NIEDERLANDE: Ausgedampft

Seit Cannabistouristen im Süden der Niederlande nicht mehr erwünscht sind, hat sich die Situation gründlich verändert. Das Parkproblem ist gelöst – dafür aber wird auf den Straßen gedealt.

Und plötzlich wähnt man sich im Rifgebirge. Gleich hinter den Anlegern der Maas-Redereien, wo Fahrgäste auf Boote warten, beginnt es zu zischeln wie in den Gassen von Chefchaouen: „Kss, kss“, klingt es den Passanten entgegen. „Français? Belge? Deutsch?“ Wer den Blick nicht abwendet, bekommt ein beflissenes „tu veux quelque chose?“ zu hören. Dazu malen Daumen und Zeigefinger imaginäre Päckchen in den Wind: „Marihuana?“ Es ist Sommer auf der Uferpromenade in Maastricht, und Straßendealer bei der Acquise gehören in diesem Jahr zum Alltag.

Sie profitieren von einem Strukturwandel: Die südlichste Stadt der Niederlande, unmittelbar an der Grenze zu Belgien und Deutschland gelegen und zwei Autostunden von Luxemburg oder Nordfrankreich entfernt, ist seit jeher ein Wallfahrtsort für Westeuropas Cannabisliebhaber. Zwischen zweieinhalb und drei Millionen Kunden besuchten jedes Jahr die 14 Coffee Shops der Kommune. 65 Prozent von ihnen kamen aus den drei Nachbarländern. Und jetzt verschließt dieses THC-Mekka den Pilgern einfach seine Tore: kein Zugang mehr, heißt es seit Mai für Drogentouristen in den Coffee Shops.

Angespannt war die Lage schon seit Jahren (woxx 982): Wie im gesamten niederländischen Grenzgebiet häuften sich auch in Maastricht die Klagen der Bewohner über auswärtige Kiffer: falsch geparkte Autos, Verkehrsprobleme, Müll oder ganz einfach „Belästigung“. Die konservative Regierung in Den Haag will Coffee Shops darum zu geschlossenen Clubs mit jeweils höchstens 2.000 Mitgliedern machen. Zum Zugang berechtigt ein „Wietpas“ genannter Ausweis, den nur bekommt, wer vor Ort gemeldet ist. Die Coffee Shops der südlichen Provinzen Limburg, Nordbrabant und Zeeland machen den Anfang. Ab Januar gilt das neue Gesetz im ganzen Land.

Aus Protest machten Maastrichts Coffee Shops pünktlich zum Stichtag gleich ganz dicht. Die Hälfte ist es noch immer. Im „Kosbor“ zum Beispiel hängt ein Plakat im Fenster: „Wegen Reorganisation bis auf Weiteres geschlossen“. Von Reorganisation zeugt auch der verwaiste Parkplatz unten am Fluss, wo sich bis vor kurzem PKW aus Nordrhein-Westfalen und Belgien die Stoßstangen eindrückten. Ihr Ziel: die weiße Flotte der schwimmenden Cannabisquellen, zwei Personenschiffe auf der Maas, umfunktioniert zu Coffee Shops. Während die „Smoky“ nach wie vor geschlossen ist, hat die „Mississippi“ nebenan seit einigen Wochen wieder geöffnet.

An Deck, wo einst 1.500 Gäste täglich einen Sprachcocktail aus Französisch, Englisch, Deutsch und Niederländisch mischten, ist es ruhig wie in einem Museum. Die beiden einzigen Kundinnen unterhalten sich im lokalen Zungenschlag. Für die „Mississippi“, laut Mitinhaber Stephan Korsten „nach dem Bulldog in Amsterdam der bekannteste Coffeeshop der Welt“, hat der Überlebenskampf begonnen. Das Geschäft liegt am Boden, wie ein übereifriger Tourist nach einem zu großzügig gestopften Spliff. „Zwei Prozent meines Umsatzes sind mir geblieben?, sagt Korsten, der noch einen weiteren Coffee Shop in der Stadt betreibt. Was will er da anders machen als seine Mitarbeiter entlassen? Neun von 40 hat er noch, in der ganzen Stadt kostete die neue Regelung 400 Menschen den Job, das entspricht 90 Prozent der vormaligen Arbeitsplätze in der Branche.

In der Vitrine vor der holzgetäfelten Bordwand stehen neben bunten Bongs die Kristallwürfel, mit denen die Produkte des Hauses erst vor kurzem ausgezeichnet wurden. Ein erster Preis für Marihuana der Marke „Bio Haze“, ein dritter für „Nederhasj“, dazu der Pokal des Gesamtsiegers beim „Highlife Cup 2012“. „Schade, dass das niemand mehr sieht“, sagt Stephan Korsten, der erwägt, im Herbst das Handtuch zu werfen. Aufstieg und Fall seines Familienunternehmens stünden dann durchaus symbolisch für die Geschichte der niederländischen Softdrugs-Politik.

Ende der Achtzigerjahre des vorigen Jahrhunderts musste Korstens Vater, ein Binnenschiffer, in Maastricht anlegen. Eine größere Reparatur stand an, doch die Bank verweigerte den nötigen Kredit. So begann Korsten senior, der nie mit Drogen zu tun hatte, an der Maas mit Gras zu handeln. Weil die Stadt gerade dabei war, den Wildwuchs im Sektor in formale Bahnen zu lenken, kam eines Tages ein Beamter an Bord und lud ihn ein, aus seinem Schiff einen offiziellen Coffee Shop zu machen. 20 Jahre später steht die Mississippi ebenso vor dem Aus wie das Modell der liberalen niederländischen Drogenpolitik.

Das Geschäft liegt am Boden, wie ein übereifriger Tourist nach einem zu großzügig gestopften Spliff.

Letzteres liegt an einem entscheidenden Konstruktionsfehler: Zwar werden Konsum, Besitz und Verkauf kleiner Cannabis- Mengen nicht strafrechtlich verfolgt, doch für Ausbauund Belieferung der Coffee Shops gilt das nicht. Das Konzept, entworfen in den Siebzigerjahren, war auf die Versorgung einheimischer Kiffer gerichtet. Die internationale Nachfrage machte die Mängel dieses Konzepts deutlich. Sie bedingte mehr und größere – zwangsläufig illegale – Plantagen, wogegen die niederländische Justiz seit Jahren hart vorgeht. Viele Züchter weichen daher auf das deutsche oder belgische Grenzgebiet aus. „Eigentlich“, sagt Stephan Korsten, „ist die einzige Lösung, dass die Nachbarländer ihre Gesetzgebung anpassen.“

Wenn Korstens aus dem Bullauge schaut, kann er an der Promenade die Dealer beobachten. Anders als die Coffee Shops sind sie nicht an den Auftrag gebunden, weiche Drogen von den harten zu trennen. Gerade im Grenzgebiet aber bemühen sich Straßenhändler schon länger um einen Teil des Kuchens. Die neue Regelung spielt ihnen nun auf einen Schlag das Gros des Markts zu. „Das wird ein guter Handel“, versicherte ein Maastrichter Dealer am Tag der Einführung einem niederländischen TV-Sender. Er behielt Recht. 400 Verhaftungen wegen illegalen Kaufs oder Verkaufs von Cannabis vermeldete die Polizei der Provinz Limburg zwei Monate später – ein Bruchteil des tatsächlichen Handels.

Dass dieser sich allmählich in die Vororte verlagert, in die Nähe der Ausfallstraßen in Richtung Autobahn, spüren auch andere Branchen. Rund um den pflastersteingesäumten Marktplatz ist man gar nicht gut auf den Wietpas zu sprechen. Gerade den Schnellrestaurants bricht die Kundschaft weg, kein Wunder, waren doch Kebab und Burger beliebte Erste-Hilfe-Maßnahmen, wenn nach dem Joint der große Hunger zuschlug. Auch die Atmosphäre ist dem Geschäft nicht zuträglich: „Mehr Dealer als Touristen“ hat der Inhaber der türkischen Taverne auf dem Platz ausgemacht. Gegenüber bei McDonald´s verkündet ein Schild am Eingang, „ohne guten Grund“ dürften sich Kunden nicht mehr länger als eine halbe Stunde auf der Terrasse aufhalten.

Ein paar Meter weiter im Rathaus analysiert man die Lage anders: „Der Straßenhandel hat nicht zugenommen, er ist nur sichtbarer geworden“, erläutert Gertjan Bos, der Sprecher des Bürgermeisters. „Im Ganzen kommen deutlich weniger Drogentouristen, und um die ist die Konkurrenz härter.“ Auch die viel zitierte Belästigung sei weniger geworden. „Falsch parken, aggressives Fahrverhalten, herumliegender Müll, Wildurinieren, aber auch Szenen wie ein Auto, in dem morgens vier junge Franzosen mit Baseballkappen schlafen. Dies ist eine Provinzstadt, Menschen fühlen sich durch so etwas bedroht.“ Nur dass sich bislang erst 1.000 Menschen in den Coffee Shops der Stadt registrieren ließen, trübt das Bild. „Wir hätten deutlicher machen müssen, dass ihre Daten nach einer Kontrolle nicht gespeichert werden.“

Auch der Dialog, den man in Maastricht einst zwischen Behörden und Coffee Shops pflegte, ist Opfer der neuen Verhältnisse geworden. Beispielhaft war der Plan, die Hälfte der Coffee Shops vom Zentrum an den Stadtrand zu verlagern: drei „Coffee Corners“ mit jeweils ein oder zwei Läden, um Verkehrs- und Parkprobleme zu lösen. Eine Ode brachte dieser Kompromissbereitschaft einst die Limburger Punkband Heideroosjes: „Das ist doch dope, man, dass ein Tütchen einfach kann!“ Der Videoclip dazu wurde im Rathaus gedreht, und der alte Bürgermeister, Gerd Leers, rapte dazu mit der Amtskette um den Hals, dass ein Verbot nichts bringe. Nachfolger Onno Hoes dagegen, so sein Sprecher, halte sich strikt an die Order aus dem Sicherheitsministerium. „Der Dialog ist beendet. Das war eine andere Zeit.“

Nur das rathauseigene Glockenspiel scheint da nicht mitgekommen, intoniert ausgerechnet Ohrwürmer der THC-affinen Sechzigerjahre. Auf „Ruby Tuesday“ folgt „Paint it Black“, und während zwei betagte Touristinnen versonnen mitsummen, drehen Polizeistreifen ihre Runden und beäugen aufmerksam Jugendliche auf ihren Mofas. In diesem Sommer häufen sich die Berichte über mobile Dealer auf zwei Rädern. Manche sollen ihre Ware an der Haustür abliefern.

Auswärtigen bleibt die Straße. So wie Dieter Schmitz aus dem nahen Rheinland, der schon sein halbes Leben zum Graskaufen nach Maastricht kommt und mit einem Bier am Fluss sitzt. Natürlich hatte er die Neuigkeiten gehört, doch er wollte es mit eigenen Augen sehen – und dann war da die Hoffnung, doch nicht mit leeren Händen nach Hause zu fahren. Dieter Schmitz ist Logistik-Manager und heißt eigentlich anders. Wohl fühlte er sich nicht, als er zwischen zwei Dealern herlief, um etwas Gras zu erstehen. Mitten in der Fußgängerzone blieb der eine dann stehen und reichte ihm das Päckchen. Er schob den Schein hinüber, und bevor die Dealer sich im Gewimmel verloren, fragten sie noch, ob er wirklich nichts Anderes wolle.

Doch Dieter Schmitz will lieber gar nichts mehr aus Maastricht. Etwas wehmütig blickt er über die Maas. „Ich kam immer gerne in diese schöne, freundliche Stadt“, sinniert er. Manchmal brachte er die Kamera mit und flanierte auf der Suche nach Motiven durch die Gassen. „Jetzt werde ich es wohl in Nijmegen probieren.“ Auch diese Stadt liegt nahe der Grenze, jedoch in der Provinz Gelderland, die von dem neuen Gesetz noch nicht betroffen ist. Auf die Idee, dorthin auszuweichen, kommt Schmitz nicht als Erster: Es heißt, der Umsatz der Coffee Shops in Nijmegen habe sich zuletzt vervierfacht.

Tobias Müller berichtet für die woxx aus Belgien und den Niederlanden.


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