POP: Redboy und die bösen Schlagworte

My Little Cheap Dictaphone sind die momentan wohl überbewerteteste Band aus der sonst so ertragreichen belgischen Indieszene. Mit ihrem monumentalen Konzeptalbum „Tragic Tale of a Genius“ kommen sie nach Dudelange ins Kulturzentrum opderschmelz.

Haben sich an ihren Vorschusslorbeeren überfressen: My Little Cheap Dictaphone.

My Little Cheap Dictaphone (MLCD) sind eine vierköpfige Band aus dem belgischen Lüttich, die sich aktuell auch außerhalb ihres Heimatlandes auf Erfolgskurs befindet. Für ihr aktuelles Album „Tragic Tale of a Genius“ haben sie alle Register gezogen – von orchestralen Arrangements bis zu Gastauftritten berühmter Sänger – und haben so ihr Etappenziel „Medienaufmerksamkeit im englischsprachigen Ausland“ erreicht. Und solange sie das Motto „any press is good press“ nicht stört, können die Jungs stolz auf sich sein.

Das Problem liegt hier wie in so vielen Dingen im Auge des Betrachters. Das belgische Auge, das heißt die Öffentlichkeit, sieht in MLCD eine lokale Band, angeführt von Sänger und Gitarrist Redboy (und ja, die Neigung für schlechte Namen zieht sich weiter als nur bis zum Bandnamen), die sich seit ihrem ersten Album 2002 konstant hochgearbeitet hat und sich so zu einer der besten Bands der aktuellen belgischen Musiklandschaft entwickelt hat. Das zeigt sich nicht zuletzt darin, dass MLCD 2010 die belgischen Octaves Musikauszeichnungen in den Kategorien „beste Band“ und „bestes Album“ gewannen.

Die englische Tagespresse sieht MLCD so auch mit anderen Augen, oder besser gesagt hört sie mit anderen Ohren. Übel nehmen kann man es den Journalisten kaum, denn wer mit dem tausendsten irgendwie nach Coldplay und Arcade Fire klingenden Album bombardiert wird, wird seines Lebens irgendwann nicht mehr glücklich.

Leider ist dies nicht das Ende des Liedes. Denn während die Band ein paar sehr kreative, abwechslungsreiche Songs auf den Vorgängeralben abgeliefert hat, scheitert „Tragic Tale of a Genius“ an den eigenen Ansprüchen. Man sieht, dass MLCD dieses Mal ein Meisterwerk schaffen wollte: Ein Konzeptalbum mit vielen orchestralen Elementen, teilweise mit über 30 Instrumenten pro Song. Bei diesem Höhenrausch bleibt der Inhalt jedoch auf der Strecke: Die Melodien und Strukturen der Songs sind uninspiriert und die Gastauftritte von Sängern wie Mercury Rev’s Jonathan Donahue tragen wenig dazu bei, die Spannung zu steigern.

Leicht prätentiös erscheint in diesem Zusammenhang auch der Titel des Albums und seine Klassifikation als „Konzeptalbum“. Laut Band geht es hier nämlich um den Aufstieg und Untergang des Beach Boys Brian Wilson. Die Umsetzung jedoch ist sehr schwammig, und die Songtexte bedienen sich regelmäßig sprachlicher Klischees und großer Schlagwörter – viel Lärm um nichts, sozusagen. Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man meinen, dieses Album beschreibe den Leidensweg Britney Spears.

Überzeugend ist gerade ein Detail, das nicht so richtig in das Konzept des Albums reinzupassen scheint: Das Bühnenbild für die Konzerttour. Die Bühnenbildnerin Catherine Cosme hat eine Kulisse für Videoprojektionen geschaffen, die fluoreszierende Hochhäuser und 1950er-Jahre-Fernsehen beinhalten. Das schreit zwar nicht unbedingt „Brian Wilson!“, ist aber eine Hommage an die Soundtrack-Kultur, für die sich MLCD schon lange begeistet, und die sie oft musikalisch heraufbeschwört. Wünschenswert wäre, dass die Band diesen Enthusiasmus für ein facettenreicheres Genre nutzt und sich beim nächsten Album wieder auf die eigenen Stärken besinnt. Denn MLCD hat zu viel Potenzial, um sich hinter leeren Schlagworten verstecken zu müssen.

Am 20. Oktober im Kulturzentrum opderschmelz.


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