INTERVIEW: „Wir hätten von der Krise profitieren können“

Auch die Krise bei „il manifesto“ währt schon länger. Über die Ursachen sprach die woxx mit Ida Dominijanni. Sie gehört seit 1982 dem Zeitungskollektiv an. Mit ihren politischen Kolumnen zählt sie zu den originellsten Stimmen des italienischen Journalismus. Dominijanni lehrte mehrere Jahre Sozialphilosophie an der Universität RomaTre.

woxx: „il manifesto“ erlebt die schwerste Krise seiner vierzigjährigen Geschichte. Wird die Zeitung heute nicht mehr gebraucht?

Ida Dominijanni: Es wäre ein historisches Paradox, wenn „il manifesto“ ausgerechnet jetzt zumachen müsste, da das neoliberale Gesellschaftsmodell in die Krise geraten ist und sich in Italien und auf internationaler Ebene Widerstand organisiert. Die aktuellen Diskussionen um anti-kapitalistische Gegenentwürfe verweisen zurück auf unsere Anfangsjahre: „il manifesto“ entstand als kommunistische, anti-kapitalistische Tageszeitung.

Warum profitiert il manifesto nicht von der aktuellen Proteststimmung?

Das ist das andere Paradox: Wir sind unseren eigenen Ansprüchen nicht mehr gerecht geworden. „il manifesto“ hatte schon in den Siebzigerjahren verstanden, dass man mit Kommunikation Politik machen kann. Heute ist das ein Allgemeinplatz. Doch ausgerechnet wir sind nun seit vielen Jahren nicht in der Lage, die Zeitung so zu erneuern, wie es der veränderte gesellschaftliche Kontext und die digitale Ära erforderlich machen.

Die Reaktionen auf die aktuelle Spendenkampagne zeigen, dass il manifesto einen großen Unterstützerkreis mobilisieren kann. Andererseits sind die Verkaufszahlen seit Jahren rückläufig. Die Auflage liegt inzwischen nur noch bei knapp 16.000 Exemplaren. Warum gelingt es nicht, eine größere Leserschaft dauerhaft an die Zeitung zu binden?

Es gibt wohl eine affektive Verbundenheit und eine große Wertschätzung, aber „il manifesto“ hat keine feste, eindeutige Lesergemeinde. Es gibt vielmehr viele verschiedene Gruppen von Leserinnen und Lesern. Daraus ergibt sich für uns ein inhaltliches Problem: Die einen wollen eine Zeitung für eine gebildete, intellektuelle Zielgruppe, die anderen fordern eine einfachere, populäre Ausrichtung. Allerdings stellt die heterogene Leserschaft nicht nur ein politisches, sondern auch ein diskursives Problem dar: Wie kommuniziert man mit dieser Vielzahl von Lesergemeinden? Wir geben unseren Lesern viel Raum, bis zu zwei Seiten pro Ausgabe, aber mir scheint, dass wir diese Auseinandersetzung falsch angehen, dass wir in der Beziehung zu ihnen zu nachlässig sind. Wir sollten aufmerksamer sein, aber auch spröder. „il manifesto“ will immer nett sein, manchmal bräuchte es dagegen mehr Konfrontation.

„Die jüngeren Redakteure fühlen sich nicht als Mitglieder eines intellektuellen Kollektivs, sie sehen sich eher als Journalisten.“

Und welche Strategien gibt es in Bezug auf die politischen Konflikte um die Ausrichtung der Zeitung?

Da die Zusammensetzung unseres Publikums komplex ist, sollten wir eine komplexe Kommunikationsstrategie haben. „il manifesto“ war bekannt für seine Recherchen, für seine fundierten thematischen Beilagen, für seine verschiedenen Sonderausgaben. Eben weil es keine eindeutige Ausrichtung gab, hat die Zeitung immer wieder sehr verschiedene Produkte angeboten. In den letzten Jahren hat man nicht mehr auf diese Tradition gesetzt, dadurch ist die Zeitung ärmer geworden.

Gibt es parallel zur wirtschaftlichen Sanierung schon Pläne für einen inhaltlichen Relaunch der Tageszeitung?

Jetzt sind wir erst einmal in diesem Verfahren der Zwangsliquidation, das heißt es wird geprüft, ob der finanzielle Konkurs überhaupt vermieden werden kann. Wir haben eine neue Spendenkampagne gestartet und noch ist nicht ausgeschlossen, dass die Regierung einen neuen Pressefonds einrichtet. Entscheidend aber wird sein, dass in den nächsten Monaten die Verkaufszahlen spürbar ansteigen.

Die missbräuchliche Verwendung der Gelder aus dem Pressefonds hat die öffentliche Unterstützung von politischen Tageszeitungen grundsätzlich in Verruf gebracht.

Es wäre sicher besser ohne Subventionen auszukommen, aber es sollte keinen Zwang dazu geben. Es ist ein Effekt der langjährigen neoliberalen Vorherrschaft, dass der Markt als Synonym für Transparenz gilt, während der öffentliche Sektor mit Korruption und Verschwendung gleichgesetzt wird. Natürlich gibt es das Problem der Veruntreuung. Auf der anderen Seite dienen die öffentlichen Mittel aber auch als Korrektiv für die Verzerrungen am Markt. Es gibt auf dem italienischen Markt der Kommunikation keine fairen Bedingungen: Die Werbung konzentriert sich auf das Fernsehen, für die Zeitungen fällt wenig ab, erst Recht für die kleinen Nischenorgane. Die großen Zeitungsverlage profitieren darüber hinaus sehr viel mehr von indirekten staatlichen Hilfen in Form von Steuervergünstigungen.

Würden Sie sagen, dass sich in der Krise von „il manifesto“ die Krise der italienischen Linken widerspiegelt?

Nein, das glaube ich nicht, obwohl es auch innerhalb unseres Kollektivs einige gibt, die diese Meinung vertreten. „il manifesto“ ist eine parteiunabhängige Zeitung, wir hätten von der Krise profitieren können. Wir hätten mit der Intelligenz und der Leidenschaft, die „il manifesto“ immer ausgezeichnet hat, mit unseren Verbindungen zu internationalen Autoren, Wissenschaftlern und Künstlern die Krise der politischen Linken reflektieren, Diskussionen anregen, Themen vorgeben können.

Dieses Potenzial wurde nicht ausgeschöpft, im Gegenteil: „il manifesto“ hat viel von seiner einstigen gesellschaftspolitischen Bedeutung verloren.

Wir müssen uns eingestehen, dass es seitens der Direktion viel Unvermögen gab. Das betrifft aber nicht nur die aktuelle Chefredaktion, auch in den Jahren zuvor wurden Fehler gemacht.

Die Zeitung hat zuletzt einem vulgären Antiberlusconismus Raum gegeben, der jene antipolitische Stimmung beförderte, die ihr nun selbst zur existenziellen Bedrohung wird.

Die Krise der italienischen Politik hat tatsächlich zum Aufkommen einer anti-politischen Stimmung beigetragen und es gibt Zeitungen, die auf dieser Welle reiten. „il manifesto“ gehört nicht dazu. Die Zeitung war immer eine explizit politische Zeitung, sie wird sich also nie von dieser Stimmung vereinnahmen lassen – das hoffe ich wenigstens.

In der Krise wird einmal mehr die Vergangenheit beschworen: Rossana Rossanda und Valentino Parlato, die über 80-jährigen Mitbegründer der Zeitung, werden als Ikonen verehrt. Hat „il manifesto“ auch ein Generationenproblem?

Die „Alten“ stehen immer noch im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit, weil der Gründungsakt, der Bruch mit der Kommunistischen Partei, die Identität des Kollektivs am stärksten geprägt hat. Allerdings ist es ungerecht gegenüber der ersten Nachfolgegeneration, denn schon im Moment der Gründung gab es nicht nur die Ex-Kommunisten, sondern auch die Jungen aus der autonomen Bewegung, aus der außerparlamentarischen Linken. Diese Mischung zeichnete „il manifesto“ von Anfang an aus. Die Dreißig- und Vierzigjährigen des Kollektivs haben dagegen eher ein professionelles, kein explizit politisches Verhältnis zur Zeitung. Sie fühlen sich nicht als Mitglieder eines intellektuellen Kollektivs, sie sehen sich eher als Journalisten, die in der Krise um ihren Arbeitsplatz kämpfen. Das ist ein legitimes Anliegen, aber es reicht nicht, um „il manifesto“ zu retten. Ein wirkliches Problem besteht darin, dass wir seit vielen Jahren nur noch Personal abbauen, aber niemand Neues in das Kollektiv holen konnten. Die Generation der Zwanzigjährigen fehlt. Sie hätten wohl zu einer Erneuerung beitragen können, denn sie sind sehr politisch, haben aber eine ganz neue Sprache. Und vielleicht hätten sie es auch verstanden, den genealogischen Faden aufzunehmen.

Siehe auch „Der Pressefreiheit den Saft abgedreht“ von Catrin Dingler.


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