GEMEINDEWAHLEN: Luxembourg-Plage

35 Jahre galt: Nichts ist langweiliger als die Gemeindewahlen in der Hauptstadt – an Blau-Schwarz, in genau dieser Reihenfolge, war nicht zu rütteln. Jetzt schickt sich die CSV an, die liberale Festung Luxemburg
zu erstürmen.

Als im Juni 2004 die Stimmen im Hauptwahlbüro des Bezirks Zentrum ausgezählt waren, gab es vor allem einen Verlierer: Paul Helminger, liberaler Bürgermeister der Hauptstadt, schaffte den direkten Sprung ins Parlament nicht mehr – der nach dem Premiereminister wohl prestigeträchtigste politische Posten im Lande hatte ihm nichts genutzt. Weil seine Partei auch noch aus der Regierungsverantwortung entlassen wurde, konnte Helminger nicht einmal nachrücken. Erst die zögerliche Annahme des Europamandats durch seine Parteikollegin Lydie Polfer machte einen Stuhl frei. Helminger war wieder „Député-Maire“ wie schon vor dem Juni 2004.

Doch die Entmachtung folgte nur wenig später. Anfang 2005 – nur neun Monate vor den Gemeindewahlen – stand fest: Der Bürgermeister der Stadt Luxemburg wird nicht der Spitzenkandidat seiner Partei für den Bürgermeisterposten sein. Vielmehr soll das Zugpferd Lydie Polfer die Macht der Blauen in der Hauptstadt sichern.

Spätestens seit der Veröffentlichung einer Ilres-Umfrage Anfang September sind Zweifel angebracht, ob die Rechnung der Liberalen aufgehen wird. Die Methode, vor allem mit starken Persönlichkeiten möglichst viele Stimmen zu ködern, scheint ihre Wirkung zu verlieren. Neben dem aktuellen Bürgermeister stellt die DP mit Colette Flesch und der bereits erwähnten Lydie Polfer gleich zwei ehemalige Bürgermeisterinnen auf. Und auch die ehemalige Erziehungsministerin Anne Brasseur ist bekanntlich ein Stimmenmagnet. Trotzdem sieht die Ilres die DP leicht hinter der CSV – eine Konstellation, die es in der Parteiengeschichte der Hauptstadt so noch nie gegeben hat.

Ausschlaggegend hierfür ist weniger ein Zugewinn der CSV als ein Einbruch des DP-Elektorats. Helminger hatte 1999 mit seiner Partei fast 40 Prozent der Stimmen und damit 11 von 27 Sitzen errungen. Laut Tageblatt-Ilres sehen diesmal nur 22 Prozent der WählerInnen in der DP ihre erste Wahl (zum Vergleich: CSV 23 %, LSAP 14 %, Déi Gréng 13 %, Déi Lénk 2 %, KPL 0 %). Das Zahlenmaterial ist zwar mit Vorsicht zu genießen, denn rund ein Viertel der 740 Befragten wollten sich nicht festlegen. Zudem erstreckt sich der Erhebungszeitraum von Oktober 2004 bis Juli 2005 (siehe dazu auch woxx 814), doch scheint sich der Trend der Parlamentswahlen 2004 fortzuschreiben.

Dank des liberalen Zwistes könnte also der CSV-Abgeordnete und erste Schöffe der Stadt, Laurent Mosar, lachender Dritter werden. Um überhaupt zur Nummer Eins auf der CSV-Liste zu avancieren, galt es für den Viertgewählten des Jahres 1999, einen ordentlichen Satz nach vorne zu machen. Der Spitzenkandidat der CSV aus dem Jahre 1999, Jacques Santer, trat erst gar nicht an. Claude Wiseler, 1999 als dritter gewählt, wurde im letzten Jahr in die Regierung beordert. Offizielle Nummer Eins war somit Paul Henri Meyers, der nach Jacques Santer 1999 das zweitbeste Stimmenergebnis erreicht hatte. Nach einem putschähnlichen Verfahren musste der erfahrene Kommunalpolitiker freilich in diesem Frühjahr seinen Posten als erster Schöffe räumen, denn der „Stadverband“ der CSV bestimmte Mosar zu ihrem Bürgermeisterkandidaten. Anders als bei der DP sollte der Spitzenkandidat auch gleichsam der oberste Amtsträger sein.

Die Steigerung – Freund, Feind, Parteifreund – hat immer noch ihre Gültigkeit, wie CSV und DP einmal mehr belegen. Interessant dürfte sein, wie die Stammwählerschaft mit den kaum kaschierten Machtspielen zurechtkommt. Ob Lydie Polfer am Ende in ihrem Duell mit Paul Helminger die Nase vorne haben wird, dazu machen die Demoskopen zur Zeit jedenfalls keine verbindliche Aussage.

Orange statt schwarz

So offen das Rennen um den Bürgermeisterposten ist, so unklar ist auch die farbliche Zusammenstellung der zukünftigen Koalition im Luxemburger Gemeindehaus. Sollte die DP tatsächlich gegenüber der CSV ins Hintertreffen geraten, dürfte das dem Gang in die Opposition gleich kommen: Lydie Polfer wäre wohl kaum bereit, unter einem CSV-Bürgermeister zu dienen.

Demnach sind andere arithmetische Mehrheiten vorprogrammiert – etwa Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün. Besonders die letzte Variante wird von einigen PolitbeobachterInnen favorisiert. Eine verjüngte und modernisierte CSV und eine auf das Bildungsbürgertum ausgerichtete grüne Partei würden sich ergänzen, stellt unter anderem der Ilres-Verantwortliche Charles Margue in einem Gespräch mit der Zeitschrift „forum“ fest.

Sollte die DP stärkste Kraft bleiben, hat sie es voraussichtlich mit einem gestärkten Partner zu tun – oder sie sucht sich einen neuen Juniorpartner. Paul Helminger hatte das bereits 1999 versucht, als er die LSAP in den Schöffenrat hieven wollte. Seine Partei ist ihm damals nicht gefolgt. Liegt die Ilres mit ihren Schätzungen nicht vollkommen daneben, wäre auch eine blau-grüne Mehrheit denkbar.

Anders als noch 1999 verspüren „Déi Gréng“, ähnlich wie die CSV, einen starken Rückenwind. „Wir haben mit dem Thema Tram vor sechs Jahren die Wahlen verloren. Jetzt trägt unser konsequentes Eintreten für eine Lösung des Verkehrsproblems seine Früchte“, stellte der Listenerste der Grünen, François Bausch, anlässlich der Vorstellung des grünen Wahlprogramms vergangene Woche fest.

Zwar wird es von grüner Seite vermieden, eine klare Koalitionsaussage zu machen, doch sind die programmatischen Überschneidungen zwischen CSV und Grünen offensichtlich. Selbst dem schienengebundenen öffentlichen Transport hat die CSV sich inzwischen verschrieben. Anders als noch 1999, als sich vor allem gegen das BTB-Projekt ausgesprochen wurde, will die CSV die Verkehrsprobleme der Stadt jetzt „prioritär über die Schiene lösen“. Lediglich die Forderung, eine etwaige Streckenführung durch das Zentrum unterirdisch anzulegen, dürfte in dieser Hinsicht noch für einigen Gesprächsstoff sorgen. „Wir sind hinsichtlich eines BTB oder Train-Tram-Projektes für alles, was den derzeitigen Stillstand aufhebt, zu haben“, meint die Listenzweite der Grünen Viviane Loschetter. Ein Tunnel unter der Stadt erscheint ihr allerdings etwas „phantasistësch“, doch sei die Anbindung der Schulviertel Limpertsberg und des „Geesseknäpchen“ vorrangig, und dafür ist mittlerweile auch die CSV.

Sofern die WählerInnen es also wollen, scheint einer schwarz-grünen Koalition nichts im Wege zu stehen. Eigentlich müsste es ja „orange-grün“ heißen, denn im Rahmen ihrer Modernisierungsbestrebungen ist die CSV bemüht, sich vom klerikalen Schwarz zu lösen – die Krawatten der Herren und Halstücher der Damen machen den Anfang.

Dass die CSV es auch auf JungwählerInnen absieht, verdeutlicht ihre stark auf neue Medien ausgerichtete Kampagne. Chatten und SMSen – die Kommunikation mit den jungen BürgerInnen soll möglichst schnell und unkompliziert vonstatten gehen. Dafür müssen die (nicht immer ganz so jungen) KandidatInnen der CSV sich mit oft exotischen klingenden Wahlforderungen ihres Spitzenkandidaten vertraut machen. Dem eines „Mega-LAN-Netzwerkes“, etwa, das die ganze Hauptstadt umspannen und es erlauben soll, überall in der Stadt kostenlos im Internet zu surfen. Und obwohl der Parteiobervater, Jean-Claude Juncker, nicht müde wird zu erklären, mit der Spaßgesellschaft sei es endgültig vorbei, sollen sich die Stadt-LuxemburgerInnen ab dem nächsten Sommer, ähnlich wie die PariserInnen, eines „Luxembourg-Plage“ erfreuen können. Eine Idee, so Laurent Mosar, auf die er besonders stolz sei.


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