EZB: Nation geht vor Gender

Böses EU-Parlament, armes Luxemburg – so der Tenor nach dem negativen Votum zur Kandidatur von Yves Mersch für das EZB-Direktorium. Doch auch Luxemburg hat gepatzt.

Wäre man böswillig, könnte man die Frage stellen, ob Jean-Claude Juncker seinem guten Freund Yves Mersch bewusst das vergiftete Geschenk eines Sitzes im EU-Direktorium der Europäischen Zentralbank (EZB) gemacht hat. Der Spießrutenlauf des Luxemburgers, der seine Landsleute so empört, war eigentlich voraussehbar. Seit Gertrude Tumpel-Gugerell im Mai 2011 aus dem Direktorium der EZB ausgeschieden ist, gibt es ein Problem. Denn die Österreicherin war nicht nur im sechsköpfigen Direktorium die einzige Frau, sondern auch im EZB-Rat, der neben diesen sechs Personen noch die 17 Vorsitzenden der Zentralbanken der Euro?Zone umfasst. Und auch im Erweiterten Rat, in dem sämtliche 27 Mitgliedstaaten vertreten sind, sitzen ausschließlich Männer. Seit Tumpels Weggang aus dem EZB-Direktorium wurden schon vier Posten neu besetzt, ohne dass eine Frau benannt wurde. Kein Wunder, dass von Seiten der Regierungschefs so konziliante Töne kommen, wenn es um den Frauenanteil geht: Die Herren wissen, dass sie bislang nicht geliefert haben.

Na also, die Großen hätten sich doch längst bemühen können, eine Finanzfrau in das EZB-Direktorium zu schicken! Und hat das EU-Parlament nicht auch der Ernennung von Peter Praet ? der Tumpel ersetzte ? und auch jenen von Jorg Asmussen, Mario Draghi und Benoit Coeuré ins Direktorium zugestimmt? Ja ? aber es hat jedes Mal auch die Frage des Geschlechts-Ungleichgewichts aufgeworfen. Und schon bevor das Mandat des Spaniers Gonzalez-Paramo Ende Mai diesen Jahres erlosch, hatte es Juncker als Euro-Gruppen-Chef aufgefordert, weibliche Kandidaturen zu präsentieren und einen Plan für eine langfristige Gender-Strategie vorzulegen. Der tat jedoch weder das eine noch das andere. Das Argument Luxemburgs, es sei unfair, dass gerade bei der aktuellen Kandidatur so sehr auf das Geschlecht geachtet wird, hätten übrigens genauso gut auch die anderen Länder bemühen können. Dumm gelaufen, dass das EU-Parlament, das bislang gute Miene zum bösen Spiel gemacht hatte, endlich eine härtere Gangart eingelegt hat.

Zudem ist es gar nicht so, dass es, wie allerseits behauptet, keine kompetenten Frauen gibt. Im Luxemburger Finanzministerium etwa sind auch in den oberen Etagen die Frauen gut vertreten, auch wenn mit Yves Mersch ein Mann Präsident der Luxemburger Zentralbank ist. Doch wie kam der Ex-Beamte im Finanzministerium an seinen Job? Per Ernennung durch die Regierung. Die gleiche, die vorauseilend schon seinen Nachfolger designiert hat: Gaston Reinisch, ebenfalls ein Mann. Nebenbei gesagt, Mersch und Reinisch gehören zu den für Luxemburg so typischen Kumul-Beamten, die mit ihren Ämtern enorme politische Macht anhäufen – und so erst interessant werden für Posten wie den bei der Luxemburger Zentralbank. Ein System, das dazu beiträgt, Frauen – und auch anderen Männern – den Weg zu Führungspositionen im Staat zu blockieren.

Nun kehren alle den nationalen Aspekt hervor und bedauern den Luxemburger Kandidaten. Die Luxemburger Frauenorganisationen aber, die sonst aktiv für die Quote eintreten, halten sich in der Mersch-Affäre merkwürdig bedeckt. Auch dem Nationalen Frauenrat würde es gut zu Gesicht stehen, wenn er im konkreten Fall die Quote verteidigen und die Regierung an ihre Verpflichtungen und ihre zahlreichen Versäumnisse in Sache Gender-Parität erinnern würde. Das gilt übrigens auch für die Luxemburger EU-Kommissarin Viviane Reding, deren Forderung nach mehr Frauen in Firmen-Verwaltungsräten wenig glaubwürdig erscheint, wenn sie sich hier nicht deutlicher positioniert.

Bereits jetzt ist also klar, dass nach Merschs Wechsel ins EZB-Direktorium der Luxemburger Platz im EZB-Rat wiederum durch einen Mann eingenommen werden wird. Dies zeigt im ganzen, dass die Ernennungsprozedur für solche Posten transparenter, demokratischer und frauenfreundlicher werden müsste. Und das müsste auch in allen anderen EU-Staaten geschehen, wenn der EZB-Rat endlich weiblicher werden soll. Sharon Bowles, die britische Präsidentin des EP-Finanzausschusses, der in der Mersch-Affäre den Stein ins Rollen gebracht hat, zeigt, wie man’s machen muss. Sie kandidierte vor wenigen Tagen öffentlich für den Vorsitz der Bank of England.


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