ITALIEN: Bloß keine Wahlen!

Nicht wegen der Skandale, die er produziert hat, musste er weichen: Berlusconi wurde untragbar, weil er keine stabile Mehrheit beschaffen konnte, um die von EU und IWF geforderte Politik umzusetzen. Mit Mario Monti an der Spitze sollen nun die wirtschaftspolitischen Technokraten ans Ruder.

Zu früh gefreut: Schon zweimal war Berlusconi vor seinem
jetzigen Rücktritt weg vom Fenster – ein Ereignis, das 2006 sogar mit einer Filmkomödie gefeiert wurde.
Ob der Vorhang für ihn nun definitiv zum letzten Mal gefallen ist?

Der Ausgang der italienischen Regierungskrise bescheinigt den Bankrott der parlamentarischen Opposition und den Verlust der politischen Handlungsfähigkeit der Linken. Deshalb reagierte die Bevölkerung vergangene Woche nicht überwiegend mit ausgelassener Freude, sondern mit hasserfülltem Ressentiment: Als Silvio Berlusconi bei Staatspräsident Giorgio Napolitano vorfuhr, um seinen Rücktritt einzureichen, wurde er von wütenden Sprechchören begleitet. Das Bewusstsein einer bitteren Niederlage ließ sich nicht verdrängen: der „Medienmogul“ musste nicht wegen seines Interessenkonflikts abtreten, der „Bunga-Bunga-König“ wurde nicht wegen seiner Sexgeschäfte gestürzt und seine Amtskollegen hätten die peinlichen Späße des „Clowns“ bei internationalen Konferenzen wohl noch länger erduldet.

Italiens Ministerpräsident musste zurücktreten, weil seine Rechtskoalition infolge interner Zerwürfnisse seit über einem Jahr keine sicheren Mehrheitsverhältnisse garantieren und die von der EU-Kommission, der Europäischen Zentralbank (EZB) und dem Internationalen Währungsfond (IWF) geforderte Haushalts- und Strukturpolitik nicht durchsetzen konnte. Ebenso stand für die internationalen Partner zu befürchten, Berlusconis Regierung könnte den „sozialen Frieden“ nicht aufrechterhalten, jedenfalls nicht ohne den aufsehenerregenden Einsatz von staatlicher Gewalt. Nachdem er auf die Aufforderungen und Handlungsanweisungen der europäischen Institutionen nur noch mit Versprechen und Absichtserklärungen antworten konnte, wurde ein Regierungswechsel unumgänglich. Doch um sicher zu sein, dass die Sparprogramme rigoros umgesetzt würden, galt es Neuwahlen zu vermeiden. Denn erst im Frühjahr hatten die Kommunalwahlen in Mailand und Neapel gezeigt, dass parteiunabhängige, links ausgerichtete Kandidaten mit alternativen Programmen mehrheitsfähig werden konnten.

Mit der Nominierung Mario Montis zum neuen Ministerpräsidenten Italiens haben EU, EZB und IWF ihren Wunschkandidaten durchgesetzt. Man kennt und schätzt sich: Von 1995 bis 2004 war Monti EU-Kommissar, zunächst für den Binnenmarkt, später für den Wettbewerb. Er ist Mitglied der Bilderberg-Konferenz und der Trilateralen Kommission, bis zu seiner Nominierung zum Regierungschef war er als Berater für die amerikanische Investmentbank Goldman Sachs tätig und Präsident der privaten Wirtschaftsuniversität Bocconi in Mailand.

Monti wird einer sogenannten „technische Regierung“ vorstehen, in der die Schlüsselpositionen nicht von Politikern, sondern von Männern aus dem Bocconi-Umfeld besetzt werden. Die neue Regierung wird das letzte Woche in aller Eile und ohne parlamentarische Diskussion verabschiedete „Stabilitätsgesetz“ umsetzen. Mit Kürzungen in der öffentlichen Verwaltung, dem Verkauf öffentlichen Eigentums, der Privatisierung von Staatsbeteiligungen und der Erhöhung des Renteneintrittsalters sollen die Staatsschulden abgebaut werden, während durch eine weitere Deregulierung des Arbeitsmarktes und die fortgesetzte neoliberale Umstrukturierung des Bildungssektors die wirtschaftliche Stagnation überwunden werden soll.

Die sozialen Bewegungen wollen gegen die „kommissarische Übernahme“ der Politik durch Wirtschaftsexperten mobilisieren.

Dass Berlusconi seinen Rücktritt zunächst nur ankündigte und an die Verabschiedung des „Stabilitätsgesetzes“ knüpfte, war ungewöhnlich. Ungewöhnlich aber war das gesamte italienische Krisenmanagement. Staatspräsident Napolitano ließ sich auf die Extravaganz Berlusconis ein, weil er längst selbst außergewöhnliche Maßnahmen ergriffen hatte. Schon Tage vor dem angekündigten Rücktritt hatte er „informelle“ Gespräche mit den verschiedenen Fraktionsvorsitzenden eingeleitet. Noch bevor Berlusconi sein Mandat offiziell niederlegte, war klar, dass er die Auflösung der Kammern und die Ausschreibung von Neuwahlen verhindern und stattdessen eine Übergangsregierung einsetzen wollte. An ihrer Spitze sollte ein Technokrat stehen, einer der die Gunst der internationalen Politik und Wirtschaft genoss. Nicht umsonst war Napolitano in den letzten Wochen von der internationalen Diplomatie als „Garant“ Italiens gepriesen worden. Als er Monti inmitten der turbulenten letzten Woche zum Senator auf Lebenszeit ernannte, war das keine „Überraschung“, sondern ein klug kalkulierter Schachzug des 86-jährigen Politveteranen.
Napolitanos Auszeichnung nahm Montis Nominierung zum Präsidenten einer Übergangsregierung vorweg. Erwartungsgemäß beruhigten sich „die Märkte“: die Renditen für italienische Staatsanleihen, die tagelang in prohibi-tive Höhen gestiegen waren und die Angst vor einem Bankrott der drittgrößten europäischen Wirtschaftsmacht geschürt hatten, sanken auf den noch immer hohen Durchschnittswert der letzten Monate. Damit war die Diskussion um vorgezogene Neuwahlen beendet, entsprechende Forderungen galten fortan als „unverantwortlich“.

Anders als Berlusconis treueste Anhänger kolportieren, handelt es sich jedoch nicht um eine Verschwörung von „Finanzoligarchien“, es gibt kein jüdisch-freimaurerisches Komplott des ehemaligen Kommunisten Napolitano. Zum einen wurde sein Sturz offen vorbereitet. Schon vor zwei Wochen schickten die EU-Wirtschaftskommission, die EZB und der IWF Kontrolleure nach Rom. Noch am Tag des Rücktritts reiste EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy an, um ohne diplomatische Umschweife zu erklären: „Das Land braucht Reformen, keine Wahlen.“ Diese offene Einmischung in inneritalienische Angelegenheiten ist zum anderen auf die Handlungsunwilligkeit der größten Oppositionspartei zurückzuführen. Seit über einem Jahr vermied es der Partito Democratico (PD), konsequent auf Neuwahlen zu drängen. Denn sein Vorsitzender, Pierluigi Bersani, hätte seine Spitzenkandidatur nicht nur gegen parteiinterne Konkurrenz durchsetzen müssen, vielmehr hätte er riskiert, in koalitionsinternen Vorwahlen des Mitte-Links-Bündnisses eine Niederlage zu kassieren. Mit Apuliens Ministerpräsident Nichi Vendola hätte ein Kandidat der Linkspartei Sinistra Ecologia e Libertà (SEL) Aussichten auf den Sieg gehabt. Er spricht sich seit Monaten gegen die deutsch-französische Sparpolitik des „karolingischen Europa“ aus und fordert stattdessen den Aufbau eines „mediterranen“ Europa.

Nun markiert die Regierung Monti für beide politischen Lager eine Zäsur: Berlusconis „Popolo della Libertà“ (PdL) ist bereits in Auflösung begriffen. Nachdem zunächst einige Abgeordnete zur Union des christdemokratischen Zentrums übertraten, hat sich inzwischen eine ganze Gruppe „Liberaler für Italien“ von der PdL-Fraktion abgespalten. Allerdings ist nicht ausgemacht, ob damit die politische Ära Berlusconis tatsächlich beendet ist. In seiner vorerst letzten Videobotschaft versprach er seinem Publikum, zukünftig „sein Engagement für Italien zu verdoppeln“. Das Versprechen sollte als Drohung ernst genommen werden.

Sein bisheriger Koalitionspartner, die Lega Nord, hat sich dagegen eindeutig für die Oppositionsrolle entschieden. Sie wird sich vorerst auf ihre territorialen Wurzeln berufen und mit ihrer europafeindlichen, regionalistischen Propaganda ihre angestammte Wählerklientel zu festigen suchen.

Für die Demokraten könnte Montis Übergangsregierung zur Zerreißprobe werden: Der rechte Parteiflügel ist zufrieden und hofft, im Verein mit dem christlichen Zentrum Italien endlich zu „modernisieren“, indem die EU-Direktiven konsequent umgesetzt werden. Der linke Parteiflügel fordert dagegen gemeinsam mit den italienischen Indignados und der Partei „Italien der Werte“ (IDV) eine alternative Politik, hat aber nahezu jede Einflussmöglichkeit verloren. Nur wenn die Linken es geschafft hätten, Neuwahlen zu organisieren und zu gewinnen, hätte mit einer neuen Mitte-Links-Koalition der angestrebte „Systemwandel“ eingeleitet werden können. Auch ihre letzte Hoffnung, Montis Regierung möge „zweckgebunden“ und von kurzer Dauer sein, wird sich kaum erfüllen. Vendolas Forderung, sie solle sich auf die Einführung einer hohen Vermögenssteuer beschränken, den Verteidigungsetat kürzen und bereits im Frühjahr 2012 Neuwahlen ansetzen, ist unrealistisch. Die Regierung wird vielmehr den “ nationalen Notstand“ für so schwerwiegend erklären, dass sie die Verwaltung der Amtsgeschäfte bis zum Ende der Legislaturperiode 2013 rechtfertigen kann.

Ob Montis Kabinett nicht nur die parlamentarische Opposition, sondern auch den sozialen Antagonismus zurückdrängen kann, ist dagegen noch offen. Die sozialen Bewegungen sind entschlossen, gegen die „kommissarische Übernahme“ der Politik durch Wirtschaftsexperten zu mobilisieren. Das Bündnis „Vereint für die Alternative“, in dem sich Schüler und Studierende, Prekäre und Arbeiter aus der Metallbranche zusammengeschlossen haben, will der „Diktatur des Finanzkapitals“ Widerstand entgegensetzen und damit gleichzeitig „eine neue Gesellschaft, ein neues Entwicklungsmodell vorstellen“. Dieses Entwicklungsmodell basiert auf der Idee vom „Gemeingut“. In der Commons-Bewegung finden verschiedenste antagonistische Strömungen zusammen, denn einerseits drohen die geplanten Privatisierungen das Ergebnis des Volksentscheids vom vergangenen Juni außer Kraft zu setzen, wonach die Wasserversorgung in öffentlicher Hand verbleiben muss. Andererseits verstößt die bevorstehende Privatisierungs- und Sparpolitik insgesamt gegen die politische Zielsetzung der Commons-Bewegung. Für Ende November ist eine nationale Demonstration geplant, dann wird sich zeigen, wie viel Unterstützung die außerparlamentarische Opposition für ihren radikalen Widerstand gegen die Notstandsregierung hat.

Catrin Dingler ist freie Journalistin und lebt zwischen Rom und Stuttgart.


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