MEXIKO: Die Beute neu verteilt

Der neue mexikanische Präsident schickt sich an, Modernisierungsschranken zu beseitigen und die nationalen Monopole aufzubrechen. Mit Demokratisierung haben seine Reformprojekte wenig zu tun.

Zupackender als von vielen erwartet: Mexikos neuer
Präsident Enrique Peña Nieto.

Für viele war er nicht mehr als der smarte Mann an der Seite des Seifenoper-Sternchens Angélica Rivera. Neuen Schwung hatte jedenfalls niemand von Mexikos neuem Präsidenten Enrique Peña Nieto erwartet. Schließlich galt er als Marionette der autoritären Hardliner seiner Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI), die das Land bis 2000 bereits 71 Jahre lang regiert hatte. Kaum vier Monate ist es her, dass der 46-Jährige den Regierungssitz Los Pinos bezogen hat, doch schon jetzt hat er Bastionen angegriffen, die bislang als heilig galten. „Es gibt keine unantastbaren Interessen“, sagte er, ließ eine korrupte Gewerkschaftschefin verhaften, stellte das etablierte Medienmonopol in Frage und zeigte sich versöhnlich gegenüber radikalen Kritikerinnen und Kritikern des Systems, für das seine Partei steht.

Was auf den ersten Blick verwunderlich erscheint, hatte sich bereits angekündigt, als Peña Nieto am 12. Dezember zum Staatschef gekürt wurde. In einem „Pakt für Mexiko“ vereinbarte er damals mit dem konservativen PAN und dem sozialdemokratischen PRD eine Reihe von Reformprojekten. Sie berühren fast alle Bereiche; das Gesundheitswesen und die Sozialversicherung ebenso wie die Menschenrechte und die Koordination der Polizei, vor allem aber ging es um wirtschaftliche Liberalisierung. Denn Mexikos Markt ist mit seinen Monopolisten, korrupten Gewerkschaften und Einschränkungen für Investitionen an Grenzen gestoßen, die eine kapitalistische Modernisierung verhindern.

Bereits in den Neunzigerjahren hatte eine PRI-Regierung wichtige Schritte in diese Richtung unternommen: Staatsbetriebe wurden privatisiert, Freihandelsabkommen vereinbart, der Verkauf von Gemeindeland ermöglicht. Dennoch war die Partei wegen ihrer Anbindung an Bauern- und Arbeiterverbände mit der Liberalisierung der Märkte nicht weit gekommen. Auch der unternehmerfreundliche PAN, der danach zwölf Jahre lang den Präsidenten stellte, scheiterte. Nun will ausgerechnet ein PRI-Politiker die monopolistische Ordnung aufbrechen, die wegen der jahrzehntelangen Herrschaft der Partei den Kern des politischen Systems und der Gesellschaft ausmacht. Zwar verfügt Peña Nieto nicht über eine parlamentarische Mehrheit, doch dank des „Paktes“ hat er gute Aussichten, eine konsequente Marktöffnung durchzusetzen.

Zunächst könnte dieses Vorhaben den reichsten Mann der Welt treffen. Denn nach Plänen des Präsidenten, die im Kongress bereits verabschiedet wurden, soll Mexikos Telekommunikationssektor umstrukturiert werden. Diesen beherrscht bislang der mexikanische Unternehmer Carlos Slim. Etwa 73 Milliarden US-Dollar nennt er dem US-Magazin „Forbes“ zufolge sein Eigen, in Mexiko kontrolliert sein Konzern „América Movil“ 70 Prozent des Mobilfunk- und 80 Prozent des Festnetzmarktes. Setzt sich Peña Nieto durch, müsste der Unternehmer zurückstecken. Denn die Reformpläne sehen vor, dass künftig kein Anbieter mehr als 50 Prozent Marktanteil halten darf. Zudem sollen sämtliche Beschränkungen für internationale Investoren aufgehoben werden.

Slim dürfte das nur wenig stören, schließlich eröffnet ihm der Reform-eifer des Präsidenten zugleich neue Geschäftsfelder. Schon lange drängt der Multimilliardär auf den Fernsehmarkt. Bislang konnten die beiden großen Konzerne „Televisa“ und „TV Azteka“, die zusammen etwa 96 Prozent des Marktes kontrollieren, ihren Konkurrenten fernhalten. Das wird nun kaum mehr möglich sein, denn für das Medienangebot sollen die gleichen Regeln gelten wie für den Telefon- und Internetsektor. Auch dort dürfen ausländische Investoren zukünftig groß einsteigen. Außerdem sollen neben den Angeboten des Medienduopols zwei neue Kanäle geschaffen werden.

Dass ausgerechnet der „Televisa“-Konzern, der Peña Nieto im Wahlkampf massiv unterstützt hat, Einschränkungen erfährt, erscheint zwar widersprüchlich, liegt aber zugleich nahe. Die OECD hat 2012 in einer Studie festgestellt, dass der mexikanischen Wirtschaft durch fehlenden Wettbewerb in der Telekommunikationsbranche 25 Milliarden US-Dollar verloren gehen. Der Chef von „Televisa“, Emilio Azcárraga, gab sich auf Twitter einsichtig: „Es ist die Zeit der großen Herausforderungen und Chancen. Willkommen, Konkurrenz.“

Außer Frage steht, dass Peña Nieto mit seinen Reformen Anlauf für ein größeres Projekt nimmt: die Privatisierung des staatlichen Erdölunternehmens Pemex.

Zunächst hofften auch unabhängige Medien auf die Reform. So forderte Amarc, der Weltverband freier Radios, auch Sender von Gemeinden und Indigenen in das Vorhaben einzubeziehen. Nach der Abstimmung im Parlament musste jedoch der linke Abgeordnete Arturo López Cándido frustriert feststellen, dass diese Radios schlicht übergangen wurden. Dabei seien sie es, „die dafür stehen, dass die abgelegensten und marginalisiertesten Gemeinden ihre Ideen vermitteln können und ihr Recht auf Information erhalten“. Es sieht aus, als behielten die Aktivisten der Studierendenbewegung „Yo Soy 132“ Recht (woxx 1169). Sie fordern zwar eine Beschränkung der Macht von „Televisa“ und „TV-Azteka“, sehen in Peña Nietos Reform aber lediglich eine Öffnung für kommerzielle Anbieter.

Auch die Verhaftung Elba Esther Gordillos Ende Februar ist wohl kaum dem Interesse des Präsidenten geschuldet, demokratische Verhältnisse zu etablieren. Rund 120 Millionen Euro soll die Vorsitzende der Lehrergewerkschaft SNTE in den vergangenen vier Jahren unterschlagen haben. Die 68-Jährige zählt zu den korruptesten und mächtigsten Frauen des Landes. 35 Jahre lang war sie als hohe Funktionärin des PRI tätig, dann trat sie nach internen Machtkämpfen aus der Partei aus. Seit 1989 leitet sie die 1,5 Millionen Mitglieder starke SNTE. Wenn sie es will, werden die Schulen durch Streiks lahmgelegt. Im Gegenzug bewahrt sie ihre Schützlinge vor zu viel staatlicher Kontrolle. Dieses System sicherte ihre Macht und schützte sie vor Angriffen der Regierung. Ihre Verhaftung erfolgte einen Tag, nachdem Peña Nieto eine Bildungsreform angestoßen hatte, die Gordillo erheblich schwächt.

„Die fulminante Verhaftung von Elba Esther Gordillo“, schrieb das Magazin „Proceso“, „erinnert an die Zeit, in der von Los Pinos die absolute Macht ausging.“ Das Blatt legt nahe, dass Mexiko auf dem Weg zurück zu einer „imperialen Präsidentschaft“ sei. Dafür spricht, dass Peña Nieto jüngst in das Leitungsgremium des PRI aufgestiegen ist. Möglicherweise wollen die altgedienten Parteikader, die hinter ihm stehen, eine Modernisierung durchsetzen, indem sie interne Kritiker ausschalten lassen. Außer Frage steht, dass die Festnahme der Gewerkschafterin und die Liberalisierung des Telekommunikationswesens den Testlauf für ein größeres Projekt darstellen: die Privatisierung des staatlichen Erdölunternehmens Pemex. Dafür werden in der Partei klare Machtverhältnisse benötigt, denn nicht zuletzt gewerkschaftlich orientierte Mitglieder des PRI konnten die Privatisierung bislang verhindern.

Dass Peña Nieto radikalen Oppositionellen auffällig offen gegenübertritt, mag auf den ersten Blick überraschen. Schließlich ging der Politiker als Gouverneur des Bundesstaats Mexiko äußerst brutal gegen Linke vor. Den zapatistischen Rebellinnen und Rebellen aus Chiapas schlug der Präsident nun jedoch vor, Verhandlungen über die Rechte der indigenen Bevölkerung zu führen (woxx 1201). Doch auch das erinnert an ein Vorgehen, mit dem der PRI einst zweifelhaften Erfolg verbuchen konnte. Mit großzügigen Angeboten integrierte die Partei in den Siebzigerjahren maoistische und andere oppositionelle Gruppen. Wer die Offerte ausschlug, bekam die Gewalt der Staatsorgane zu spüren: Mindestens 500 Linke starben während des „schmutzigen Kriegs“, unzählige wurden gefoltert. Die Zapatisten ließen nie Zweifel daran, dass sie an einer Integration „a la mexicana“ kein Interesse haben. Das Angebot Peña Nietos haben sie entschieden zurückgewiesen.

Wolf-Dieter Vogel berichtet für die woxx aus Lateinamerika. Dieser Tage macht er sich mit Fotografin Kristin Gebhardt zu einer Reportagereise nach Kolumbien auf den Weg.


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