ANDY BAUSCH: Gute Zeiten, schlechte Zeiten

Der neue Film von Andy Bausch beschreibt die Belle Epoque. Dazu listet er prägende Begebenheiten und Persönlichkeiten auf, eine neue Sichtweise eröffnet er aber nicht.

„Früher war die Zukunft auch besser“, meinte einmal der deutsche Wortakrobat Karl Valentin, der in der sogenannten „Belle Epoque“ das Licht der Welt erblickte. Ein Zeitabschnitt, der im neuen Spielfilm des Luxemburger Regisseurs Andy Bausch im Mittelpunkt steht.

Er sei halt ein verzweifelter Nostalgiker, antwortete Bausch in einem Interview auf die Frage, warum er sich nach seinem Dokumentarfilm „Schokela, Knätschgummi a brong Puppelcher“, der die Zeit des Zweiten Weltkrieges thematisiert, erneut der Vergangenheit zugewandt habe. Mit der Belle Epoque hat Bausch eine Periode (ca. 1890-1914) großer sozialer und kultureller Umbrüche als Thema für seinen neuen Film gewählt: Es war eine Phase des wirtschaftlichen Aufschwungs, in der die Gesellschaft sich zunehmend liberalisierte. Als wesentliche Triebkräfte wirkten in ihr die industrielle Revolution und die Entwicklungen im Verkehrswesen. Die Arbeiterschaft organisierte sich in Gewerkschaften und politischen Parteien, Wissenschaft und Medizin machten bedeutende Fortschritte. Die Belle Epoque feierte sich selbst in den Cafés und Cabarets, den Ateliers und Galerien, den Konzertsälen und Salons. Dennoch war sie keine Periode der allgemeinen Sorglosigkeit – die Bauern, die Industriearbeiter und kleinen Angestellten hatten kaum Anteil an ihrem Glanz. Es war vor allem das mittlere und gehobene Bürgertum, das von ihr profitierte.

So spielt der Film von Andy Bausch denn auch im bürgerlichen Milieu: Isabelle (Vicky Krieps), Tochter eines Zeitungsverlegers (Marco Lorenzini), ist mit Packen beschäftigt und steigt mit ihrer Zofe Betty (Gintaré Parulyté) den Dachboden, um einen größeren Koffer zu holen. Einer von den dort herumstehenden ist vollgepackt mit Fotos und Postkarten aus der Zeit der Belle Epoque. Isabelle beginnt in den Fotos zu wühlen, und so wird in ihrer Erinnerung das Jahr 1899 wieder lebendig, das Jahr, in dem der Fotograf Charles Bernhoef, „Photographe de la Cour“, zum ersten Mal Fotos von ihr machte.

Vicky Krieps, die im Film die Hauptrolle spielt, kommentiert frontal zur Kamera gewendet die einzelnen Postkarten, liest aus alten Zeitungsannoncen vor und rollt so vor dem Zuschauer ein ganzes Panoptikum von historischen Persönlichkeiten und Ereignissen auf, die sie mittels kurzer Beschreibungen in den Zeitkontext setzt. Alles und jeder ist vertreten: Staatsminister Paul Eyschen, die Geburtsstunde der politischen Parteien und Gewerkschaften, Großherzogin Marie-Adélaïde, die imposante Weltausstellung von 1889 in Paris, die Stahlindustrie und die italienische Immigration, die Thermen in Mondorf, die Schueberfouer, Typhusepidemie und der Beginn der Kanalisierung, die Auswanderungen nach Amerika, der Bau der Schmalspurbahnen „Jangli“ und „Charly“, die 1901 eingeführte Kranken- und Invalidenversicherung und so weiter und so fort.

Gedreht wurde der Film zum Teil in der aus dem Jahre 1861 stammenden Villa Baldauff in Luxemburg-Stadt. Da es kaum Filmdokumente aus dieser Zeitepoche gibt, entschied sich Bausch für eine Mixtur aus eingeblendeten zeitgenössischen Fotos und Postkarten sowie nachgestellten historischen Szenen in Slapstickmanier. Auch wenn es dem Regisseur insgesamt gelungen ist, einen schlüssigen Bogen für seine Geschichte zu schlagen, so wirkt das Blättern in den Postkarten, das Aufzählen prägender Begebenheiten und Persönlichkeiten zuweilen doch etwas enzyklopädisch und monoton. Wie so oft wäre auch hier weniger mehr gewesen. Andy Bausch verfolgt in seiner „Belle Epoque“ keine analytische, kritische Herangehensweise, sondern lässt eine Anzahl kleiner Anekdoten, die wahllos aneindergereiht sind, für sich selbst sprechen. Damit eröffnet er keine neue Sichweise auf diese turbulente Zeit, sondern ruft sie lediglich in Erinnerung. Auch wenn er zuweilen originelle Kameraeinstellungen wählt, ist der Film, mit seinem Fleißarbeitscharakter, im Ganzen schwerfällig. Auch die Szenen mit Isabelle hätten etwas mehr Witz vertragen.


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