EU/USA: Just Like Starting Over

Die Beziehungen zwischen EU und USA sollen aufgepeppt werden. Die Luxemburger Présidence scheint besonders gut geeignet, den Annäherungsversuch von europäischer Seite aus zu starten.

„Wir strecken Europa die Hand hin und wir hoffen, dass Europa dasselbe tun wird“, hatte Ex-Außenminister Colin Powell im Dezember 2004 verkündet. „Was auch immer es für Meinungsverschiedenheiten gab, jetzt schauen wir nach vorne.“ George W. Bush hin oder her, nach vorne schauen wollen nun auch die EU-Regierungen. Im November hatte der niederländische Premierminister Jan Peter Balkenende als damaliger Ratspräsident der EU dem frisch gewählten und in Europa nicht besonders beliebten Texaner zu seiner Wiederwahl gratuliert und dabei den Wunsch geäußert, die Bindung zwischen Europa und die USA möge stärker und tiefer werden. Deutliche Worte also aus Brüssel und Washington: Ein Refresh der angeknacksten transatlantischen Beziehungen ist angesagt.

Diese waren in den vergangenen zwei Jahren in der Tat so schlecht wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Bereits Mitte der 90er Jahre, als die Union der 15 europäischen Länder erstmals ernsthaftere militärische Ambitionen anmeldete, kam Skepsis beim transatlantischen Nato-Partner auf. Letztendlich begrüßten die USA jedoch die Bereitschaft der EU, künftig mehr Geld für militärische Zwecke auszugeben. Immerhin käme dies auch der Nato zugute.

Doch dann provozierte der Irak-Krieg den Bruch mit verschiedenen Bündnispartnern. Vor allem die Regierungschefs von Deutschland und Frankreich wandten sich mit ihrem Nein zu einer militärischen Lösung im Zweistromland gegen den großen Bruder aus Übersee und fortan wehte ein kalter Wind über den Atlantik. Europa erwachte zu neuem Selbstbewusstsein.

Freilich fiel es schwer, manch einem Politiker den frisch erwachten Pazifismus abzukaufen. Immerhin hatten einige von ihnen zu anderen Zeitpunkten, etwa während der Auseinandersetzungen auf dem Balkan, durchaus eine große Bereitschaft für Kriegseinsätze an den Tag gelegt. Im breiten Bündnis gegen den Krieg gingen jedoch auch europäische Staatschefs und Minister auf die Straße. Oder solche, die es erst werden sollten. In Luxemburg marschierten am 12. Februar 2003 unter anderem Jean Asselborn, Lucien Lux und Jean-Louis Schiltz mit auf der Friedensdemo.

Die europäische Nation

Wie ernsthaft es der Polit-Elite und so manch anderem Friedensbewegten um das Schicksal der Menschen im Irak ging, darf bezweifelt werden. „Make the Union, not War!“, forderte der ehemalige französische Außenminister und Demonstrant der zeitgleichen Pariser Kundgebung, Dominique Strauss-Kahn, in „Le Monde“. An jenem Tag sei „auf der Straße eine Nation geboren. Diese neue Nation ist die europäische Nation“. Man werde sich bewusst, „dass Europäer eine gemeinsame Sicht der Weltordnung haben: eine, die weit entfernt von einsamen Entscheidungen in einem ovalen Büro, stattdessen eher auf kollektive Beratungen im Rahmen internationaler Institutionen (UN, WTO etc.) setzt“, schrieb Strauss-Kahn und übersah dabei nicht nur die Falklandepisode.

Die EU müsse, „will sie ihre Geschichte und Werte verteidigen, dem hegemonialen Unilateralismus der USA ein eigenes Modell entgegenstellen“, kommentierten drei deutsche SPD-Abgeordnete die Geburt der neuen Nation. Dass ausgerechnet deutsche Politiker die Geschichte Europas uneingeschränkt verteidigen wollen, ruft unweigerlich Unbehagen hervor.

Die Botschaft lautet: Europa ist anders und muss sich seine Identität jenseits der amerikanisierten Welt bewahren. Eine Forderung, die auch von anderen EU-Politikern sowie Teilen der Anti-Kriegsbewegung aufgegriffen wird. In der Nach-Kriegszeit hingegen sind diese Töne etwas in den Hintergrund geraten. Das mag damit zu tun haben, dass die Praxis der „anderen“ europäischen Politik für wenig Pathos Anlass gibt. „Wir sind nicht nur hinter unseren eigenen Vorhaben zurückgeblieben, sondern der Abstand zu den USA hat sich sogar noch vergrößert“, kommentiert etwa Industriekommissar Günther Verheugen die Halbzeitbilanz der renommierten Lissabon-Strategie. In der portugiesischen Hauptstadt hatten die EU-Regierungschefs im Jahr 2000 beschlossen, die EU binnen zehn Jahren zur stärksten Wirtschaftsregion der Welt zu machen. Vergangene Woche wurde nun das Scheitern der Strategie erstmals offiziell eingeräumt.

Der Name bleibt gleichwohl Programm: Aus der Lissabon-Strategie wird nun der Lissabon-Aktionsplan. Ist also das andere Europa nun endlich auf dem Vormarsch? Das Ziel, die USA zu überholen oder 70 Prozent Beschäftigung zu erreichen, wurde vorsorglich aus dem Plan gestrichen. Wenn alle Maßnahmen eingeleitet würden, könne man bis 2010 rund drei Prozent Wachstum erreichen und sechs Millionen Arbeitsplätze schaffen, gab sich Kommissionspräsident José Barroso am vergangenen Dienstag zuversichtlich. Und die Kommission ging gleich mit gutem Beispiel voran. Tags darauf zog sie überraschend die vor allem von Unternehmen scharf kritisierte Reach-Verordnung für Chemikalien zurück. Die Richtlinie soll nun überarbeitet und industriefreundlicher gestaltet werden.

Update der Rhetorik

Etwas, das auch den USA gefallen dürfte, denn auch sie hatten aus Angst vor Exportschwierigkeiten gegen die Verordnung protestiert. Doch nicht nur in diesem Punkt sind die Meinungsverschiedenheiten zwischen diesseits und jenseits des Teiches weitaus weniger groß, als es Brüssel zuweilen darstellen will. Wenn es um den Krieg gegen den Terror geht, spricht Luc Frieden fast wie ein Amerikaner, stellte vergangene Woche erstaunt der „Jeudi“ fest. Auch wenn der Autor nicht näher erläutert, wie sich „ein Amerikaner“ seiner Meinung nach auszudrücken pflegt, wissen aufgeklärte EuropäerInnen Bescheid: Gemeint ist, dass Frieden für eine Verschärfung der Maßnahmen gegen Terroristen eintritt. Luxemburgs Justizminister war als Vertreter der EU nach Washington gereist, um dort „eine neue Ära in der transatlantischen Kooperation“ einzuläuten. Geht es nach Frieden, muss diese Zusammenarbeit entschieden verstärkt werden.

Mit den von den USA geforderten biometrischen Pässen für Europäer, die in die USA reisen wollen, hat der Luxemburger lediglich ein kleines Problem: Es sei ungünstig, dass man sich nicht rechtzeitig über die Einführung neuer Ausweisdokumente abgesprochen hat, so der Justizminister, als er Ende Januar das Programm der Présidence in diesem Bereich vorstellte. Noch im vergangenen Jahr hörte sich die EU-Position anders an: Da wurde stets der unerbittliche Druck der USA und der kleine Handlungsspielraum der datenschutzbesorgten Europäer hervorgehoben.

Nun, da der Neustart von beiden Seiten eingeläutet ist, haben beide Seiten die Rhetorik geändert. Gerade die Luxemburger Présidence scheint gut gestellt, Europas freundlicheren US-Kurs zu repräsentieren. Immerhin zeichnete sich die hiesige Politik in Sachen Irak-Krieg vor allem durch eine Nicht-Position aus. Premier Jean-Claude Juncker und Außenministerin Lydie Polfer brachten es im Frühjahr 2003 fertig, sich sowohl für als auch gegen den Krieg auszusprechen.

Heute müssen andere den Spagat üben. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn etwa stand diese Woche vor neuen Aufgaben, als er als Vertreter der EU-Präsidentschaft seine US-amerikanische Kollegin empfing. Asselborn, der fast auf den Tag genau vor zwei Jahren die Haltung der Luxemburger Regierung zum Irakkrieg als politische Schizophrenie bezeichnete, besinnt sich heute eines Besseren. Die USA und die EU müssten sich in Zukunft wieder stärker auf ihre Gemeinsamkeiten konzentrieren, so Asselborn. Nur so könne man für eine stabilere Entwicklung der Weltpolitik sorgen. Nach dem Besuch von Rice sprach Asselborn von einer guten Ausgangsbasis für die Europa-Reise von US-Präsident George W. Bush Ende Februar. Auch Außenministerin Condoleezza Rice ließ auf ihrer gesamten Europa-Tournee keine Gelegenheit aus, die gemeinsamen Errungenschaften zu unterstreichen. Amerika sei bereit mit Europa zusammenzuarbeiten, Europa muss bereit sein mit Amerika zusammenzuarbeiten, beschwor sie am Dienstag in Paris die neue, alte Gemeinsamkeit.

In die Protestkundgebung „gegen die imperiale Politik der USA“, zu der am Mittwoch die Friddensinitiativ aufgerufen hatte, wollte sich der Luxemburger Außenminister dieses Jahr denn auch nicht einreihen. „Die USA treiben mit ihrer Aufrüstungspolitik die Militarisierungsspirale weltweit weiter an und tragen so indirekt zur Verarmung weiterer Bevölkerungsschichten bei“, so die Friddensinitiativ in ihrem Aufruf. Um Probleme der Menschen friedlich zu lösen, brauche die Welt „keine Kriegsallianzen und keine US-Alleingänge, sondern: eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung, ein ziviles und soziales Europa, die Bekämpfung der sozialen Ursachen von Terrorismus, wie Armut, Ausbeutung und Ungerechtigkeit“, so die leicht verkürzte Darstellung der Weltlage. Viel Grund anzunehmen, dass die EU sich maßgeblich für diese Ziele einsetzen wird, gibt es allerdings nicht.


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