ORGANSPENDE: Meine Niere ist deine Niere

Luxemburg ist eines der Schlusslichter in Sachen Organspende in Europa. Und das obwohl de facto jeder Organspender ist – sofern er nicht explizit widerspricht.

Klein, aber lebensnotwendig …
(Foto: Luxembourg-Transplant)

„Dreieinhalb Jahre habe ich auf meine Spenderniere gewartet“, sagt der 23-jährige Philippe Berg. Überbrücken konnte er diese Wartezeit nur, indem er wöchentlich dreimal jeweils bis zu fünf Stunden zur Dialyse in das Centre Hospitalier ging. „Die ‚Blutwäsche‘, das war Anfangs schon ein radikaler Lebenseinschnitt. Auch musste ich meine Lehre als Schreiner abbrechen“, so Berg, der sich mittlerweile über sein neues, freieres Leben freut und seit kurzem als Krankenpfleger tätig ist.

Dass das Thema Organspende auf der Tagesordnung steht, ist nicht nur der von Luxemburg demnächst zu ratifizierenden EU-Direktive 2004/ 23/CE zu verdanken, die in Bezug auf die therapeutische Anwendung von Gewebe mehr Sicherheit und Transparenz versprechen soll. Daneben sorgte leider auch die „grote Donorshow“ einer holländischen Produktionsfirma für Diskussionsstoff: Im Rahmen einer Reality-Show sollten hier die Organe einer angeblich todkranken Spenderin an drei nierenkranke Kandidaten verzockt werden. Der zynischen Spendershow, die sich letztlich als Fake herausschälte, gelang es dennoch kurzfristig auf die prekäre Organspendesituation hinzuweisen.

Jeden Tag läuft in Europa die Frist für Patienten ab, die insbesondere auf ein neues Herz, eine neue Leber warten, Fälle, in denen es im Gegensatz zur Niere keine apparative Ersatztherapie gibt: Sie sterben, während sie auf der aktuellen, rund 40.000 Patienten umfassenden, EU-Warteliste stehen. Um ihre Chance zu verbessern, müsste die Zahl der Organspender erhöht werden.

Diffuse Ängste

Auch in Luxemburg ist, fünfundzwanzig Jahre nach der Verabschiedung des Transplantationsgesetzes „réglant le prélèvement de substances d’origine humaine“ das Thema Organspende nach wie vor ein Tabu: Im Prinzip halten zwar viele das Spenden für eine gute Sache, geht es jedoch an die eigenen Nieren, wird den meisten Menschen mulmig.

So hat eine kürzlich veröffentlichte Eurobarometerumfrage gezeigt, dass nur 56 Prozent der Europäer bereit sind, nach ihrem Tod Organe zu spenden, wobei diese Bereitschaft von Land zu Land sehr unterschiedlich ist. Luxemburg gilt mit einem jährlichen Durchschnitt von 6 OrganspenderInnen auf eine Million EinwohnerInnen als Schlusslicht der EU, noch hinter Slowenien mit einem Durchschnitt von rund 10 SpenderInnen pro Million EinwohnerInnen. Das Großherzogtum situiert sich zurzeit vor allem als Nehmer- und weniger als Geberland.

Die Verunsicherung in der Bevölkerung ist groß, einerseits aufgrund der Verdrängung des Themas Krankheit und Tod, andererseits aufgrund mangelnden Wissens. Selbst im Familienkreis würden laut EU-Studie nur rund 40 Prozent über das Thema Organspende und Transplantation sprechen. So dass auch die Angehörigen, die im Falle eines plötzlichen Todes entscheiden müssen, ob sie die Organe eines Familienmitglieds zur Verfügung stellen wollen, das meist ablehnen. Nur wenige Personen führen tatsächlich einen Organspendeausweis mit sich. Viele haben Angst vor Missbrauch und missdeuten den Organspendeausweis als ärztlichen Freibrief, der zu ihren Ungunsten ausgelegt werden kann. Zu dieser Einstellung haben sicher auch die Schlagzeilen zum weltweiten Organhandel beigetragen. Obwohl kein Land der Welt den Handel mit Organen legalisiert hat und auch die Luxemburger Gesetzgebung diesen explizit verbietet, kurbelt gerade der Mangel das Geschäft an. Längst gibt es einen regelrechten Transplantationstourismus. Organhändler locken Lebendspender an, die sich aus wirtschaftlicher Not Organe entnehmen lassen. Wohlhabende reisen zu Transplantationen nach Brasilien oder Indien. In China sollen zum Tode Verurteile nach der Hinrichtung regelrecht ausgenommen werden.

Koordinationsleistung

Leider schadet diese Zurückhaltung den Betroffenen – mit der Folge, dass auch hierzulande die Wartelisten für Spenderorgane lang sind – wobei genaue Zahlengaben schwierig sind: „Zwar können in Luxemburg alle Organe entnommen werden“, sagt Egide Tasch, Koordinator bei „Luxembourg-Transplant“. „Aber alle Patienten, welche auf eine Herz-, Lungen-, Leber- oder Pankreasverpflanzung warten, werden zu den Universitätszentren unserer Nachbarländer überwiesen. Nur Dialysepatienten können sich im Centre Hospitalier einer Transplantation unterziehen“.

„Luxembourg-Transplant“ ist denn auch ausschließlicher Verantwortlicher für die Organisation und Koordination von Entnahme und Transplantation in Luxemburg, wobei sie der zentralen Vermittlerstelle „Eurotransplant“ unterstellt ist. Diese zentrale Datenbank in Leyden, die seit 1967 besteht und der mittlerweile neben den Beneluxländern, Österreich und Deutschland, seit kurzem auch Slowenien und Kroatien angehören, koordiniert den Länder-übergreifenden Austausch der Organe. „Wenn irgendwo ein hirntoter Patient ist, dessen Organe man verwenden kann, geht es darum, den Empfänger zu finden, der am besten passt. Das kann man nur erreichen wenn man eine größere Datenbank hat“, so Tasch. Auch wenn es in der EU selbst noch keine einheitlichen gesetzlich verankerten Qualitätsstandards in puncto Organspende gibt, verfüge Eurotransplant über strenge rechtliche Maßgaben. Dabei werde die Vergabe von Organen in die einzelnen Länder nach vereinbarten medizinischen Kriterien getätigt. „Falls in den verschiedenen Mitgliedsländern Nierenpatienten einen ähnlichen ärztlichen Befund aufweisen, dann entscheiden andere Aspekte darüber, etwa die Dauer der bisherigen Dialysebehandlung oder die räumliche Entfernung, wem Eurotransplant ein Organ zukommen lässt“, sagt Tasch. Auch gebe es Dringlichkeitslisten von Patienten, die sich in Lebensbedrängnis befinden, diese hätten natürlich Vorrang.

Laut einer Studie (www.aliar.lu) konnte Luxemburg-Transplant im Großherzogtum zwischen 1980 und 2006 rund 166 Nierentransplantationen vornehmen, darunter 61 Frauen und 105 Männer. Der Altersdurchschnitt der transplantierten PatientInnen lag bei 41 Jahren. Und das obwohl die ÄrztInnen, die bei Luxemburg-Transplant mitarbeiten, alle ehrenamtlich aktiv sind und es nur zwei Koordinatoren gibt, die im Rahmen einer Viertelstelle engagiert sind.

„Mehr Personal wäre günstig“, so Tasch. Die medizinische Prozedur ist anspruchsvoll und beschäftigt Ärzte und Pflegepersonal für viele Stunden, allein schon, um den Hirntod eines Patienten festzustellen. Eine funktionierende Organisation jedoch, die garantiert, dass die entnommenen Organe auf schnellstmöglichem Weg und in adäquaten Zustand zum Empfänger kommen, garantiert mehr Spendeorgane. Ebenso die Tatsache, dass verschiedene Länder wie etwa Frankreich den Transplantationen eine höhere Priorität einräumen.

Widerspruchsregelung

Neben der Organisation in den Krankenhäusern, spielt auch die rechtliche Handhabe, die in den Ländern unterschiedlich ist, eine Rolle. Im Artikel 6 des Luxemburger Gesetzes von 1982, das die Entnahme menschlicher Substanzen regelt, heißt es: „Eine Organentnahme (…) ist erlaubt bei Personen, die sich zu Lebzeiten nicht schriftlich dagegen ausgesprochen haben.“ Obwohl Luxemburg letztlich eine der niedrigsten Spenderaten in der EU hat, folgt es hier der so genannten Widerspruchsregelung, die in Spanien oder Österreich für sehr gute Spendeergebnisse sorgt.

Die Luxemburger Gesetzgebung geht also von einer solidarischen Einstellung aus – wobei in der Praxis jeweils bei der Familie nachgefragt wird. „Wenn jemand stirbt, bei dem wir Organe entnehmen könnten, dann fragen wir bei der nahe stehenden Familie nach, wie die Einstellung der betreffenden Person zur Organspende war“, so Tasch. Zusätzlich hat der Gesetzgeber den Organspendeausweis vorgesehen, der in Luxemburg im Gesundheitsministerium, bei Luxembourg-Transplant und in sämtlichen Gemeinden zu beziehen ist. Er ist eine Art Testament, in dem sich der Besitzer generell für eine Organspende aussprechen kann. Möglich ist aber auch, die Spende auf bestimmte Organe oder Gewebe einzuschränken, einige Organe auszuschließen oder einer Organspende ausdrücklich zu widersprechen. Falls jemand keinen Organspendeausweis hat, dann muss die Familie mitentscheiden. „Das ist im Allgemeinen keine leichte Situation, weder für die Familie noch für die Ärzte. Einfacher wird es, wenn im Vorfeld in der Familie über das Thema gesprochen wurde“, erläutert Tasch.

„Die Thematik müsste auch in den Schulen behandelt werden, um schon junge Menschen aufzuklären und zu sensibilisieren“, glaubt Marc Majerus, der schon eine ganze Odyssee hinter sich hat. Mit 29 Jahren wurde bei ihm eine Nierenbeckenentzündung festgestellt, die zu einer eingeschränkten Nierenfunktion geführt hat. Heute, mit 44 Jahren, ist er nach zwei fehlgeschlagenen Nierentransplantationen wieder Dialysepatient. „Ich würde es begrüßen, wenn es einen obligatorischen jährlichen Arztbesuch gäbe, bei dem die Leute sich auf Herz und Nieren prüfen lassen müssen. Dies würde nicht nur die Krankenkassen entlasten“ sagt Majerus.

Im Rahmen seines Engagements im Ausschuss der „Association luxembourgeoise des Malades rénaux et transplantés“ bedauert er, dass es noch keine vom Gesundheitsministerium mitgetragene Anlaufstelle für Betroffene gibt. Diese könnte Patienten informieren über ihre Rechte als Arbeitnehmer, alltägliche Tipps oder psychologische Hilfestellung anbieten und eben auch Sensibilisierungsarbeit leisten.

Letztlich haben internationale Erfahrungen gezeigt, dass viele Aspekte eine Spenderquote beeinflussen: die Einstellung der Bevölkerung, die Qualität des Gesprächs mit den Hinterbliebenen sowie eine klare und transparente Organisation der Transplantationskette im Krankenhaus. Rechtssicherheit ist wichtig – aber auch die Erkenntnis, dass Organspende immer auch ein Akt der Solidarität ist, die irgendwann auch einem selbst zugute kommen kann.


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