NACHHALTIGE MOBILITÄT: „In der Substanz immer noch ein Autoland“

Nur eine Woche nach der Vorstellung eines neuen Mobilitätskonzeptes scheint Luxemburg zur alten verkehrspolitischen Tagesordnung zurückzukehren

„Da ist mir zu viel Park and Ride“. Für den Verkehrswissenschaftler Heiner Monheim setzt auch MoDu zu sehr auf den privaten Pkw, statt die Leute zu animieren schon ab zu Hause einen, dann gut organisierten, öffentlichen Personennahverkehr zu nutzen. (Illustration: MDDi)

„Im Gegensatz zu meinen Vorgängern habe ich die Chance, einem Ministerium vorzustehen, das alle Kompetenzen, die in Sachen Verkehrsorganisation zum Tragen kommen, bündelt. Deshalb war es möglich, in unserem globalen Strategiekonzept für eine nachhaltige Mobilität, das wir abgekürzt MoDu nennen, alle Aspekte intern abzustimmen und so ein kohärentes Ganzes zu schaffen, ohne allzuviel Zeit zu verlieren.“ Als Super-Nachhaltigkeitsminister Claude Wiseler am Donnerstag vergangener Woche sein Konzept der Presse vorstellte (siehe auch woxx 1159), klang es fast, als würde nun eine neue Ära anbrechen – nach mehreren Jahrzehnten, in denen die luxemburgischen Planer verkehrstechnisch in jede Falle getappt waren, die sich vor ihnen öffnete.

Nicht mal eine Woche später sieht es aber so aus, als sei auch Wiselers 160-seitiges Papier bereits Makulatur. Am Dienstag kündigte die nicht gerade vor Innovationsdrang strotzende Luxemburger Eisenbahngesellschaft an, weitere Bahnhofsschalter schließen zu wollen. Als Ersatz plant sie die Einführung von Fahrkartenautomaten, jenen Meilensteinen des verkehrstechnischen Fortschritts, die es in unseren Nachbarländern schon seit Jahrzehnten gibt. Automatische Schalter gelten zwar als Mittel, um eventuell den Verkauf von Fahrkarten zu beschleunigen, wenn die Bedienung den einleuchtend ist, sie sind aber sicher kein Ersatz für Beratung und Information.

Es stellt sich auch die Frage, ob sich hier nicht ein zweites eGo-Desaster anbahnt, nämlich wenn der Staatsminister doch irgendwann seinen Vorschlag verwirklichen sollte, den Nulltarif im öffentlichen Verkehr einzuführen, statt Benzin und Diesel im Index-Warenkorb zu belassen. Denn dann stünden die vielen schönen Automaten ungenutzt im Wege stehen. Zwar greift die CFL die auch von den Gewerkschaften vertretene Idee auf, die Bahnhöfe durch kleine Läden für den täglichen Bedarf und Dienstleistungen wie Fahrradreparaturen etc. zu beleben, doch überlässt sie die Verwirklichung den lokalen Verantwortlichen und der privaten Initiative. Mit dem erwartbaren Resultat, dass, außer bei wenigen Pilotprojekten, die betroffenen Haltestellen unbemannt bleiben, wie die Grünen in einer Stellungnahme beklagen.

Am gleichen Tag kam es noch zu einen zweiten Sündenfall: Am Nachmittag segnete die Abgeordnetenkammer die dritte und letzte Phase der sogenannten „Micheville“-Anbindung Belvals an das französische Straßen- und Autobahnnetz ab. Mit 330 Millionen Euro ist diese nur wenige Kilometer lange Verbindung proportional das teuerste Straßenbauprojekt, das Luxemburg sich je geleistet hat ? Serge Urbany (déi Lénk) rechnete es den Abgeordneten vor. Teurer noch als die ominöse „Nordstrooss“, deren (vorerst?) letzte Kostenanpassung ebenfalls am letzten Dienstag gebilligt wurde.

Wie beim Votum zur Nordstraße vor 18 Jahren gab es auch für das Micheville-Vorhaben ein einstimmiges Votum der drei großen Parteien. Die ADR sprach sich gegen Micheville aus, weil sie die Kritik des Staatsrates unterstützen wollte, durch den „Saucissonage“ des entsprechenden Gesetzes – das Vorhaben wurde seit 2005 in drei separaten Etappen abgestimmt – sei die parlamentarische Kontrolle ausgehebelt worden. Auch Linke und Grüne verweigerten ihre Zustimmung, obwohl der Nutzen einer solchen Verbindung an sich nicht in Zweifel gestellt wurde. Das Problem: Auf französischer Seite ist die Trassenführung (wie der Meco in einer Pressemitteilung feststellt, siehe S. 5) aus Naturschutzgründen äußerst problematisch: Laut der Umweltorganisation finden „viele bedrohte Arten (…) in den alten Tagebaugebieten in der Minetteregion sowohl auf französischer als auch auf luxemburgischer Seite wichtige Rückzugsräume in einer ansonsten weitestgehend ausgeräumten Landschaft“. Die geplante Trasse auf französischer Seite würde mitten durch einen wertvollen Biotopverbund, in dem mehr als hundert geschützte Tierarten nachgewiesen wurden, führen und ihn nachhaltig schädigen. Auch der Austausch mit den verschiedenen luxemburgischen Naturschutzzonen würde unterbunden werden.

Genau wie der Meco kritisiert auch die Grünenparlamentarierin Josée Lorsché, dass die französischen Instanzen trotz dieser Sachlage die Erstellung einer Impaktstudie unterließen.

In der Folge erhoben sowohl französische als auch luxemburgische Verbände Klage wegen Verstoßes gegen EU-Recht. Es kann daher durchaus der Fall eintreten, dass die teure Luxemburger Zubringerstraße für längere Zeit im verkehrstechnischen Nirvana endet. Georges Engel (LSAP), der mit Déi Gréng in Sassenheim in einer Koalition sitzt, zeigte sich verwundert über die plötzliche grüne Zurückhaltung. Tatsächlich scheint die parlamentarische und außerparlamentarische Kontrolle in Sachen Micheville etwas verschlafen zu haben, denn auf den ersten Etappen dieses Projektes waren noch kaum kritische Stimmen zu vernehmen gewesen.

Auch Minister Wiseler gab sich erstaunt und versicherte, seine Pflicht erfüllt und alle Vorgaben des Luxemburger Parlamentes erfüllt zu haben. „Ich kann doch den Autoritäten in Frankreich nicht vorschreiben, was sie zu machen haben“, wehrte er die Vorwürfe ab. Der Meco ist aber der Überzeugung, dass es durchaus eine Mitverantwortung gibt, denn die EU-Gelder fließen eben auch deshalb, weil es sich um ein grenzüberschreitendendes Projekt handelt, für das beide Partner Verantwortung tragen.

Mit Schalterschließungen und einem fragwürdigen Straßenbau beginnt also die Realisierung des MoDu-Konzepts. Ist es also vielleicht doch nur eine Alibiveranstaltung, mit der die Konzeptionslosigkeit des Superministeriums übertüncht werden soll?

Wenig innovativ

Der Verkehrswissenschaftler Heiner Monheim, der seit Jahrzehnten die Verkehrssituation in Luxemburg auch wissenschaftlich begleitet, stellt MoDu keine guten Noten aus. Auch nach seiner Pensionierung ist der ehemalige Trierer Professor immer noch schwer zu erreichen, da er viel in Sachen Verkehrsplanung mit dem Zug unterwegs ist. Zwischen zwei Funklöchern gelang es der woxx, von ihm eine kurze Einschätzung des neuen Verkehrskonzeptes zu erhalten. „Ich bin enttäuscht, auch wenn es im Gegensatz zu früher jetzt mehr multimodale Ansätze zu geben scheint“, meint Monheim. Es sei schade, dass es im so überschaubaren Luxemburg offenbar nicht gelingt, Probleme in den Griff zu bekommen, die man schon vor Jahren hätte lösen können.

„Luxemburg bleibt in der Substanz ein Autoland, mir ist da zu viel Park and Ride. Park and Ride tötet den öffentlichen Personennahverkehr“, kritisiert der Geograf, der in den 1980er Jahren in Nordrhein-Westfalen als leitender Beamter Verkehrskonzepte mitentwickelte. Seine Kritik an den allzuvielen P+R-Angeboten beschränkt sich nicht darauf, dass sie die AutofahrerInnen dazu verleiten, in der eigenen Blechkarosse zu verharren, solange es eben geht. Moderne P+R-Anlagen sind auch sehr teuer, wobei es auch eine spannende Nebenfrage ist, ob solche Anlagen dem Straßenbau- oder dem ÖPNV-Haushalt zugerechnet werden. „Ich bin nicht grundsätzlich gegen P+R, aber es darf nur in sehr kleinen Dosen, in ganz spezifischen Situationen eingesetzt werden“, so Monheim weiter.

Die drei P+R-Ringe, die Wiseler schaffen will – der erste an den Grenzen des Landes, der zweite vorgelagert um die ökonomischen Zentren und der dritte unmittelbar vor den großen Ballungszentren – könnten das genaue Gegenteil des eigentlich Erhofften bewirken, nämlich nicht zu frühzeitigem, sondern möglichst spätem Umsteigen auf den ÖPNV motivieren.

Was das ÖPNV-Angebot als solches angeht, biete MoDu ebenfalls wenig Neues. Monheims Kritik, wonach es versäumt wurde, die Luxemburger Eisenbahn (und die der Grenzregionen) mit S-Bahn-Qualität auszustatten, gilt auch weiterhin. „Es gibt in Luxemburg einfach zu wenige Haltepunkte! Ich verstehe nicht, weshalb Luxemburg, das in Sachen Entwicklungshilfe so Großartiges leistet, die Entwicklung des eigenen ÖPNV nicht hinbekommt.“ Statt sich der reformresistenten CFL zu beugen, die überall nur technische Schwierigkeiten vorschützt, sollte das Land eine Alternativstudie ausschreiben, wie unter den gegebenen Voraussetzungen ein leistungsfähiges S-Bahn-System auf die Beine gestellt werden kann. „Das kostet vielleicht einmal 300.000 Euro, aber dann ist es vorbei mit dem Hin- und Hergeschiebe von nicht aufeinander abgestimmten Einzelprojekten“, unterstreicht der Experte und liefert den Kostenvoranschlag gleich mit.

Monheim trauert immer noch dem 2000 unter Verkehrsminister Grethen zurückgetretenen „Monsieur BTB“ nach. Für Alain Groff, der heute für die Verkehrsbetriebe von Basel verantwortlich ist, war das S-Bahn-Konzept – also eine eher leichte Bahn mit hohem Takt und vielen Haltepunkten – das A und O eines integrierten Systems. Seit seinem Weggang sei es mit der Entwicklung eines solchen Konzeptes, das auch ohne das abgewürgte BTB-Konzept auf den bestehenden Schienensträngen denkbar wäre, vorbei.

Aber auch das Buskonzept des MoDu ist nicht ganz nach dem Gusto des Trierer Verkehrswissenschaftlers: Es sei eine Todsünde gewesen, die Tram nicht schon vor Jahren realisiert zu haben. Die Vorschläge des MoDu wären sinnvoll, wenn die Tram schon da wäre und sich die vielen Ideen rund um den Buszubringerdienst gleich umsetzen ließen. Monheim begrüßt den multimodalen Ansatz des MoDu und ist seit jeher ein Anhänger von gut organisierten Umsteigesystemen. „Das wird aber nur angenommen, wenn es für die Nutzer auch wirklich klappt“, betont er. Das fange bei gut organisierten Haltestellen an, die nicht hunderte von Metern auseinanderliegen, und höre bei einer gutgemachten Informationspolitik auf. Beides liege in Luxemburg aber ziemlich im Argen und müsste unbedingt auch aus dem Blickwinkel sporadischer NutzerInnen betrachtet werden: Wer jeden Tag den gleichen Weg zur Arbeit fährt, kenne die Abläufe. Wer aber ein erstes Mal in seinem Leben am Bahnhof Luxemburg steht, sei vollkommen überfordert.

Gerade weil Monheim die Luxemburger Situation besonders gut kennt, macht er aus seiner Ungeduld keinen Hehl: „IVL, Anfang des letzten Jahrzehnts, war geduldiges Papier. Die Konzepte, die danach kamen, brachten die Sachen auch nicht weiter, und auch MoDu benutzt nur neue Begriffe, um das gleiche Desaster zu beschreiben“, beklagt Monheim. Man solle endlich mit dem Bau der Tram beginnen. Auch wenn es nur symbolische vier Kilometer auf Kirchberg seien ? Hauptsache, ein Anfang wäre gemacht: „Die zeitlichen Abläufe in Luxemburg sind elendiglich lang. Die Franzosen schaffen das in einem Bruchteil der Zeit, wenn sich die verschiedenen politischen Ebenen einig sind.“ Außer ironischerweise in Micheville, wo die schnelle französische Planungsmaschine ins Stocken geraten ist. Dort haben die Luxemburger ausnahmsweise einmal die Nase vorn und gelangen breitspurig ins Niemandsland.


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