MOBILITE DOUCE: Fahrradkulturrevolution

Rund um die diesjährige „Fête du Vélo“ am vergangenen Wochenende ist so etwas wie eine neue Fahrradeuphorie entstanden. Kommt jetzt der Wandel, den die immer noch kleine, aber ständig wachsende Minderheit der RadfahrerInnen seit langem erhofft?

Kaum eröffnet, schon genutzt. Ein konsequenter Ausbau des städtischen Radwegenetzes kostet zwar Parkplätze, schafft aber mehr Sicherheit. Was in Kopenhagen mit Erfolg betrieben wurde, geschieht jetzt auch ansastzweise in Luxemburg.

Spätestens, seit der Minister für nachhaltige Entwicklung vor einigen Wochen sein neues Verkehrskonzept für Luxemburg vorgestellt hat, herrscht in manchen Kreisen eine Art Aufbruchstimmung. Die Abkürzung „MoDu“ in dem von Claude Wiseler (CSV) vorgelegten Dokument klingt nicht nur wie „mobilité douce“; das durch sie repräsentierte Konzept setzt tatsächlich in sehr starkem Maße auf die sanften VerkehrsteilnehmerInnen, nicht zuletzt auf das Fahrrad. Was die Entwicklung des öffentlichen Nahverkehrs betrifft, enthält MoDu zwar eher eine Art Fortschreibung bereits vorhandener Konzepte und, Folge der angespannten Staatsfinanzen, sogar eine partielle Rücknahme bereits geplanter Ausbaumaßnahmen im Bereich des Schienenverkehrs (siehe woxx 1159 & 1160), aber das Übrige ist dazu angetan, die Protagonisten des Fahrrads als Alltagsvehikel einigermaßen zufrieden zu stimmen. Die Lëtzebuerger Vëlos Initiativ (LVI) spricht in der letzten Nummer ihrer Vereinszeitschrift von einer sehr guten Partitur. Was jetzt noch fehle, seien die richtigen Musiker und Instrumente, mit denen das Stück dann auch wirklich gespielt werden kann.

„MoDu“ setzt tatsächlich Zielvorgaben, die nicht nur die klassische modale Aufteilung zwischen privatem Autoverkehr und öffentlichen motorisierten Verkehrssystemen enthalten. Der für 2020 angestrebte klassische Modalsplit von 75:25 zwischen Autos auf der einen und Bussen und Bahnen auf der anderen Seite ist von den Vorläufer-Konzepten übernommen und steht so auch in der Regierungserklärung aus dem Jahre 2009. Als das Regierungsprogramm geschrieben wurde, lag der Wert noch bei 83:17 – wenn man den Schätzungen von damals überhaupt trauen kann.

Doch das neue Konzept rechnet jetzt auch mit den sanften VerkehrsteilnehmerInnen, deren Anteil 2009 bei 13 Prozent lag und bis 2020 auf 25 Prozent vergrößert werden soll. Das heißt, dass dann von vier Bewegungen eine zu Fuß oder mit dem Rad erfolgt. Die verbleibenden 75 Prozent motorisierte Bewegungen sollen den ursprünglichen Plänen entsprechend ihrerseits zu einem Viertel mit öffentlichen und zu drei Vierteln mit privaten Fahrzeugen durchgeführt werden. Daraus errechnet das Ministerium einen globalen Modalsplit von 56% Autos, 19% Bussen und Bahnen und 25% sanften Fortbewegungen.

Die Reduktion des Autoanteils auf 56% klingt zwar einigermaßen radikal, doch in absoluten Zahlen wird, angesichts des erwarten Zuwachses des Verkehrsaufkommens, eine Netto-Zunahme der Autofahrten zu verzeichnen sein – weshalb der Minister auch nicht müde wird, den Ausbau der überlasteten Autobahnen auf drei Fahrspuren zu fordern.

Etwas kleinmütig wirkt MoDu in seiner Haltung zum öffentlichen Personennahverkehr, der von 14,5 auf 19 Prozent anwachsen soll. Hier hätte man mehr erwartet, da die Zuwachsraten der letzten Jahre sowohl bei den Bussen als auch bei den Zügen recht beachtlich waren – Folge der Erhöhung der Taktfrequenzen und der Kapazitätserweiterungen durch neues Material. Doch die bestehenden Linien sind ausgelastet. Die Bahn ist zum Opfer ihres eigenen Erfolgs geworden und kämpft gerade in den Spitzenzeiten mit vielfachen Verspätungen und Ausfällen. Und die Überlastung etwa der „Nei Avenue“ durch die zahlreichen Busse macht deutlich, dass auch hier ein Limit erreicht worden ist. Die viel zu spät realisierte Tram ist der einzige Lichtblick; sie wird der Fahrgaststatistik noch einmal zu einem eher bescheidenen Sprung verhelfen, zumal die Regierung im Eisenbahnbereich ja auf echte Neubaustrecken verzichtet.

Sanfter Aufbruch

So ist es die sanfte Mobilität, die es den Verkehrsplanern erlaubt, einen passablen Mix hinzubekommen. Doch auch in Zukunft wird Luxemburg ein Land der AutofahrerInnen bleiben – mit, im letzten Jahr, über 400.000 angemeldeten Fahrzeugen .

Und ohnehin gilt: Zielvorgaben sind eine Sache, das Ziel auch zu erreichen ist eine andere. Die Frage, wie eine Verdoppelung des Anteils des sanften Verkehrs überhaupt zustande gebracht werden kann, dürfte zu einer der spannendsten der kommenden Jahre werden.

Wie letzte Statistiken zeigen, erreicht die Stadt Luxemburg beim Fahrrad einen Anteil von 3,5 Prozent aller Bewegungen auf ihrem Territorium. Das ist zwar immer noch sehr bescheiden, bedeutet aber eine Vervierfachung gegenüber der Zeit, als der erste blau-grüne Schöffenrat eine etwas enthusiastischere Politik in Sachen Ausbau von Radwegen startete. Trotzdem zeigt dieser Wert, dass es noch ein weiter Weg sein wird, bis in Luxemburg-Stadt – und an anderen zentralen Orten – zweistellige Werte bei der Radbenutzung erreicht werden können.

Eine interessante Debatte zu diesem Unterfangen gab es am Montag der vergangenen Woche im Cercle Cité. Am Beispiel der Stadt Kopenhagen, die sich binnen weniger Jahre zur „city of cyclists“ entwickelt hat, diskutierten eine Reihe dänischer Experten – unter ihnen der ehemalige „Umwelt“-Bürgermeister der Stadt, Klaus Bondam – und einige Vertreter aus Luxemburg die Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, um dem Fahrrad den erwünschten Stellenwert in der täglichen Mobilitätskette der Luxemburger Einwohnerschaft zurückzugeben.

Gleich eingangs stellte Klaus Bondam fest, dass in Dänemark das Autofahren aufgrund hoher Umsatzsteuern, aber auch wegen des bewusst hochangesetzten Benzinpreises, für viele unerschwinglich ist. Häufig erreichen Dänen erst mit 40 Jahren ein Wohlstandsniveau, das es ihnen erlaubt, sich ein eigenes Fahrzeug zuzulegen. Andererseits sind insbesondere in Kopenhagen, einer wirtschaftlich aufstrebenden Stadt mit vielen jungen Einwohnern, die Mobilitätsbedürfnisse der Menschen sicherlich stärker ausgeprägt als zu früheren Zeiten. Die Lösung des Problems, das hierdurch gegeben war, lag in der entschlossenen Privilegierung des Fahrrads als Transportmittel im Alltag.

2010 wurden so in Kopenhagen 35 Prozent aller Fahrten zum Arbeitsplatz oder zur Schule mit dem Fahrrad durchgeführt, mehr als mit Bus und Bahn (32%), und erheblich mehr als mit dem Auto (26%). Betrachtet man lediglich die in der City lebenden Menschen, dann benutzt sogar jeder zweite das Fahrrad, um zu seinem Arbeitsplatz zu gelangen.

Der Optimismus der dänischen Verkehrsplaner hat zwar einen kleinen Dämpfer bekommen, da seit zwei Jahren der Radfahreranteil nicht mehr im gleichen Maße steigt wie zuvor und jüngst sogar einmal leicht rückläufig war. Trotzdem soll das einmal gesteckte Ziel einer fünfzigprozentigen Radnutzung auf dem ganzen Stadtgebiet weiter verfolgt werden – allerdings wurde die Deadline von 2015 auf 2025 verschoben.

Die Stadt Luxemburg strebt – so der Verkehrsschöffe François Bausch – weiterhin einen Anteil von 10 Prozent bis zum Jahre 2015 an. Sollte dieses Ziel erreicht werden, wird Luxemburg zwar immer noch nicht zu einer Fahrradhochburg geworden sein, doch dürfte es sich damit auf europäischer Ebene im guten Mittelfeld etablieren können.

Darauf angesprochen, welches Rezept er den Luxemburger Verkehrspolitikern mit auf den Weg geben würde, hob Klaus Bondam besonders den Punkt Sicherheit hervor. Erst als die Voraussetzungen dafür geschaffen waren, dass die RadfahrerInnen einigermaßen sicher am Verkehr teilnehmen konnten, seien auch vermehrt „normale“ BürgerInnen, die nicht von vorne herein vom Fahrrad überzeugt waren, umgestiegen. Trotz Zunahme des Radverkehrs ist die Zahl der durch Unfälle ernsthaft verletzten RadfahrerInnen von 252 im Jahre 1996 auf 92 im Jahre 2010 kontinuierlich gesunken. Bis 2015 streben die Kopenhagener Verkehrsplaner eine weitere Halbierung an. Umgekehrt stieg die Zahl der RadnutzerInnen, die sich ausgesprochen sicher im Verkehr fühlen, auf gut zwei Drittel. 1996 fand rein statistisch alle 1.200 Kilometer ein ernstzunehmender Unfall mit einem Rad statt, bis 2010 erhöhte sich dieser Wert auf 4.400.

Konsequenter Ausbau

Erreicht wurde dies durch einen kontinuierlichen Ausbau sicherer Radwege, die wenn irgend möglich, abseits des Straßenraums angelegt werden. Einfach aufgemalte Radwege, die zwischen dicht an dicht parkenden Autos und dem rasenden Verkehr vorbei führen, sind in Kopenhagen ein Tabu. Um sie zu vermeiden, wurde an vielen Stellen der Parkraum geopfert.

Neben der Sicherheit ist aber auch der Komfort ein Bestandteil der Kopenhagener Strategie. Genügend sichere (Unter-)Stellplätze, Reparaturstätten und Fahrradleihstationen gehören inzwischen genauso zum Stadtbild wie bereit ausgelegte Schnelltrassen, die auch den vielen Christiania-Transportbikes genügend Platz bieten, um mit Kind und Kegel voran zu kommen.

Wann es auch in Luxemburg echte „Radautobahnen“ geben wird, vermochte der Erste Regierungsrat im Nachhaltigkeitsministerium, Romain Diderich, nicht zu sagen.

Ein erster wichtiger Schritt auf dem Weg zu den MoDu-Zielen ist nach seiner Meinung eine Gesetzesnovelle, die es erlaubt, in Zukunft mit staatlichen Mitteln die Anbindung der lokalen Radwegenetze an das nationale System zu finanzieren. Die bisher geltende Arbeitsteilung, bei der die Kommunen die örtlichen Radwege bauen und unterhalten und der Staat sich hauptsächlich um die großen nationalen Radwege kümmert, hat sich als fatal herausgestellt. Denn gerade die Anbindung an den Ortsausgängen fehlt oftmals; in solchen Fällen sind Fahrten zu benachbarten Ortschaften kaum möglich, selbst wenn diese durchaus auf Raddistanz liegen.

In den großen Ortschaften, also gerade auch in der Hauptstadt, wird vieles vom guten Zusammenspiel nationaler und lokaler Verantwortlicher abhängen. Wie das Beispiel Kirchberg zeigt, denkt man selbst da, wo genügend Raum für eine Kohabitation zwischen Autos und Fahrrädern besteht, nicht oder zu spät an die sanfte Mobilität, wie Gust Muller, Präsident der LVI, feststellte.

Romain Diderich ging zwar nicht auf die langjährige Forderung der LVI ein, endlich einen nur für die Radfahrplanung zuständigen Koordinator einzusetzen, versprach aber, dass in dem neuen Gesetz zur Landesplanung die Berücksichtigung der sanften Mobilität zur Pflicht gemacht werden soll. Das hieße, dass künftig jeder (Teil-)Bebauungsplan bei der staatlichen Amenagierungskommission durchfällt, wenn ihm kein Radwege-Konzept beigefügt ist.

Die Kopenhagener Architektin Helle Soholt, deren Büro einige der Konzepte der dortigen Verkehrsplanung mit ausgearbeitet hat, wies auf die kulturelle Dimension des Wandels in ihrer Stadt hin. Auch Kopenhagen habe in den 1950er und 1960er Jahren eine Entwicklung in Richtung Autostadt durchgemacht. Doch die Menschen hätten die Auswirkung der Fehlentwicklung zu spüren bekommen und auch verstanden, dass sie von einer Rückgewinnung des urbanen Raums für Fußgänger und Räder profitieren. Ohne dass es je eine Art Masterplan für Parkraum gegeben hätte, sei die Zahl der Parkplätze jährlich um 2,5 Prozent verringert worden. Die Bevölkerung habe das in dem Maße akzeptiert, in dem ihr dadurch andere Möglichkeiten der Lebensgestaltung eröffnet wurden.

Wie wird in Luxemburg der Kampf Parkraum gegen sichere Radwege ausgehen? Zu einem ersten Schauplatz könnte die Avenue Marie-Thérèse werden, wo vor wenigen Tagen auf mehreren hundert Metern Parkplätze einem höher gelegenen Radweg geopfert wurden. Ähnlich wie bei der Tramdebatte, bei der um jede Fahrspur, die der Autoverkehr abgeben sollte, gekämpft wurde, dürfte auch die konsequente Umsetzung sicherer Radwege die eine oder andere Gegeninitiative hervorbringen. Das Argument ist stets das gleiche: Wegen einer Handvoll Räder soll den Autos nicht der kostbare Parkraum genommen werden. Doch wie Kopenhagen zeigt, kann aus einer kleinen Schar auch einmal eine Mehrheit werden.


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