DROGENKONSUM: Raus aus dem Dreck

Seit einem halben Jahr ist die „Fixerstuff“ ohne Probleme in Betrieb. Doch eine Ausweitung des Angebots rund um die Uhr ist dringend vonnöten.

Es ist 16 Uhr. Wie an jedem Wochentag öffnet das Tagesfoyer an der Route de Thionville um diese Zeit seine Pforten. Doch außer den Professionellen vom „tox-in“, wie das aus Nuetseil, Abrigado und Fixerstuff bestehende Containerkonglomerat mittlerweile heißt, ist niemand da. „Das ist ungewöhnlich“, sagt eine Mitarbeiterin. „Normalerweise warten die Leute schon vor der Tür, wenn wir aufmachen.“

Doch heute sind in der Stadt mal wieder die Polizei-Azubis unterwegs – zu Ausbildungszwecken. Und das hält die Szene auf Trab. Entsprechend länger brauchen die meisten, um sich ihre tägliche Dosis Drogen zu besorgen. „Das kannst Du vergessen“, kommentiert René* entnervt das Treiben der Flics, als er um Fünf ins tox-in kommt. Drei bis vier Gramm Heroin konsumiert der 39-Jährige täglich. Und während er sich die beschaffen muss, macht ihm die Polizei das Leben schwer.

Doch nicht nur die Polizei, auch die privaten Sicherheitsdienste drangsalieren die Drogenszene. Argwöhnisch werden vor allem im Garer Viertel potenzielle Junkies beäugt. „Jedes Mal wenn er mich sieht, lenkt er seinen Hund kurz in meine Richtung und reißt ihn dann zurück“, erzählt Nic* über einen der Securities.

Die Situation in der Stadt ist einer der Gründe, warum der Fixerstuff genannte und seit Anfang Juli existierende Drogenkonsumraum im tox-in Renés Meinung nach rund um die Uhr geöffnet sein sollte. Nirgends könne man sich seine Drogen in Ruhe verabreichen. „Das kommt dabei heraus, wenn man sich draußen im Dreck und im Schmutz einen Schuss setzen muss“, sagt er und zieht sein Hosenbein hoch. Hinter dem Verband ist eine handtellergroße frische Wunde zu erkennen. „Ein Abszess“, sagt er. „Das passiert, wenn man die Vene nicht genau trifft. Wäre das gleich behandelt worden, wäre die Wunde nicht so schlimm geworden. Doch am Wochenende war alles zu.“

Seit 20 Jahren ist René heroinabhängig. Irgendwann, hofft er, wird er eine Therapie machen. In der Zwischenzeit erleichtert die Fixerstuff ihm ein wenig den Alltag. „Hier kann man sich aufwärmen, einen Kaffee trinken und in Ruhe einen Schuss setzen“. Ein weiterer Vorteil: „Hier ist man unter Kontrolle. Es kann ja beispielsweise immer mal passieren, dass einer umkippt. Für diesen Fall gibt es hier qualifiziertes Personal.“ Mit dem Angebot des tox-in ist er zufrieden, bis eben auf die Öffnungszeit.

Längere Öffnungszeiten

Eine Kritik, die Monika Graser nachvollziehen kann. Doch ansonsten fällt die Bilanz der Verantwortlichen für den Drogenkonsumraum nach dem ersten Halbjahr positiv aus. „Es läuft wirklich sehr gut und ohne besondere Vorkommnisse“, resümiert sie. „Wir hatten 105 Personen, die den Raum mindestens einmal benutzt haben. Jeder der rein will, muss ja einen Vertrag ausfüllen.“ Insgesamt, so Graser, gab es bislang 1375 „Konsumvorgänge“ in dem Raum. Zwischen 21 und 24 Uhr haben die DrogenkonsumentInnen Zeit, sich binnen einer halben Stunde eine Injektion zu verabreichen. Danach sind sie jedoch verpflichtet, in der Nuetseil zu übernachten.

Im Ganzen fünf Mal musste bislang eine Ambulanz gerufen werden. Grund war jeweils eine Überdosis, die sich ein Konsument verabreicht hatte. „Es ist jedoch alles gut ausgegangen“, sagt Graser. Die Polizei hingegen war noch überhaupt nicht nötig. In Sicherheitsfragen leistet die tox-in-Crew derweil einen sinnvollen Dienst: 129 Mal wurde die so genannte safe-use-Beratung in Anspruch genommen. Da wird über Grundsätzliches zum sicheren Gebrauch intravenös konsumierter Drogen informiert, aber auch auf Detailfragen eingegangen. „Gerade ältere Konsumenten haben oft Probleme, unvernarbte Stellen an Arm- und Beinvenen zu finden“, erklärt Graser. Sich an Hals oder Leiste einen Schuss zu setzen ist jedoch nicht gerade ungefährlich. Die BeraterInnen geben Tipps, wie auch langjährige Drogenuser sich die Injektion noch an Armen und Beinen verabreichen können.

Für Monika Graser bleibt die Öffnungszeit der Fixerstuff das wichtigste Desiderat. Das sieht Alain Origer, nationaler Drogenkoordinator des Gesundheitsministeriums genauso. Deshalb habe das Ministerium auch bereits einer Erweiterung des Personals um 1,5 Stellen zugestimmt, die ausschließlich dem Drogenkonsumraum zugute kommen soll. Dieser soll dann schon ab 16 Uhr geöffnet sein. Weitere Neuerung: Bereits Ende Februar, Anfang März, wenn die neu geschaffenen Stellen hoffentlich besetzt sind, soll die Fixerstuff für die Allgemeinheit geöffnet werden. Eine Nutzung des Raumes ist dann nicht mehr zwingend mit einer Übernachtung verbunden.

Auch die kommende Personalerweiterung „reicht natürlich nicht aus, um das tox-in 24 Stunden offen zu halten“ so Alain Origer. Jedoch hat der frisch gebackene Sozialschöffe der Stadt vor Kurzem Hilfe zugesagt: „Den Vorschlag, den Xavier Bettel auf RTL geäußert hat, nehmen wir natürlich gern in Anspruch. Wir warten jetzt auf ein konkretes Angebot der Gemeinde Luxemburg“, so Origer. Das Ministerium dürfte sich jedoch auf eine Wartezeit einstellen müssen. Denn nachdem Sozialschöffe Bettel im RTL-Journal am 7. Januar seine Überzeugung formuliert hatte, dass Schöffen- und Gemeinderat dem Personalmangel im tox-in mit einer Finanzspritze aus dem städtischen Budget abhelfen werden, rudert er mittlerweile zurück. Es dürfe kein Tor geöffnet werden, durch das dem Schöffenrat nationale Probleme zugeschoben werden. „Die Regierung muss ihre Verantwortung tragen, da bin ich ganz stur.“ Die bekannte Melodie, die Bettel anstimmt, komplettiert er mit dem Hinweis, die wenigsten Drogenabhängigen seien aus der Stadt. Immerhin gesteht er ein: „Ich weiß, dass der Schöffenrat nicht begeistert von meinen Aussagen ist.“ Vielleicht aber kann sich Bettel mit seinem Vorschlag zum Wohl der Drogenuser doch noch durchsetzen.

Das hofft auch Drogenkoordinator Origer. Die Stadt Luxemburg trage entsprechend ihrer Größe mehr Verantwortung, die ihr nicht nur Vorteile, sondern auch Verantwortung für Probleme einbringe. Diese Tendenz habe man mit der Schaffung des Postens eines Sozialschöffen bereits erkannt.

Personalmangel bleibt

In den Kreisen der Drogenhilfe ist man jedoch skeptisch gegenüber dem angekündigten Engagement der Stadt. „Zu oft wurden uns von der Gemeinde Sachen versprochen, die nie eingehalten worden sind“, sagt eine Sozialarbeiterin. Deswegen mag auch niemand recht daran glauben, dass auf dem Gelände vis-à-vis der Container nun endlich ein festes Gebäude für das tox-in entstehen wird. Origer ist optimistischer: „Wir warten auf grünes Licht seitens der städtischen Baubehörde“.

Alexandra Oxaceley von der Stëmm vun der Stroos denkt an einen weiteren wichtigen Schritt: „Ideal wäre es, wenn eine kontrollierte Abgabe von Heroin eingeführt würde“. Warum dies vonnöten ist, macht die aktuelle Situation auf dem Luxemburger Drogenmarkt deutlich: „Zur Zeit ist nur schlechtes Zeug im Umlauf“, sagt René. „Das ist verschnitten mit Rattengift, Tabletten und so weiter. Auch davon bekommt man Infektionskrankheiten.“ Mit einer Qualitätskontrolle könnten sowohl Infektionen als auch Überdosen reduziert werden. Solange sich jedoch die Verantwortlichen in diesem Punkt nicht bewegen, wird die Gesundheit der Drogenkonsumenten weiter darunter zu leiden haben.

*Namen wurden von der Redaktion geändert.

Die Fixerstuff in Zahlen:
105 verschiedene KonsumentInnen haben den Drogenkonsumraum seit Anfang 2005 genutzt.
Insgesamt gab es 1375 Konsumvorgänge.

Konsum:
77% Heroin, 13% Kokain, 10% Cocktail aus beiden Substanzen.

Altersverteilung:
11% zwischen 18 und 24, 53% zwischen 25 und 34,
32% zwischen 35 und 44, 4% sind über 45.

Geschlechterverteilung:
81% männlich, 19% weiblich.


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