GROSSES EURO-PROBLEM: Kleine Lösungen

Griechenland rausschmeißen? Jean-Claude Juncker ist kein Hardliner. Doch die Lösungen, um die er sich bemüht, sind nur faule Kompromisse.

Er lese manchmal, die Politik solle wieder ihr Primärrecht wahrnehmen, zu entscheiden und zu gestalten, sagte Jean-Claude Juncker Ende Juli in einem viel beachteten Interview zur Lage der Eurozone, erschienen in der Süddeutschen Zeitung. Was er lese, amüsiere ihn, denn: „Das tun wir doch längst – aber Banken und andere Finanzinvestoren reagieren nicht.“ Dieses Bekenntnis zum Primat der Politik ist sympathisch, doch die darin enthaltene Relativierung lässt Zweifel an der Tragweite der Aussage aufkommen. Wenn die Politik Entscheidungen trifft, deren Wirkung von der Reaktion der Märkte abhängt, kann von Primat wohl keine Rede sein.

Ähnliche Zweifel betreffen die bei Christdemokraten – und bei den ihnen immer ähnlicher werdenden Sozialdemokraten – beliebte Formel einer „Wirtschaft im Dienste der Menschen“. Denn die gleichen Politiker erklären uns seit zwei Jahren, dass Austeritätsprogramme wie das in Griechenland unabdingbar seien – Programme, die zur Beruhigung der Märkte entworfen werden, dabei aber das Leben von Millionen Menschen ruinieren.

Am Mittwoch besuchte Juncker den griechischen Premierminister Antonis Samaras, der eine Abschwächung der Sparauflagen erreichen möchte. Ohne diesem die erhoffte Schützenhilfe für Neuverhandlungen zu geben: Der Ball liege zurzeit bei den Griechen, so der luxemburgische Premier. Dennoch zählt Juncker nicht zu den Hardlinern. Im oben zitierten Interview warf er Deutschland vor, in Sachen Eurofragen Innenpolitik zu machen – eine Anspielung auf rechte FDP- und CDU-Politiker, die sich gegenseitig mit Forderungen nach einem Rausschmiss Griechenlands aus der Eurozone überbieten. Er sei „total gegen ein Ausscheiden von Griechenland“, betonte der Premier nach dem Gespräch in Athen.

Junckers Erläuterungen belegen, dass er sich der wirtschaftlichen und politischen Risiken eines solchen Ausscheidens bewusst ist. Doch wie „total“ ist seine Ablehnung eines Rausschmisses wirklich? Immerhin hat der wirtschaftsfreundliche, aber vernünftige Economist vor zwei Wochen ein fiktives Memorandum an Angela Merkel veröffentlicht, das sich für ein Ausscheiden nicht nur von Griechenland, sondern von vier weiteren „Sündern“ ausspricht. Als zweitbeste Lösung, wohlgemerkt, weil der Economist nicht an das Zustandekommen der von ihm favorisierten „föderalen Lösung“ glaubt: einer Banken-
union, von Brüssel aus überwacht und finanziell abgesichert, einer teilweise Vergemeinschaftung der bestehenden Staatsschulden und einer gemeinsamen Wachstumspolitik. Diese Überlegungen dürften Juncker nicht fremd sein.

Zwar wären solche „Lösungen“ besser als ein unkontrolliertes Auseinanderbrechen der Eurozone oder gar der EU, doch sie ändern nichts an dem fundamentalen Problem. Um etwas an der Übermacht der Märkte zu ändern, braucht es mehr als „Entscheidungen“, die das „Vertrauen der Märkte zurückgewinnen“, mehr auch als ein paar Verbote besonders gefährlicher Finanzprodukte oder gar die Abschaffung der Rating-Agenturen. Man kann sich leider schlecht vorstellen, dass Jean-Claude Juncker oder die vernünftigeren seiner europäischen KollegInnen ernsthaft versuchen werden, dem Finanzkapital die Flügel zu stutzen, wie Franklin D. Roosevelt dies in den 1930er Jahren unternahm.

Unser Premierminister ist, wie seine Kollegen, ein Mann der faulen Kompromisse: In Eurofragen, wo er der deutschen Regierung vorwirft, Innenpolitik zu betreiben, betreibt seine Regierung … Wirtschaftspolitik! Seit Beginn der Krise wehrt sich Luxemburg – auf Wunsch seines Finanzsektors – gegen eine stärkere Kontrolle der Banken auf europäischer Ebene. Und wenn Jean-Claude Juncker in der Süddeutschen auf die Ungerechtigkeit gegenüber den Griechen hinweist, denen die Renten gekürzt werden, während „die wirklich Reichen auf ihren Jachten Partys feiern“, so mag dies aus tiefstem Herzen kommen. Doch zuinnerst weiß er auch: Viele von diesen Reichen nutzen den Luxemburger Finanzplatz, um ihr Geld ins Ausland zu schaffen, ohne Steuern zu zahlen. Einen Finanzplatz, dessen Nischen die sonst so europafreundliche und solidarische Regierung mit Zähnen und Klauen verteidigt.


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