KÜNSTLERISCHE THERAPIEN: Kreatives Gestalten als Heilmethode

Obwohl die künstlerischen Therapien im Ausland boomen und einen wichtigen Beitrag leisten, werden sie in Luxemburg nach wie vor stiefmütterlich behandelt.

Die Puppen der Puppenspieltherapeutin Fabienne Thoma waren bei der Fachtagung
der künstlerischen Therapeuten ein Hinkucker.

Immer mehr SchülerInnen zeigen Verhaltensweisen, die den schulischen Betrieb stören. Solche Kinder und Jugendlichen benötigen oftmals eine andere Zuwendung, als sie sie im klassischen Unterricht erfahren. Können künstlerische Therapien hier eine Lösung sein? Dies ist eine der zentralen Fragen, die letztes Wochenende bei der Fachtagung „(Fir d‘)Liewe léieren – der Beitrag der künstlerischen Therapien zur Entwicklung ganzheitlicher Kompetenzen“ behandelt wurden.

Das Interesse an der Tagung war groß: Über hundert Einschreibungen verzeichneten die Organisatoren, der Berufsverband für Kunst-, Theater-, Musik- und Tanztherapien, die „Association luxembourgeoise des Art-thérapeutes Diplômés“ (ALAtD asbl) und die „Gesellschaft fir Musiktherapie zu Lëtzebuerg“ (GML asbl). Kein Wunder, ist doch die Kompetenzentwicklung von Kindern schon länger ein zentrales Thema bei der Schulreform des Unterrichtsministeriums.

In den Nachbarländern, zum Beispiel in Deutschland, gibt es längst Schulen, in denen künstlerische Therapeuten fördernd am Unterricht mitwirken, um die Kinder in ihren sozialen Kompetenzen zu stärken. „Fördern bedeutet hier oft, die Kinder überhaupt zum Lernen zu befähigen“, erklärt Marianne Wiltgen-Sanavia, GML-Präsidentin und Musiktherapeutin mit freier Praxis. Oft sei die Schule der Raum, in dem Kinder oder Jugendliche auffällig werden. Sie hätten den Kopf voll mit anderen Dingen. Manche litten unter altersbedingten Problemen, andere unter Schwierigkeiten familiärer Art. Hier stoße die Schule an ihre Grenzen; ein Lehrer könne bei Schülern, die nicht mehr aufnahmefähig sind, nichts mehr ausrichten. „Sinnvoll wäre dann außerhalb der Schulklasse ein geschützter Ort, wo Schwierigkeiten ihren Platz bekommen können“, so Wiltgen-Sanavia. Das sei nicht nur für das Lehrpersonal entlastend, das sich dann auf die Wissensvermittlung konzentrieren könnte, sondern auch für die Kinder, deren Probleme endlich ernst genommen würden.

Künstlerische Therapien sehen eine Betreuung vor, die noch über die Beratung und Weitervermittlung eines „Service de Psychologie et d`Orientation Scolaires“ (Spos) hinausgeht, insofern sie stark ressourcenorientiert sind. „Ihr Ansatz ist nicht in erster Linie auf die Probleme gerichtet. Es geht in erster Linie darum, zu erkennen, was ein Kind schon alles kann“, erläutert Sabine Schulze, Pressebeauftragte der Aladt und Kunsttherapeutin im Centre Therapeutique Kannerhaus Jean des Roten Kreuzes. Erst nachdem Ressourcen erkannt wurden, entstünden neue Motivationen.

Verkanntes Potential

Der gegenwärtige Stand in Luxemburg ist der, dass an einigen Schulen Lehrer mit einer künstlerisch-therapeutischen Zusatzausbildung punktuell kunsttherapeutische Projekte durchführen. Doch ist noch niemand mit dem Status des Kunsttherapeuten an einer regulären Schule eingestellt worden. Und das obwohl man längst weiß, dass die künstlerischen Therapieformen ein Potential haben, das nicht nur im pädagogischen Bereich, sondern auch im klinischen Kontext seine Wirkung entfalten kann: Der therapeutisch begleitete Umgang mit künstlerischen Ausdrucks- und Kommunikationsformen ermöglicht eine entwicklungsfördernde und -korrigierende Unterstützung von akut belasteten Kindern und Jugendlichen, psychisch erkrankten Erwachsenen oder alten Menschen.

Das grundlegende Problem in Luxemburg ist, dass der Berufszweig nach wie vor nicht anerkannt ist. Und so werden bisher offiziell nur wenige Stellen für künstlerische TherapeutInnen ausgeschrieben. Es ist also nicht ganz unmöglich eine Anstellung zu bekommen, aber arbeitsrechtlich liegt trotzdem einiges im Argen. Künstlerische Therapeuten, ob sie nun einen Bachelor- oder Masterabschluss besitzen, werden oft als „Educateur gradué“ eingestellt, da es sonst keine Möglichkeit der Einstufung innerhalb der geltenden Tarifverträge gibt. Um dem Problem aus dem Weg zu gehen, stellen viele Institutionen da wo künstlerische Therapeuten sinnvoll wären eher Sozialpädagogen oder ErgotherapeutIn ein. Insgesamt gilt somit: Wer als künstlerischer Therapeut eine Arbeit sucht, braucht Überzeugungskraft gegenüber von Arbeitgebern, einen starken Wille und auch die Bereitschaft zum Teil Aufgaben zu übernehmen, die nicht unbedingt direkt etwas mit dem eigenen Beruf zu tun haben.

Qualitätssicherung

Damit den Klienten jedoch trotzdem eine gewisse Qualität gewährleistet wird – viele künstlerische Therapeuten bieten ihre Dienste in Privatpraxen an -, haben beide Fachverbände Richtlinien und Standards zu Ausbildung, Weiterbildung, Praxiserfahrung und Supervision ausgearbeitet. Musiktherapeuten, die diesen Normen entsprechen, können sich bei der GML in ein internes Register einschreiben. „Die Ausbildung muss solide sein und insgesamt drei Bereiche abdecken: Der Kunsttherapeut muss über theoretisches Wissen in den Bereichen der Psychopathologien verfügen. Fachkenntnis des eigenen Mediums – Musik, Tanz, Theater oder eben bildende Kunst – wird ebenfalls vorausgesetzt. Und, drittens, muss er eine eigene Selbsterfahrung durchlaufen haben“, erläutert Schulze.

„Musiktherapie zum Beispiel ist mit einer Zusatzausbildung von 150 oder 300 Stunden nicht zu bewerkstelligen“, stellt Wiltgen-Sanavia fest. Bei den meisten Kindern und Jugendlichen, die zu ihr in die Praxis kommen, liegt bereits eine ärztliche Diagnose vor. „Bei einem Kind mit Autismus ist das Ziel oft die Verbesserung der Kommunikation. Ich muss das Medium Musik so einsetzen können, dass sie da erst einmal eine Tür öffnet, damit ich mit dem Kind kommunizieren kann. Bei ADHS-Betroffenen geht es darum, eine Struktur wiederzufinden. Da bietet sich ein fachgerechtes Arbeiten mit Rhythmik an“, so die Musiktherapeutin, die bei ihrer Arbeit eine große Instrumentensammlung von diversen Trommeln, Blasinstrumenten und sogar einen Flügel einsetzt. Aber auch ohne vorangegangenen Befund verfügt die Therapeutin über Tools, um diagnostisch arbeiten zu können.

In der Theater- oder auch Tanztherapie steht der Körper oft zentral. „Es braucht einen diagnostischen Blick, um zu verstehen, was der Patient oder Klient mit einer bestimmten Körperhaltung vermittelt und das nötige Know-How um mit ungewünschtem Befinden umgehen zu können“, so Schulze. „Diagnostisch Arbeiten innerhalb eines therapeutischen Prozesses bedeutet auch, dass der Therapeut immer im Dialog mit dem Patienten steht und seine Erkenntnisse überprüft. So bedeutet etwa die Farbe schwarz nicht per se Trauer, es kann auch Stärke ausdrücken“, so Schulze.

Neben dem Ausarbeiten von internen Qualitätsstandards versuchen ALAtD und GML auch auf politischer Ebene voranzukommen. So gibt es eine Zusammenrabeit mit dem Familienministerium, wo berufsrechtliche Fragen diskutiert werden. Inzwischen gibt es ein offizielles Schreiben des Ministeriums, aus dem hervorgeht, dass der Beruf nicht reglementiert ist und künstlerische Therapeuten keine ministerielle Zustimmung benötigen, um ihren Beruf im Kinder- und Familienbereich auszuüben. „Wir dürfen also arbeiten, aber eine gesetzliche Grundlage für unser Tun fehlt“, kritisiert Schulze.

Dass die Lobby der Kunsttherapie mit ihrem Anliegen noch nicht durchgedrungen ist, liegt nach Marianne Wiltgen-Sanavia auch daran, dass es in Luxemburg an Bewusstsein für die Möglichkeiten dieses Berufsstandes mangelt. In anderen europäischen Staaten ist man ein gutes Stück weiter: So wird in England die Kunsttherapie klar zu den Gesundheitsberufen gerechnet, und die Leistungen werden von der Krankenkasse erstattet. Auch in Deutschland und Holland hat der Beruf einen anderen Stellenwert – schon seit Jahren kann er an Hochschulen studiert werden. In Luxemburg dagegen gibt es an der Uni offiziell kein Diplom für das Kunsttherapiestudium.

Als Beruf anerkennen

„Auch das Gesundheitsministerium gibt sich bisher zurückhaltend: Es sei noch zu früh“, bedauert Marianne Wiltgen-Sanavia. Dabei stehe wohl die Angst vor einer weiteren Kostenübernahme im Vordergrund, denn zurzeit müsse ein Patient seine kunsttherapeutische Behandlung aus eigener Tasche bezahlen. „Es geht den Fachverbänden zunächst vor allem um eine Reglementierung unseres Berufes und nicht darum, ins Krankenkassensystem aufgenommen zu werden“, betont die Musiktherapeutin.

Zudem scheint das Argument einer zu hohen Belastung der Krankenkassen sehr einseitig, denn künstlerische Therapeuten füllen eine bedeutende Lücke im Gesundheitssystem und helfen durch ihre Zuwendungen, Kosten zu sparen. Eine wichtige Aufgabe übernehmen die künstlerischen Therapeuten etwa bei alten und dementen Menschen. „Ein künstlerischer Therapeut kann sehr viel bewegen, nicht nur in der individuellen Betreuung von Patienten, sondern auch auf institutionneller Ebene“, so Wiltgen-Sanavia. Es gibt Beispiele im Ausland, wo Pfleger, von Musiktherapeuten betreut, dazu motiviert worden sind, beim Pflegen zu singen. Das Schmerzempfinden bei vielen Patienten wurde hierdurch nachweislich verringert. Sehr deutlich wurde dies am Beispiel einer Patientin: „Eine demente Frau, die für elementare Pflegehandlungen von zwei Pflegern betreut werden musste, brauchte anschließend nur noch eine Hilfskraft“, versichert Wiltgen-Sanavia.

Um weitere politische Forderungen stellen zu können, will die ALADT demnächst Antworten auf die Bedarfsfrage nach künstlerischen Therapien in Luxemburg finden. Wichtig ist bei den Fachverbänden eine bessere Aufklärung über den Beruf, damit der künstlerische Therapeut irgendwann zu den Schulen, Krankenhäusern, Institutionen oder Altenheimen dazugehört.

www.alatd.lu – www.musiktherapie.lu


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