STADTENTWICKLUNG: Rochade mit Bauernopfer

Auf der Rocade wird wieder gebaut. Doch statt eines attraktiven neuen Stadtviertels entsteht hier banaler Büroraum.

Mehr Wohnungen ins Stadtzentrum – das war einer der Lieblingsslogans von Paul Helminger während seiner sechsjährigen Amtszeit als Bürgermeister der Stadt Luxemburg. Bei der Diskussion um die Cité judiciaire etwa, die 2001 lanciert wurde, hatte sich der Liberale auch mit diesem Argument gegen eine Bebauung des Heilig-Geist-Plateaus für die Zwecke der Justiz gewandt. Die Alternative: Das Ilôt A an der Rocade de Bonnevoie. Nach der Überdeckung der Eisenbahngleise war an der Schnittstelle zwischen Bahnhofsviertel und Bonneweg ein neues Areal im Besitz der Stadt Luxemburg entstanden. Dieses wurde 1994 in einem „plan d’aménagement particulier“ (P.A.P.) zusammengefasst. Das P.A.P. Rocade de Bonnevoie war in drei Blöcke aufgeteilt worden: Das Ilôt C besetzte die Stadt selbst für ihr neues Verwaltungsgebäude, Ilôt B und Ilôt A sollten veräußert und von privater Hand bebaut werden. Eingestuft war der Bereich im Bebauungsplan als „zone mixte“, sowohl Büroräume als auch Wohnungen waren also zugelassen. Die Befürworter der Alternative Rocade erhofften sich nicht nur eine angemessenere Bebauung des St-Esprit-Geländes, sondern auch eine städtebauliche Entwicklung rund um die Rotonden.

Opfer der Immobilienflaute

Helmingers Cité judiciaire-Manöver war also vor allem auch der angestrengte Versuch, ein teures Gelände loszuwerden. Auch die Stadt Luxemburg war nämlich Opfer der Immobilienflaute geworden. Schon beim Ilôt B hatte es lange gedauert, bis das Grundstück im März 2000 an die Gesellschaft Libertim verkauft werden konnte. Die Pläne für ein Hotel wurden zugleich auf Eis gelegt, statt dessen wurde die Errichtung von drei Bürogebäuden zugelassen. Wenn schon auf der Ebene der Stadtentwicklung die Errichtung von Hotels kaum als gleichwertiger Ersatz für Wohnungen gelten kann, bedeutete ihr Wegfall, dass Helmingers Anspruch – die Belebung der Innenstadt – endgültig nicht verwirklicht wurde. Ebenfalls keine Forderungen stellte die Stadt, was die Gestaltung betraf: Ein Nullachtfünfzehnkomplex durfte in einer Lage errichtet werden, die eigentlich Standort für innovative Architektur und damit ein städtebaulicher Attraktionspunkt im Bahnhofsviertel hätte werden können.

Noch weniger Interesse schien auf dem Immobilienmarkt das Ilôt A zu finden. Bei den Haushaltsdebatten der Stadt Luxemburg im Dezember 2003 musste Finanzschöffe Mosar (CSV) erklären, dass „wir die für das Rechnungsjahr 2003 erwarteten Einnahmen betreffend den Verkauf von Ilôt A auf der Rocade de Bonnevoie auf das Budget 2004 übertragen haben, weil das Objekt bisher keinen Käufer gefunden hat“.

Doch Ende 2004 war es endlich so weit: Für 7,4 Millionen Euro ersteigerte die Compagnie immobilière de Bonnevoie (CIB) das Gelände von 66 Ar und half so der Stadt aus der Patsche. Im Gemeinderat gab es im Oktober 2004 zunächst einmal Kritik – sogar aus den eigenen Reihen – an der Tatsache, dass der geplante Wohnraum aus Ilôt B verschwunden war. Außer Ben Fayot (LSAP) fand nämlich auch Xavier Bettel (DP), es wäre „sinnvoll gewesen, neben Büroflächen auch zusätzlichen Wohnraum im Bereich der Rocade zu schaffen“. Die Kritiker vertröstete Helminger mit den Worten: „Ilôt A eignet sich bestens als Wohnlage, weshalb der Promotor beschlossen hat, den Anteil an Wohnungen im Vergleich zum Initialprojekt zu erhöhen.“ Diese auf den ersten Blick erstaunliche Kehrtwende erklärt sich durch die Lage am Immobilienmarkt: Die vielen leerstehenden Büroflächen drückten auf die Preise, für Promotoren war es deswegen finanziell interessanter geworden, Wohnraum zu schaffen.

Bald wurde in der Presse bekannt, dass auf 43.500 m2 neben zwei Hotels der Ketten Sofitel und Novotel, die 17.000 m2 umfassen, auch Luxuswohnungen errichtet werden sollten. Daneben waren 13.500 m2 für Bürogebäude vorgesehen.

Büroviertel

Noch im Juli schwärmte der zuständige Architekt Marc Werner gegenüber der Zeitschrift Paperjam von der Neubelebung des Boulevard d’Avranches durch Luxuswohnungen von bis zu 300 m2. Und am vergangenen Dienstag lud ein Konsortium von Promotoren und Baugesellschaften zu einer „Pressekonferenz“ ein, bei der auch Bürgermeister Paul Helminger die städtebauliche Entwicklung des Viertels Rocade präsentierte. Auf den Hochglanzplakaten eingezeichnet: zwei Wohnkomplexe im Ilôt A.

Doch in Wirklichkeit scheint sich das Blatt erneut gewendet zu haben. Laut Informationen der woxx ist die Stahlgesellschaft Arcelor auf der Suche nach zusätzlichen Räumlichkeiten und ist am Standort Rocade de Bonnevoie interessiert. Obwohl auf dem Ilôt B bereits 21.400 m2 Bürofläche größtenteils gebaut sind und zur Verfügung stehen, steht nun das Ilôt A zur Debatte. Falls die Gemeinde ihre Zustimmung zu einem solchen Plan gibt, bliebe am Ende weit weniger Platz für Wohnungen übrig. Damit wäre nicht nur Helmingers Ankündigung von Oktober 2004 Lügen gestraft. Überdies würde sich die Frage stellen, wieviel das von der Gemeinde für die drei Blöcke ausgearbeitete Lastenheft eigentlich wert ist, das einmal Wohnraum vorgesehen hatte.

Wer steckt nun hinter der CIB? Laut Mémorial besteht die Gesellschaft aus sechs Verwaltern. darunter Georges Lentz der bereits durch den Werdegang der Gesellschaft „Vieux Luxembourg“ hinlänglich für seine Aktivitäten im Immobilienbereich aufgefallen ist. Smal und De Coninck sind Privatinvestoren mit guten Kontakten zur Stadtverwaltung. Robert Reckinger, Präsident der Banque de Luxembourg, ist für seinen Draht zur DP bekannt.

25 Prozent der Anteile der anonymen Gesellschaft werden seit 2003 von der CIP gehalten, einer belgischen Konstruktions- und Investitionsfirma, die bereits am Boulevard Grande-Duchesse Charlotte das Gebäude „Plaza Grande-Duchesse“ errichtete. Da erscheint es dann auch eher beunruhigend, wenn Hans Goessens, Verwalter der CIP in einem Artikel des Paperjam den „esprit luxembourgeois, très professionnel, très ouvert“ lobt und von der Schnelligkeit spricht, mit der man in Luxemburg die notwendigen Genehmigungen zum Bauen bekomme.

Am 9. September hat der sozialistische Abgeordnete Ben Fayot in einer parlamentarischen Anfrage das Phänomen der Umnutzung von Wohn- in Büroraum angesprochen, das besonders in der Stadt Luxemburg grassiere: „Il s’agit pour la seule ville de Luxembourg du chiffre mirobolant de 80.000 m2 ainsi enlevés à l’habitat.“ Gemeindeverantwortliche, die tatsächlich die Wiederbelebung der Stadtzentren im Sinn haben, müssten eigentlich genau das verhindern. Auf der Rocade passiert das zurzeit nicht, und man muss befürchten, dass private Interessen vor dem Allgemeinwohl stehen.


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