THEATER: Seelenlose Existenzen

Einen allgemeinen Werteverlust in Zeiten der Finanzkrise beklagt Guy Helminger in seinem neuen Stück „Das Leben hält bis zu-letzt Überraschungen bereit“ – Künstlichkeit und sinnentleerte Existenz sind seine Folgen. Ana Maria Krassnig bringt den Stoff als sterile Barbiepuppenwelt auf die Bühne. Ein Dasein, in dem alles hohl ist und nichts (mehr) Bestand hat ?

Mehr Schein als Sein:
Die blitzblanke Welt der Broker.

Bei einem so ambitionierten Titel kann es ja nur in die Hose gehen, können die Erwartungen nur enttäuscht werden. So wenig Überraschungen wie in Guy Helmingers Bühnenstück „Das Leben hält bis zuletzt Überraschungen bereit“ gibt es jedenfalls selten im Theater. Aber womöglich ist gerade das die Kunst, so ein Übermaß an Oberflächlichkeit zu schaffen? „Ich wollte etwas Künstliches produzieren. Das Thema ist Künstlichkeit, so wie dieses gesamte Finanzsystem Künstlichkeit ist“, charakterisiert Helminger sein neues Bühnenstück, ein Auftragswerk für die aktuelle Spielzeit im Grand Théâ-tre, das Frank Feitler im letzten Jahr bei ihm in Auftrag gab. Im Zeichen der Bankenkrise entstanden, liegt es voll im Trend. Auf vielen großen Bühnen wird derzeit über gescheiterte Banker, die Finanzkrise und den Kapitalismus räsoniert, mindestens der „Große Gatsby“ wieder aufgelegt. Und wo könnte dies besser funktionieren als in Luxemburg, dem Euro- und Bankenland par excellence?

Das Bühnenstück ist denn auch bewusst system- und gesellschaftskritisch angelegt. Vermutlich versucht Anna Maria Krassnigg in ihrer Inszenierung, dies zu unterstreichen, indem sie eine sterile Plastikwelt entwirft ? das Klischee einer neureichen Welt des Scheins.

„Theater ist was Artifizielles – diese Welt, die es beschreibt, diese Welt des Geldes, das die neue Religion ist – Broker arbeiten nur im artifiziellen Bereich – das hat nur mit Künstlichkeit zu tun.“

Das Erfolgsehepaar Toni (Martin Schwanda) und Grace (Isabella Wolf) lebt in seinem protzig eingerichteten postmodernen Plastikhaus. Er, der smarte Broker in blassrosa Hemden, sie, die braungebrannte Blondine, ehemalige Stewardess, im weißen Minirock und mit weit ausgeschnittenem Dekolletee. Zwischen Bloody und Virgin Mary und Sushi tauscht man sich über Alltagsbanalitäten aus, lässt, fast zwei Stunden lang, die Unterhaltungen an der Oberfläche dahinplätschern. Ins Wanken gerät diese heile Welt erst durch Tonis stichelnden Arbeitskollegen Jesus (Luc Feit ? gewitzt und souverän in seiner Rolle), der nach Feierabend die Frau seines Arbeitskollegen befummelt und diese Welt mit seiner ewig gleichen
Leier nach Seele und Sinn hinterfragt.
„Da steht plötzlich Jesus neben mir und ruft zwischen Sushi und Line-Legen ? es ist nicht mehr das, was man i(s)ßt“. Jesus auf der einen Seite und auf der anderen die revoltierenden „Kids“ der Putzfrau, der Putzliesel: Gemeinsam rütteln sie immer mal wieder am künstlichen Gefüge. Die Kids halten in ihrem Straßenköterslang Grace ihre Oberflächlichkeit vor Augen und treiben sie mit ihren Verbalattacken mitunter an den Rand des Wahnsinns. „Grace, Du siehst blendend aus ? brauchst nicht mehr in die Änderungsfleischerei“, scherzen sie etwa, oder „perfektes Nippelwetter heute“. Ein paar Songs lockern die trostlose Scheinwelt der Neureichen auf.

Während die sonnenbankgebräunte Grace auf Highheels über die Bühne stakst und fieberhaft überlegt, welche Berufsbezeichnung sie auf ihre Visitenkarten drucken lassen soll, sich in einer anderen Szene lasziv im weißen Bikini auf dem Tisch räkelt, und über den bedauerlich kleinen Schwanz ihres Mannes schwadroniert, oder in einer dritten ihr aseptisch reines Wohnzimmer nach Staubfuseln absucht, für die sie die „Staubliesel“ verantwortlich macht, turnen die Kids, mit Kopfhörern und abgerissenen Klamotten zu Punks stilisiert, auf kleinen Balkons an den Seiten der Bühne herum und kommentieren die Welt der Neureichen in gemimtem osteuropäischem Asi-Akzent. Das ist entschieden zu viel. Müssen so viele Klischees wirklich sein, um den Werteverlust unserer Gesellschaft vor Augen zu führen?

„Es geht bergab, nicht weil die Leute nicht mehr arbeiten wollen und Hartz IV beziehen, sondern im Gegenteil, weil oben die Moral fehlt. Unsere Finanzkrise im Moment ist keine des Geldes, sondern eine Krise der Moral!“

Muss es den Zuschauern so dick aufs Butterbrot gestrichen werden? Ja, verteidigt Helminger sein Stück. Denn oberflächlich sei zwar das Leben der Leute, so wie es dargestellt wird, aber der Text versuche, diese Oberfläche aufzubrechen, indem er Parallelen zwischen Religiosität und Geld herstelle und Sprachspiele enthalte, die die Kommunikation der Akteure ad absurdum führen: Wenn „Ich will bleiben“, mit „Dein Wunsch, zu bleiben kann Bestand haben, aber Du musst gehen“ beantwortet wird ? so würden dadurch Situationen geschaffen, die die Unmöglichkeit der Kommunikation plastisch vor Augen führen. Die Trennung zwischen geäußertem Wunsch und der wirklichen Person, die diesen verspürt ? diese Künstlichkeit sei es, die den Kern des Stückes ausmache. „Es hat damit zu tun, dass ich glaube, dass Geld die neue Form der Religion ist. Das ist ja nichts Neues, und damit spiele ich.“ Theater müsse sich mit zeitgenössischen Fragen befassen ? schmerzen solle es.

Manche Sätze, die auf der Suche nach einer Seele, einem Lebenssinn, nach Wirklichkeit zwischen all den Cocktails gesprochen werden, tun in ihrer Banalität in der Tat fast weh. „Denen in Katmandu kann ich eh nicht helfen.“ „Fühlst Du Dich nicht besser, wenn Du den Obdachlosen an der Ecke was gibst, Grace? Das fühlt sich so an, als wäre da noch was.“ Beschränkt ist die Gedankenwelt der Reichen, leider aber wird die des Publikums beim Zuschauen auch nicht gefordert, wenn auch einige der Dialoge und Monologe gewitzt und bissig daherkommen und Helmingers wortgewandter Schalk zwischen den Zeilen aufblitzt. Die Wirkung versickert angesichts dieser Plastikwelt, in der die Figuren wie Abziehbilder wirken und hilflos aneinander vorbeikommunizieren.

Das ist schade, denn kennt man Guy Helmingers Prosa, weiß man, dass nur wenige so zielsicher unterwegs sind wie er, den Nagel so genau auf den Kopf treffen, mit solcher Leichtigkeit gesellschaftliche Missstände durch kleine Alltagsgleichnisse offenlegen.

„Es geht nur um Künstlichkeit, und durch diese Künstlichkeit sterben Werte, und ich glaube, dass wir in genau so einer Zeit leben.“

Doch diese Inszenierung ist so dick aufgetragen und so eindeutig, setzt so offenkundig auf Hosenstallhumor, dass man nach fünf Minuten meint, die gesamte Handlung überblicken zu können und sich gähnend dem absehbaren Ende entgegensehnt. Dass am Ende nichts bleibt und das Stück nicht nachwirkt, versteht sich, wird doch lediglich ein Abbild einer Scheinwelt vorgeführt. Motivationen, Zusammenhänge und vor allem Ursachen werden nicht benannt, Reflexionen über die Gesellschaft allenfalls in Andeutungen versucht. Helminger entzieht sich der Analyse und verquirlt die Gesellschaftskritik zu einem allgemein verträglichen Brei, indem er einfach den Werteverfall und das Fehlen von Moral beklagt. Krassnigs Inszenierung macht es noch schlimmer. Statt zu provozieren, reproduziert sie ein Klischee nach dem anderen, so dass das Ganze zur Posse wird.

Wen wundert’s da noch, dass Grace und Tony schließlich ihre Erfüllung in der virtuellen Welt finden. Na klar, das durchsichtige Internet und seine Fallstricke. „Ich denke das Schlimmste ist, dass man sich ständig erinnert“ plärrt Grace, bevor sie einen hysterischen Zusammenbruch erleidet angesichts des Verlusts ihres neuen Handys. Im Hintergrund kündet ein verquäktes Geräusch aus dem Netz von einem erfolgreichen Kaufabschluss. Da hat er wohl gerade Erdnüsse im Internet gekauft, erfahren die Zuschauer ? für 17 Millionen ersteigert. Es fehlen nur noch die Bitte-Lachen-Tafeln.

Schließlich ist es die junge Generation, sind es die Kids, die ein bisschen Gerechtigkeit schaffen, die heranziehende Katastrophe vollstrecken. So wie sie auch schon früh konstatieren, dass diese Gesellschaft irgendwie „im Arsch“ ist. Grace und ihr Lover werden in flagranti in der Wohnung des Erfolgspaars ertappt und kurzerhand mit dem Beil erschlagen ? der Wohnungseinrichtung wird auch gleich noch der Garaus gemacht. So rächen die Kids die täglichen Erniedrigungen, denen ihre Mutter dort als Putzkraft ausgesetzt ist, wenigstens ein kleines bisschen. Ein Tohuwabohu biblischen Ausmaßes? So mag es gedacht sein. Doch dieser vermeintliche Knalleffekt ist bezeichnend für das ganze Stück. Höhnisch lachend sitzen die Kids am Ende vorm Fernseher und zwingen Toni hinzusehen. „Hast Du schon mal so einen fetten Menschen gesehen? Na siehst Du ? das Leben hält bis zuletzt Überraschungen bereit.“ Noch witzloser kann es wohl nur in luxemburgischen Soaps zugehen.

Weitere Vorstellungen am 18. und 19. November um 20 Uhr im Théâtre d’Esch-sur-Alzette


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