SUBKULTUR: First we take Berlin

Luc Spadas Ego ist monumental, soviel ist gewusst. Wer sich hinter der provokativen Maske versteckt, ist dagegen weniger bekannt. Ein Porträt der wohl farbigsten Figur der hiesigen Subkulturszene.

Die Künstlerboheme ist seine Domäne: Luc Spada.

Der Luxemburger Luc Spada, 27, ist Schauspieler, Performer, Pop- und „Rauschliterat“, Buch- und Theaterautor, Blogger, Lesebühnen-Veranstalter, Selbstvermarkter und Image-Verwalter, Charmebolzen, Strickmützenträger, Partylöwe wider Willen, Exportschlager und Regisseur, all rolled into one. Er lebt in Berlin, im Kiez Prenzlberg, was ihn aber nicht daran hindert, auch viel in Luxemburg – und anderswo – unterwegs zu sein. Er versucht, nicht ohne Erfolg, bescheiden zu bleiben. Der Rest ist Provokation.

Sein Solo-Stück für eine Schauspielerin „Wenn nicht ich, wer denn sonst?“ – von der Escher Kulturfabrik, dem Prabbeli Wiltz sowie dem Kulturhaus in Niederanven Anfang 2012 koproduziert – wurde soeben an einem Berliner Off-Theater gezeigt.

Die Location ist ein Relikt aus früheren Zeiten, einzigartig in Berlin-Mitte. Der als Freie Bühne Mitte e.V. firmierende Acker Stadt Palast sieht erst einmal so aus, wie Tagesausflügler und Doppeldecker-Touristen sich ein Alternativprojekt aus frühen Wendezeiten vorzustellen haben. Ein bisschen erinnert es auch an die Escher Kulturfabrik von anno 1989-90 – dem Jahr also, als es in Berlin mit dem „Schokoladen“ so langsam losging.

Es handelt sich also um ein
stark sanierungsbedürftiges Hinterhof-Areal, ehemaliges Gelände einer auf Brotaufstriche spezialisierten Schokoladenfabrik, sowie natürlich, Berlin oblige, um den zeitlosen Schauplatz antagonistischer Kräfte: der des Marktes, der alles an sich reißen, sanieren, gentrifizieren und gewinnbringend in den Kreislauf der Akkumulation einspeisen will, und jener des „alternativen Wohn- und Kulturprojektes“, das von kapitalistischer Ökonomie nichts, aber auch gar nichts wissen will. Zumindest nicht mehr, als es unbedingt zum Überleben braucht.

Nicht ohne Grund lauten zwei der noch nicht übermalten Parolen an den Hauswänden „Solidaritätsbasar“ und „Ohne Moos nix los“! Der verschneite Hinterhof sieht in diesem Dezember des Jahres 2012 also aus, als wäre seit dem Mauerfall die Uhr stehen geblieben. Unter der Schneedecke ragen abwechselnd Fahrradgestelle, rostige Schubkarren, Schrottskulpturenteile, ein Stapel Altholz hervor. Auf dem Dach eines wohl als Sommerbar genutzten Schuppens steht ein Plastikstuhl, dahinter ragt eine Mauer auf, von der aus man auf den Bolzplatz einer Grundschule sehen kann.

Die freiwillige Sanierung des Areals hat bereits eingesetzt, versichert man uns, seit vor ein paar Monaten die definitive Standortsicherung qua Erbpachtvertrag erreicht wurde und die Pächter – darunter das Theater, der Schokoladen, der deutsch-polnische Kulturverein „Club der polnischen Versager“, eine Atelier-Gemeinschaft sowie Privatmieter – durch die stark sozial engagierte Baseler Edith-Maryon-Stiftung dem darwinistischen Umfeld des Immobilienmarktes in Mitte entzogen wurden und das Projekt als Freiraum weiterbestehen kann.

Ein geschützter Innenbereich also, auch wenn die Spuren des Kampfes noch nicht verwischt und übermalt sind. Wer unter roten Glühbirnengirlanden das Hofareal verlässt und auf die Ackerstraße hinaustritt, von dort in die Torstraße abbiegt Richtung Rosenthaler Platz, ist bald schon wieder mittendrin: Espresso-Bars, Hipster-Cafés, Retro-Lounges und Designerläden à perte de vue. Sie sind das neue, „mittige“ Berlin, das an dieser Schnittstelle zwischen Spandauer Vorstadt und Prenzlauer Berg der „Generation Umhängetasche“ seit gut zehn Jahren eine ideale Spielwiese bietet. Hier wird das „Projektgelaber“, dem Luc Spada in seinem – freilich nicht immer ganz laberfreien – Blog erstaunlich hellsichtig auf den Zahn fühlt, entspannt zelebriert.

Unter dem Namen Orphtheater hat das jetzige Acker Stadt Palast ein wenig Geschichte geschrieben.

Zehn Idealisten bewirtschaften die Location, notgedrungen nach dem Prinzip der Selbstausbeutung, d.h. unbezahlt. Die Spendenbox steht auf dem Tresen in der gemütlich warmen, mit allerhand gebrauchten Wohn-Accessoires ausgestatteten Lobby, die zugleich Büro und Küche ist. Es riecht nach frisch zubereitetem Glühwein. Der kleine Johannes klimpert die bekannten Akkorde von „Smoke on the Water“ auf einem Klavier, das auch als Ablage dient. Rote Barhocker, eine Pappfigur Klaus Nomis sowie die unbeirrbare Theaterkatze Koschka ergänzen das Bild.

Stefan Wolf, technischer Leiter seit 15 Jahren und in der DDR sozialisiert, spricht fließend Russisch und Portugiesisch, denn er hat zwischendurch zwei Jahre in Brasilien gelebt. Leben tut er momentan von Hartz IV, meint er knapp, während andere an ihrer Bachelor-Arbeit schrieben, kellnerten oder im Bereich Theaterpädagogik aktiv seien.

Es ist kurz vor der zweiten Vorstellung, die erste ist nicht so toll gelaufen – publikumsmäßig waren es gerade mal 15 Besucher -, aber jetzt sind schon fast doppelt so viele angemeldet. Ohne Mundpropaganda und persönliche Kontakte der anreisenden Künstler, allein durch Pressearbeit auf Freizeitbasis, wird der Saal nicht voll.

Das klingt einleuchtend, das haben auch wir Luxemburger inzwischen kapiert. Ann Muller, Kulturbeauftragte der Luxemburger Botschaft, ist derweil schon da. Nebenan, im 50 Sitzplätze umfassenden, schwarz gestrichenen Theaterraum, wird noch einmal die Einlassstimmung geprobt. Maëlle Giovanetti, die junge Schauspielerin, macht Gesichtsyoga in ihrer Garderobe.

Die anschließende Vorstellung läuft gut, das Publikum reagiert gelassen bis amüsiert auf die kleine Kotzorgie der Dampfplauderin Sophie Beck. Und Luc Spada? Sitzt mit Strickmütze entspannt an der Bar, probiert den Berliner Wodka. Und redet über das nächste Projekt.


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