahrungsmittel, sondern es erwächst den mexikanischen Tortilla-KonsumentInnen auch eine weitere zahlungskräftige Konkurrenz: Mais eignet sich besonders als Rohstoff für die Produktion von Biosprit.

Noch dramatischer war der Anstieg beim Weizen, dessen Weltmarktpreis um das Vierfache seit 2006 angestiegen ist. Zwar wird auch 2008 laut FAO die weltweite Produktion an Weizen sich noch einmal um 2,6 Prozent steigern, doch reicht dies nicht, die überhöhte Nachfrage – vor allem aus den Schwellenländern Indien und China – zu decken. Die weltweiten Rücklagen werden Ende 2008 den niedrigsten Stand seit 1982 erreicht haben.

Während beim Weizen die am meisten gefährdeten Länder in Westafrika liegen, weitet sich dieser Kreis im Falle von Reis auf Indien und die Philippinen aus. Hier ist innerhalb von zwei Wochen ein Preiszuwachs von 30 Prozent zu verzeichnen gewesen.

Weltweit werden zwar jährlich Hunderte Millionen Tonnen Mais, Weizen und Reis produziert, doch nur ein Bruchteil davon wird auf dem Weltmarkt gehandelt. Beim Weizen sind es 17,2 Prozent, beim Mais 12,5 und beim Reis 7 Prozent des Gesamtvolumens. Deshalb ist die Preisentwicklung auch weniger ein exakter Gradmesser für die Entwicklung der Nachfrage, als vielmehr ein Ergebnis reiner Spekulation. Die FAO und das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen haben deshalb die reichen Länder aufgefordert, einen Antispekulationsfonds einzurichten – etwas heuchlerisch „compte spécial de compensation des effets de marché“ getauft.

Auf 500 Millionen Dollar wird der Finanzmittelbedarf geschätzt, um kurzfristig in die Krise eingreifen zu können. Kooperationsminister Jean-Louis Schiltz hat dieser Tage auf die prekäre Situation aufmerksam gemacht und die Bereitschaft Luxemburgs betont, mit 500.000 Euro – also einem Euro pro Einwohner – dem Krisenfonds beizutreten.

Dass inzwischen auch die Weltbank und der Weltwährungsfonds sich als Fürsprecher solcher „antikapitalistischen“ Stützungsmaßnahmen hervortun, ist ein Eingeständnis einer jahrzehntelangen fehlgeleiteten Politik, welche jetzt den am meisten betroffenen Ländern Marktöffnung und Exportproduktion vorschrieb.

Minister Schiltz macht sich denn auch eine alte Forderung der entwicklungspolitischen Organisationen zu eigen, die auf den Aufbau einer nachhaltigen, bäuerlichen Landwirtschaft in den Ländern des Südens zielt. Er spricht sich zudem für die Abschaffung von Exportsubventionen im Norden aus, um die Produzenten im Süden nicht weiter einer unlauteren Konkurrenz auszusetzen. Hinsichtlich des Biosprits soll eine Denkpause eingelegt werden, um die Auswirkungen eines Ausbaus der Produktion auf die Welternährung genauer zu prüfen.

„Es kann nicht sein, dass jene, die am wenigsten zum Klimawandel beitragen, jene sind die am meisten darunter zu leiden haben“, so Jean-Louis Schiltz gegenüber der Presse. Er hat angekündigt auf seiner für kommenden Mittwoch anberaumten Rede vor dem Parlament vor allem den Zusammenhang zwischen Armut und Klimawandel zu beleuchten.

Siehe auch Seite 8.


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