CSV-WAHLKAMPF: Wir sind das Volk?

In der Hauptstadt ist die christlich-soziale Partei seit sechs Jahren in der Opposition. Mit einer stark verjüngten Liste und neuen Ideen, eher als mit Volksnähe, soll der Wiedereinzug in den Schöffenrat gelingen. Bericht von einer Wahlversammlung in Bonneweg, auf der der Spagat zwischen Glaubwürdigkeit und Populismus versucht wurde.

Radfahrer, nach rechts! Die neue hauptstädtische CSV versucht, die Grünen in Sachen sanfte Mobilität zu übertrumpfen.

Vorwahlzeit? Indian Summer! Man genießt es, auf der kleinen Steinmauer vor dem Kulturzentrum in der Rue des Ardennes zu sitzen. Eine Frau in Freizeitkleidung führt ihren struppigen Hund in den kleinen Park. Neben den Abfallcontainern unterhalten sich zwei dunkelhäutige Männer in einer fremden Sprache, übertönen den Lärm des Feierabendverkehrs. Vor dem Eingang stehen zwei gut angezogene Herren mit orangefarbenen Krawatten. Sie begrüßen eine Gruppe von älteren Personen in Sonntagskleidung. Wahlversammlung der CSV in Bonneweg.

Der kleine Saal sieht gut gefüllt aus mit rund 40 ZuhörerInnen, davon mindestens ein Dutzend KandidatInnen. Auf dem Podium sitzen die sechs Bonneweger BewerberInnen und die Sektionspräsidentin und Spitzenkandidatin Martine Mergen. In anderen Stadtvierteln seien manchmal nur vier oder fünf Interessierte gekommen, berichtet die Sitznachbarin. Als erstes stellt die Präsidentin die CSV-Liste vor, und die anwesenden Kandidaten stehen einer nach dem anderen auf.

Der erste Eindruck: Eine Zusammensetzung, die nicht ganz zu einer konservativen Volkspartei passt. Mehr als die Hälfte der KandidatInnen sind unter 45, die meisten sind StaatsbeamtInnen oder AnwältInnen, Rentner und Hausfrauen bilden die Ausnahme. Die Bereiche, in denen sie arbeiten, sind so vielfältig wie ihr Outfit: Abgesehen von ein paar jungen Herren im Anzug und mit orangefarbener Krawatte sind die meisten betont lässig gekleidet ? besonders auffällig das poppig-karierte Hemd von Théo Stendebach, mit 74 Jahren der Doyen der Liste. Schwarz hat als Parteifarbe ausgedient, und Martine Mergen trägt einen weißen Rock und dazu orangefarbene Ohrringe.

Bunter Haufen

Die Präsentationen trägt die Präsidentin gekonnt vor, macht hier und da ein Witzchen, und jedesmal spendet das Publikum reichlich Beifall. Danach wendet sie sich dem Programm zu. Eine „Stadt für alle Bürger“, das bedeute den Einzelhandel zu unterstützen, Arbeitsplätze und günstigen Wohnraum zu schaffen. Die Stadtentwicklung müsse wieder ein menschliches Gesicht bekommen, das Wachstum dürfe nicht schneller voranschreiten, als das Leben in der Stadt es vertrage. „Multiplicity“ und andere „neue, teure Marketing-Konzepte“ wie sie der jetzige Schöffenrat seit sechs Jahren verbreite, reichten der CSV nicht aus.

Die Vorschläge, die im Programm „E kloere Bléck fir ons Stad“ genauer erläutert sind, klingen ehrlich gemeint. Abgesehen von der Zusicherung an die Stammwählerschaft, dafür zu sorgen, dass das Wachstum die betroffenen Stadtviertel nicht „überfordert“, ist das Programm nicht sonderlich konservativ ausgerichtet. Seit Juncker die CSV leitet, ist die Partei auch an der Basis moderner und offener geworden. Damit ist sie für politisch interessierte BürgerInnen attraktiv, so zum Beispiel für den bekannten Aktivisten für Behindertenrechte Luciano Fratini. Statt nur Hausfrauen anzuziehen, rekrutieren die Christlich-Sozialen nun „executive women“ ? über ein Drittel der KandidatInnen sind weiblich. In letzter Minute wurde die ehemalige „Lëtzebuerger Land“- und jetzige Télécran-Journalistin Uli Botzler als Ersatz für den verstorbenen Lucien Thiel verpflichtet. Dass die Wahl der Sektion auf eine an sozialen Themen interessierte Frau fiel statt auf den als Hardliner geltenden Europaabgeordneten Frank Engel, ist wohl kein Zufall.

Doch auf Wahlversammlungen geht es nicht um Parteipolitik, sondern um die Sorgen der BürgerInnen. „Außerdem setzt sich die CSV für einen sicheren, zugänglichen öffentlichen Raum ein ? dazu gibt es gerade hier in Bonneweg einiges zu sagen“, schließt Mergen und gibt das Wort dem Präsidenten der Bonneweger Lokalsektion, Alain Biren. Dieser hat sich vor allem als Präsident der Bürgerinitiative „Stëmm vu Bouneweg“ einen Namen gemacht. Es war Biren, der Anfang 2008 dem Chamberpräsidenten eine Petition mit über 4.000 Unterschriften überreichte, die sich gegen den Betrieb der „Fixerstuff“ an der Route de Thionville richtete. Das Stadtviertel sei bereits zur Genüge durch die Präsenz des „Foyer Ulysse“ für Obdachlose belastet und vertrage keine weitere soziale Einrichtung.

Birens Parolen zum Recht der Bonneweger auf Ruhe und Sicherheit brachten ihm viel Sympathie beim Kleinbürgertum ein, aber scharfe Attacken aus fortschrittlichen Kreisen. Zwar gibt es einen breiten Konsens, dass, wie die „Stëmm vu Bouneweg“ fordert, Obdachlose und Drogenabhängige dezentral betreut werden sollen. Doch Biren führte eine Art Feldzug gegen die provisorisch-definitiven zentralen Strukturen und ihre NutzerInnen. Das aber steht einer Partei mit dem „C“ im Namen nicht gut zu Gesicht, insbesondere wenn im selben Viertel der Pfarrer einen verständnisvollen Umgang mit sozialen Randgruppen praktiziert.

Kärcher für Kirchentreppen

Mittlerweile eckt Biren nicht mehr so stark an. Entschlossen steht er vor dem Publikum und beteuert, die CSV sei zwar gegen soziale Einrichtungen in Wohnvierteln, aber für eine kohärente, gerechte Sozialpolitik. Er kritisiert den Sozialschöffen Xavier Bettel: „Der behauptet, die Probleme in Bonneweg seien nicht so schlimm und er könne nichts machen.“ Mit gerunzelter Stirn fingert Biren an seinen Notizen herum. „Es ist leider auch kaum etwas getan worden für das Viertel, mit Ausnahme der Verteilung von Gutscheinen für die öffentlichen Toiletten an die Obdachlosen … und den Fahrradpisten.“ Weiter geht Biren nicht, und als Martine Mergen wissen will, ob es Fragen im Publikum gebe, sind alle gespannt: Wird jetzt die CSV zu ihrer Bereitschaft befragt, bei den unerwünschten „Gästen“ härter durchzugreifen? Muss sie sich zwischen dem Volksempfinden und den christlich-sozialen Werten entscheiden?

Nichts dergleichen. Zwei ältere Frauen haben allerdings eine Frage mit starkem Bezug zum „C“: Die Treppe zum „Ducksal“, also zur Empore, sei unglaublich schmutzig weil „sie“ dort regelmäßig „pissten“. Mergen wiegelt ab: „Das ist unangenehm, aber nicht gefährlich und kein krimineller Akt.“ Die eine Frau, die wohl jeden Sonntag im Chor mitsingt, insistiert: „Das Problem mit diesen Leuten werden wir nicht los, aber die Treppe müsste man öfter mal mit dem Kärcher putzen.“ Dieser Gebrauch des Wortes „Kärcher“ in einem nicht metaphorischen Sinn gibt Mergen die Möglichkeit, das Problem zu versachlichen: „Ja, der Hygienedienst funktioniert immer schlechter. Auch die Kriminalität hat zugenommen. Die Polizei sollte weniger Büroarbeit haben und mehr Präsenz zeigen.“ Das will die Frau gar nicht hören, sie möchte, dass die Kirche geputzt wird. Genervt, aber immer noch dem Wahlkampf verpflichtet, versichert Mergen, das werde besser, „wenn wir in den Schöffenrat kommen“.

In der Verkehrspolitik scheint der Populismus ebenfalls out zu sein. Zwar überreichte die CSV-Jugend dem Verkehrsschöffen François Bausch dieser Tage eine „Gëllen Aachtchen“, weil es zu wenig Radwege in der Hauptstadt gebe und die vorhandenen nicht sicher genug seien ? Dinge, die der Partei völlig schnuppe waren, als sie noch im Schöffenrat saß. In diesem Wahlkampf scheint die CSV auch keine Konzessionen an die „Autopartei“ zu machen ? 2006 hatte sie noch betont, die Stadt müsse für den motorisierten Individualverkehr zugänglich bleiben.

Zum Tram macht das CSV-Programm keine klare Aussage ? die Sektion „Stad“ ist uneins – und die Präsidentin vermeidet das Thema ebenfalls. Auch das Publikum lanciert an diesem Abend keine hochtechnische Debatten über Trassenführung, Transportleistung und volkswirtschaftlichen Nutzen. Die Yuppies (young urban professionals) gehen nicht zu Wahlversammlungen, schon gar nicht zur CSV, außer wenn sie Kandidaten sind. Dafür fordert eine Gruppe von ZuhörerInnen aus der hinteren Reihe, an der Durchgangsstraße in Hamm müsse endlich ein Fußgängerübergang angelegt werden. Statt dem Schöffenrat die Schuld zu geben, versichert Théo Stendebach, es gebe dort einen Zebrastreifen. Doch die Hammer nörgeln weiter, vermutlich, weil er sich vor ihrer jeweiligen Haustür befindet. „Es gibt sogar drei!“, hält Stendebach dagegen … die Diskussion verliert sich im Stimmengewirr.

Als Martine Mergen die Versammlung für beendet erklärt, bleibt der Eindruck, dass das Engagement der CSV-KandidatInnen gut gemeint, aber nicht unbedingt ausgereift ist. Dem Charme einer Liste aus jungen, zum Teil unerfahrenen, aber engagierten PolitikerInnen steht ein Manko an Realismus gegenüber. Dass Politik das Bohren dicker Bretter ist, wird ? falls er denn Schöffe wird ? zum Beispiel Luciano Fratini feststellen, wenn er mit den zuständigen Verwaltungen über einen behindertengerechten öffentlichen Raum verhandeln muss. Solche Erfahrungen mussten die grünen Neuankömmlinge, denen es auch nicht an Ideen fehlte, im städtischen Apparat ebenfalls machen. Dass dieser Fall 2011 eintritt, erscheint angesichts des friedlichen Wahlkampfklimas zweifelhaft. Ob die CSV wohl selber daran glaubt? Die orangefarbenen Kugelschreiber, die sie verteilt, schreiben jedenfalls weder in der neuen noch in der alten Parteifarbe, sondern … blau!


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