WICKRANGE-LIVANGE: Stadion als Anhang

Vertraulich ist nicht dasselbe wie geheim. Die Erläuterungen der Regierung zu einem ominösen Brief an gleich zwei Baupromotoren lassen viele Fragen offen.

Stadion mit Einkaufszentrum oder Einkaufszentrum mit Stadion:
Auch der im Juli vorgestellte Masterplan und die Variantenstudien der Beraterbüros scheinen im
Trüben zu fischen.

Nicht, wie angekündigt, vier, sondern gleich sechs Minister standen den Mitgliedern dreier Parlamentskommissionen am Mittwoch Rede und Antwort, um darzulegen, wie es zu dem vom Mouvement Ecologique Ende letzter Woche veröffentlichten geheimen Brief an die Promotoren Guy Rollinger und Flavio Becca gekommen war.

In diesem Schreiben vom April 2009 hatten (Ex-) Sport- und Wirtschaftsminister Jeannot Krecké, (Ex-) Landesplanungs- und Innenminister Jean-Marie Halsdorf und Premier Jean-Claude Juncker erklärt, dass die Luxemburger Regierung „fermement“ den Bau eines nationalen Fußballstadions in Livingen zusammen mit den notwendigen kommerziellen Anlagen, die eine ökonomische Rentabilität des Vorhabens sichern sollen, unterstütze. Im Gegenzug verlange man vom „Groupe Guy Rollinger“, ihr in Wickringen geplantes Einkaufszentrum kleiner zu dimensionieren als ursprünglich geplant. Die in Wickringen unerwünschten Vorhaben könne die Gruppe stattdessen in Livingen realisieren, müsse sich dafür allerdings zuvor mit dem Besitzer der Mehrzahl der benötigten Parzellen arrangieren. Die Regierung werde alles daran setzen, das gemeinsame Vorgehen in Livinigen zum Erfolg zu führen. Diese Abmachung sei „hautement confidentiel“, und der Inhalt des Briefes dürfe von den Empfängern keinesfalls an Dritte weitergegeben werden. Nur die Regierung sei berechtigt, darüber zu kommunizieren.

Dass dieser jetzt aufgetauchte Brief bei den Livange-Gegnern einiges Erstaunen hervorrief, sei, so Premier Juncker, durchaus verständlich. Doch verwahrte er sich zugleich mit Nachdruck gegen den Vorwurf, er oder Mitglieder seiner Regierung ließen sich von privaten Baupromotoren beeinflussen oder gar bestechen.

Nun ist es ein altbekanntes taktisches Mittel, sich vehement gegen Anschuldigungen zu wehren, die gar niemand gemacht hat, um von denen abzulenken, die objektiv vorhanden sind und im Raume stehen. Dass der Premier bestechlich sei, hatte niemand behauptet. Vielmehr wollten die Vertreter der vier Oppositionsparteien wissen, ob die Minister für sich, ihre MinisterkollegInnen und hohe Beamte aus ihren Ministerien versichern könnten, dass sie „von keinen materiellen oder immateriellen Vorteilen im Zusammenhang mit den Vorhaben in Livingen oder Wickringen profitiert haben“. Denn verschiedene Medienberichte hatten zumindest einen hohen Beamten des Landesplanungsministeriums und den Sparkassenchef namentlich angeführt. Außerdem ist bekannt, dass der Fraktionschef der LSAP und ehemalige Umweltminister Lucien Lux sehr gute Beziehungen zu Flavio Becca unterhält und eines von dessen Häusern bewohnt, das dieser wiederum vom Sparkassenchef käuflich erworben hat.

Zu diesen „Unschönheiten“, wie sie in einer Vorabveröffentlichung des „forum“ genannt werden, äußerte sich allerdings keiner der Minister. Als die Oppositionsvertreter nachhakten, verwies der Premier auf seinen Finanzminister: Als Regierungschef sei ihm gar nicht klar, wie viel er überhaupt zu den Aktivitäten der Staatsbank, die ja ihrerseits dem Bankgeheimnis unterliege, öffentlich sagen könnte. Da sei der Ressortminister besser befugt. Forum und vorher Mouvement Ecologique hatten die Präsenz des obersten Sparkassenmannes im Verwaltungsrat der Finanzholding Flavio Beccas moniert (siehe woxx 1130). Das Dementi der Sparkasse zu den Ausführungen des Meco ließ – ähnlich wie jetzt die Einlassungen von Premier Juncker – mit Blick auf das Bankgeheimnis alle Fragen offen.

Somit bleibt der Verdacht bestehen, dass Flavio Becca, bei dem inzwischen Hausdurchsuchungen durchgeführt wurden, hochgradig bei der BCEE verschuldet ist und dass ein Scheitern seines Vorhabens in Livingen ungeahnte Folgen für die Finanzlage seines Geldgebers haben könnte.

Ohne auf diese konkreten Vorwürfe einzugehen, gaben der Premier und seine Minister dann die „Geschichte hinter der Geschichte“ des Briefes, der für so viel Aufregung gesorgt hatte, preis. Der Brief sei deshalb als „besonders vertraulich“ eingestuft worden, weil die Rollingergruppe zunächst einen geregelten Ausstieg aus dem ursprünglichen Wickringen-Projekt organisieren musste. Die Gruppe wollte sich, ohne Schaden zu nehmen, von ihrem Partner ING-Real Estate lösen. Sprich: Der durfte vom Livingen-Deal nichts erfahren.

Diese Ausführungen mögen plausibel klingen, sie erklären aber nicht, weshalb in dem Brief den Promotoren eine Geheimhaltungspflicht auferlegt wurde, während die Regierung sich das Recht vorbehielt, das Schreiben öffentlich zu machen. Ein Recht, das sie jedoch auch dann nicht in Anspruch nahm, als sie wenige Monate später informiert wurde, dass es nicht nur gelungen war, den ursprünglichen Partner abzuwimmeln, sondern auch, wie von der Regierung gewünscht, Rollinger und Becca ein Übereinkommen erreicht hatten. Dies geschah am 20. Mai des Wahljahres 2009. Aber auch nach den Wahlen im Juni blieb das Papier unter Verschluss.

Juncker gab an, in dieser Affäre nur mit Guy Rollinger, mit dem sich die Regierung in der Angelegenheit Wickringen in einem Rechtsstreit befand, gesprochen zu haben. Flavio Becca sei ihm erst durch dessen Tätigkeit als Radsponsor – und lange nach dem Deal – bekannt geworden. Juncker: „Das ist ein Milieu, von dem ich weit weg bin.“ Das hielt ihn freilich nicht davon ab, als Premierminister ein höchst vertrauliches Schreiben an eine ihm vollkommen unbekannte Person zu richten.

Nationales Interesse

Die mehr als dreistündige Sondersitzung der Chamber förderte aber noch eine andere „Geschichte hinter der Geschichte“ zu Tage, die die Abgeordneten und die zuschauende Öffentlichkeit nicht weniger in Erstaunen versetzte.

Um sich gegen den Verdacht zu wehren, Flavio Beccas Ausführungsgeselle zu sein, betonte Ex-Sportminister Krecké, die Wahl des Standorts Livingen sei durch die Regierung erfolgt, nachdem andere Standorte aus diversen Gründen als nicht-kompatibel eingestuft worden waren. Als man herausgefunden hatte, dass Becca im Besitz der meisten für den Bau der Anlagen erforderlichen Flächen war, habe man ihm angeboten, die Parzellen zu kaufen. Doch der habe abgelehnt – mit dem Angebot, das Projekt selber realisieren zu wollen.

Selbst wenn diese Version des Ministers – der ursprünglich mit einem anderen Privatunternehmen versucht hatte, ein kombiniertes Stadion/Einkaufszentrum auf die Beine zu stellen, dann aber kein geeignetes Grundstück fand – stimmen sollte, bleibt der vom Meco geäußerte Verdacht, dass die Promotoren es sind, die bestimmen, was, wo und wie gebaut wird, bestehen.

Krecké bestätigte aber auch, dass es die von vielen kritisierte Kombination von Stadion und Einkaufszentrum war, die zu einer Standortwahl führte, die mit den geltenden landesplanerischen Prinzipien nicht zusammenpasst. Eine für dieselbe Örtlichkeit in den 1990er Jahren von der Gemeinde Roeser beantragte Umklassifizierung in eine Aktivitätszone war noch höchstrichterlich abgelehnt worden.

Weil aber, so der alte und der neue Landesplanungsminister, das Fußballstadion als ein Vorhaben „von nationalem Interesse“ eingestuft wird, gelten für das neue Projekt andere Bewertungskriterien, weshalb der entsprechende Bericht der „Commission d’aménagement“ diesmal zu anderen Schlussfolgerungen gelangt sei.

Betrachtet man die benötigten Flächen, so erscheint das Stadion allerdings eher als ein Anhängsel des Einkaufszentrums. Dieses wurde ja deshalb so großzügig dimensioniert, weil es die Kosten für das Stadion mittragen soll. Ein Konzept, das sich Jeannot Krecké von Anlagen in den Niederlanden abgeschaut hatte und von dem er als Sport- aber auch als Wirtschaftsminister ganz begeistert war.

Ob ein solches Konzept für Luxemburg überhaupt einen Sinn hat, wurde bislang nicht ausdiskutiert. Nur weil nach 2007 die Luxemburger Staatskasse etwas klamm war, und sich das Geld für ein öffentlich finanziertes Stadion nicht ohne größere Schwierigkeiten auftreiben ließ, begab sich die Regierung auf Standortsuche für ein Projekt, für das es nachweislich keinen wirklich geeigneten Standort gibt, und vor allem keinen allseits anerkannten Bedarf. Und auch die Hoffnung, dass es in Livingen besonders schnell gehen könnte, hat sich ja inzwischen zerschlagen.

Laut Premier Juncker lassen sich aus dem vertraulichen Brief keinerlei die Regierung bindenden Verpflichtungen herauslesen. Zudem betonte er, die Realisierung sei alles andere als gesichert, da selbstverständlich die üblichen Verfahren eingehalten würden. Bleibt als einzige Frage, weshalb die Regierung dann an einem Vorhaben festhält, das die wenigsten wollen und das in der geplanten Form kaum Sinn macht – sofern der Verdacht der Überverschuldung Beccas und der damit drohenden Finanzierungsblase bei der Staatssparkasse vom Finanzminister denn tatsächlich entkräftet werden kann.


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