KRIMINALITÄT/ STATISTIK: Inseln der Sicherheit

Eine neue kriminalstatistische Studie will die Opfer von Straftaten neu erfassen. Ihre Umsetzung ist jedoch schwierig, auch ihr Nutzen kann bezweifelt werden.

„Sind Verbrechen und Kriminalität messbar?“ Zu diesem alten Problem haben zwei Wissenschaftler des französischen Forschungszentrums für Rechtsfragen und Strafverfolgung (CESDIP) – Renée Zauberman und Philippe Robert – auf einer Konferenz in Luxemburg neue Vorschläge gemacht. Zu der Tagung mit dem Titel „La place des enquêtes de victimation dans la mesure de la délinquance“ vor – hatten das nationale Statistikamt Statec und die Universität Luxemburg geladen. Sie fand statt im Rahmen der Vorbereitungen zur EU-Untersuchung über Straftaten „European Safety Survey“, die der Statec 2013 in Luxemburg umzusetzen beabsichtigt. „In Europa werden seit dreißig Jahren derartige Studien durchgeführt“, meint Paul Zahlen, Verantwortlicher beim Statec. „Da das Thema der Sicherheit auf EU-Ebene bedeutsamer wird, hat Eurostat vorgeschlagen eine solche Untersuchung auf ganz Europa auszuweiten, sodass auch Ländervergleiche möglich werden.“ Diese sind bisher schwierig. Denn oftmals liegen nur Angaben der Polizei und Justiz vor, die letztlich nur partielle Einsichten in die Delikte geben.

„Der Nutzen dieser Studie – die Mitglieder verschiedener Bevölkerungsgruppen befragt, ob sie während eines bestimmten Referenzzeitraums Opfer von Straftaten wurden – liegt vor allem darin, dass sie ermög-licht, die offiziellen Statistiken der Justiz- und Polizeibehörden zu relativieren, respektive zu ergänzen“, so Philippe Robert. Die beiden Forscher verweisen darauf, dass bestimmte Vergehen, wie Verkehrsdelikte oder verwaltungsrechtliche Rechtsverstöße, in den öffentlichen Kriminalitätsstatistiken nicht berücksichtigt werden. Kriminalstatistiken würden zum Teil als Qualitätsindizien von Verwaltungen fungieren und müssten dementsprechend relativiert werden. Zudem würden viele Delikte, besonders solche im familiären Nahfeld, von den Opfern nicht zur Anzeige gebracht. Manche Betroffene hätten das Vertrauen in die Institutionen verloren oder schlechte Erfahrungen gemacht und aus diesen Gründen auf Anzeigen verzichtet. Deshalb habe eine von außerhalb initiierte Studie eine bessere Chance, vorliegende Angaben zu objektivieren. Außerdem sei sie in der Lage, den Opferstatus sozial zu differenzieren, da sie nach den sozialen Bedingungen frage. So hätten die Untersuchungsresultate in Frankreich gezeigt, dass nicht alle Bevölkerungsgruppen gleichermaßen von Übergriffen betroffen sind – wie sehr, hänge davon ab, wo die Betroffenen leben, wie alt sie sind, wieviel sie verdienen und wie hoch ihr Bildungsstatus ist.

Dennoch stoße auch die französische Modellstudie an ihre Grenzen – letztlich komme es darauf an, ein Maximum an Maßeinheiten zu vergleichen, so die beiden Forscher. Das Statec plant, die EU-Studie schon 2013 mittels 3.000 Telefonumfragen umzusetzen. Was nicht einfach werden wird, da nicht nur Grenzgänger, sondern stark von Übergriffen betroffene, schutzlose Gruppen, wie Obdachlose und Drogensüchtige zu erfassen sind, die jedoch im allgemeinen nicht über Festnetz-Anschlüsse verfügen. Und es stellt sich die Frage, was die Politik konkret mit den Ergebnissen der Studie anzufangen gedenkt. Kann dieses Wissen genutzt werden, um die soziale Stabilisierung von Stadtvierteln mit hoher Kriminalitätsbelastung zu unterstützten, oder besteht nicht eher die Gefahr, dass ein sozial differenzierter Kriminalatlas zu stärkerer Stigmatisierung und Ausgrenzung führt? In Frankreich, so die beiden Wissenschaftler, habe die Studie dazu beigetragen, Brennpunkte im öffentlichen Raum als solche zu identifizieren. Steht also der finanzielle Aufwand für diese Studie wirklich in einem akzeptablen Verhältnis zu ihrem Nutzen? Eine berechtigte Frage, denn mit Kriminalstatistiken ist es so eine Sache – zu Handlungsanweisungen taugen sie kaum. Zum einen, weil ihre Aussagen doch allzu widersprüchlich sind. Zum andern, weil die nackten Zahlen oft nichts über die Gründe von Gewalt, im Guten wie im Schlechten – verraten.


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