WAHLFORSCHUNG UND PIRATEN: Demokratie? Methodologie!

Die Piratenpartei taucht in der jüngsten Tageblatt-TNS-Ilres-Umfrage nur in einer Randnotiz auf. Eine Methodologie, die Newcomer benachteiligt.

Es gibt viele Gründe, Meinungsumfragen abzulehnen. Zum Beispiel glauben manche Leute einfach nicht an die Wahrscheinlichkeitstheorie, so wie andere nicht an die Evolutionstheorie glauben. Doch manchmal kommen auch wissenschaftsfreundlichen Menschen Zweifel, zum Beispiel bei der jüngsten Sondesfro-Umfrage, die von TNS-Ilres erstellt und vom Tageblatt veröffentlicht wurde.

„CSV verliert einen Sitz an Déi Lénk“, hieß es am 8. Juni zum Ergebnis im Bezirk Zentrum. Mit Befremden musste man aber feststellen, dass in den üppigen Farbdiagrammen eine Partei fehlte: die Piraten! Das lag an der Methodologie, wie man aus einem mit „Und die Piraten im Zentrum?“ überschriebenen Abschnitt erfahren konnte. Ob die luxemburgischen Piraten von der deutschen Erfolgswelle profitieren konnten, lasse sich mit der klassischen Sonntagsfrage nicht ermitteln, da deren Auswertung die „Rückerinnerung“ der Befragten an die letzten Wahlen berücksichtige. Immerhin hat TNS-Ilres „punktuell“ nach der Zustimmung für die Piraten gefragt und schätzt, dass sie einen Sitz erringen könnten, und zwar auf Kosten der LSAP. Wer sich allerdings nur die Grafiken ansah oder nur den Online-Artikel, erfuhr davon nichts.

Stellen wir uns einmal vor, im Vorfeld der französischen Präsidentschaftswahlen hätten die Umfrageins-titute „aus methodologischen Gründen“ nur Kandidaten berücksichtigt, die bereits 2007 dabei waren. Ergebnis: Nicolas Sarkozy Sieger in der ers-ten Runde mit 74 Prozent vor François Bayrou als einzigem erfassbaren Gegenkandidaten. Zum Glück schafften es die französischen Meinungsforscher, Befragungen durchzuführen, die alle KandidatInnen einschlossen, auch solche wie Jean-Luc Mélenchon, dessen politische Bewegung 2007 noch nicht einmal existierte.

Die Luxemburger Piraten gibt es seit Herbst 2009, und seit mindestens einem halben Jahr ist bekannt, dass sie an den kommenden Wahlen teilnehmen wollen. Dass sie bis dahin nicht in den Umfragen berücksichtigt wurden, ist verständlich, doch nun wäre es wirklich an der Zeit, sie als real existierende Partei zu behandeln. Es sei angemerkt, dass deutsche Meinungsforschungsinstitute in den vergangenen Jahren hier ein schlechtes Vorbild lieferten: Sie brauchten zwei Jahre, um die Newcomer in ihren Umfragen zu berücksichtigen. Die Piraten nahmen es mit Humor und posteten Woche um Woche „Allenbach: Sonstige auf 5-Jahres-Hoch“ und „Forsa: Sonstige wieder auf Höchststand“, wohlwissend, dass Totschweigen dank der neuen Medien unmöglich geworden ist. Ob sich die Institute damit einen Dienst erwiesen haben, ist fraglich, denn eigentlich ließen sie ja ihre Kunden die ganze Zeit über uninformiert. Aus demokratischer Sicht jedenfalls erscheint eine demoskopische Methode wie die von TNS-Ilres, die de facto neue Gruppierungen aussschließt, als völlig untauglich.

Besonders unerfreulich ist, dass es in Luxemburg nur ein einziges Ins-titut dieser Art gibt, das sich folglich alles erlauben kann. Vielleicht erklärt das ja auch die Zurückhaltung der Piraten: Sie haben sich nie nachdrücklich über die Umfragen beklagt und die jüngste Veröffentlichung sogar begrüßt, obwohl das Piraten-Lila in den Diagrammen fehlt. Dass Newcomer im hiesigen politischen Mikrokosmos nicht willkommen sind, mussten vor ihnen die Grünen und die Linke erfahren. So wurden nach Informationen der woxx im Vorfeld der Wahlen von 2004 die Umfrageergebnisse von „Déi Lénk“ im Tageblatt so „korrigiert“, dass die Partei als chancenlos dastand. Ob es wohl ein Zufall ist, dass die methodologischen und interpretatorischen Finessen häufig den Interessen der dem Tageblatt nahestehenden LSAP dienen?

Ob man es begrüßt oder bedauert ? Meinungsforschung spielt in Mediendemokratien eine wichtige Rolle. Deswegen ist es wichtig, dass die Umfrageinstitute ihre Verpflichtung zu Unabhängigkeit und Neutralität ernst nehmen und sich nicht von ihren Auftraggebern instrumentalisieren lassen. Der Verdacht, dass sie dem Einfluss von Partikularinteressen unterliegen, wäre sehr schädlich – für die Demokratie und für sie selber.


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