Heumannskämper Franz-Josef: It’s moving, it’s alive

Franz-Josef Heumannskämper, der sich mit Produktionen wie „Schwimmen nach Kambodscha“ oder „Edda“ international einen Namen gemacht hat, ist mittlerweile ein Exponent des Luxemburger Theaters. Im Versuchslabor der Gebläsehalle auf Esch-Belval fand gestern die Premiere seiner „Frankenstein“-Inszenierung statt.

Franz Josef Heumannskämper: „Mich interessiert es, Fragen zu stellen und Emotionen zu wecken. Aber ich gehe nicht hin und sage, so ist das.“
Foto: Christian Mosar

Es ist heiß auf dem Gelände von Arbed-Belval. Im Innern der unglaublich riesigen Gebläsehalle, in der es nun schon dämmert, ist das Klima angenehmer. Franz-Josef Heumannskämper, der sich gerade auf eine der letzten Proben vorbereitet, kommt mir aus einem kleinen Nebenraum entgegen: ein drahtiger Mann von sachlicher Freundlichkeit, in T-Shirt, Karo-Hemd und Jeans.

Die Inszenierung des „Frankenstein“ wurde dem deutschen Regisseur im Dezember letzten Jahres von seinem Theaterkollegen Steve Karier angeboten. „Ich kenne Luxemburg seit 1989 durch meine erste Zusammenarbeit mit dem heutigen Direktor der Kulturfabrik: ‚Schwimmen nach Kambodscha‘. Seitdem haben wir viele Produktionen zusammen gemacht, und es ist immer wieder schön, sich auf verschiedenen Entwicklungsstufen zu begegnen. Luxemburg hat aber auch von Anfang an vieles ermöglicht. Wir konnten viele Experimente frei wagen, es hat uns nie jemand in die Arbeit reingeredet. So ein Stück wie „Frankenstein“ in Deutschland zu inszenieren, das wäre schwierig gewesen. Außerdem finde ich die deutsche Dramaturgie ziemlich schwerfällig und langsam. Mit anderen Sprachen zu arbeiten, ist an deutschen Bühnen ebenfalls lange nicht so selbstverständlich. Aber ich arbeite zum Beispiel auch in Brüssel. Ich erfahre so auch immer wieder neue Arbeitsweisen und Methoden.“

Hundert Meter Bühne

Was nun in der Gebläsehalle dargeboten wird, ist kein klassisches Stück, sondern eine Aneinanderreihung von 16 „Schlüsselszenen“. „Es ist keine lineare Handlung, aber der Abend hat doch eine Dramaturgie, die speziell auf diesen Raum und auf seine Dimensionen bezogen ist: Diese Halle erinnert mich in Einigem an die Hildegard von Bingen-Aufführung, die in der ‚Notre Dame de Paris‘-Kathedrale stattfand. Etwas Sakrales hat sie für mich schon.“

Anfangs war geplant, das Stück in der Kulturfabrik aufzuführen, erst Ende April wurde daran gedacht, die Gebläsehalle zu nutzen. „Als ich die Halle sah, bin ich erst mal furchtbar erschrocken.“ Doch Heumannskämper klammerte den riesigen Raum nicht aus, sondern versuchte, ihn auszunutzen. So wird zum Beispiel das Außenlicht, das auch Abends noch durch die Atelierfenster hereinfällt, mit dem künstlichen Theaterlicht kombiniert. Die Handlung spielt in unterschiedlichen Entfernungen vom Publikum. „Menschen wirken von ganz hinten wirklich sehr klein, können aber sehr dominant sein, wenn sie vorne agieren. Das sind Möglichkeiten, die man sonst in fast keinem Theater hat. In einer Szene flüchtet Frankensteins Geschöpf: Dabei kann es einen Sprint von fast 100 Metern zurücklegen!“

Die Herangehensweise ist auch in anderen Punkten neu: Der junge Wissenschaftler Victor Frankenstein und das von ihm geschaffene Monster werden gemeinsam gespielt und getanzt von Steve Karier und Jean-Guillaume Weis. Wesentlich war für Heumannskämper auch der Sound: „Die meisten Menschen siedeln Frankenstein als Hollywood-Produktion im Horror-Genre an. Ich habe also auch sehr viel Musik, vor allem Filmmusik, verwendet.“ Multidisziplinär an die Stoffe heranzugehen, zum Beispiel wie hier Musik und Tanz in Inszenierungen zu integrieren, ist eines von Heumannskämpers Markenzeichen: „Ich mache das nicht ausschließlich, aber sehr gerne, weil es so viele kreative Seiten anspricht.“

Intuitives Vorgehen

Der Verweis auf die aktuell debattierte Problematik der Gentechnologie drängt sich bei einem Stoff wie Frankenstein natürlich auf. „Wir sind in der Vorbereitung und beim Probenbeginn permanent konfrontiert worden mit diesen Gen-Geschichten. Wir haben deshalb auch Texte aus den Printmedien oder auch Bilder in verschiedene Szenen eingefügt.“ Doch allzuviel interpretieren mag Heumannskämper nicht: „Mich interessiert es, Fragen zu stellen und Emotionen zu wecken. Aber ich gehe nicht hin und sage, so ist das.“ Zu Beginn einer Arbeit geht er eher intuitiv vor. „Oft gelingt es dann irgendwann, dass ich plötzlich weiß: Das ist es, das ist der wesentliche Punkt. Während der Produktionszeit von ‚Frankenstein‘ lernte ich zum Beispiel jemanden kennen, der seine Eltern nicht kennt. Das ist nun gar kein Monster, aber Kinder, die ihre Eltern nicht kennen, das ist dann doch viel einfacher fassbar als die Vorlage Shelleys. Und doch ist es eigentlich dieselbe Problematik der Suche nach den eigenen Ursprüngen wie bei ‚Frankenstein‘: Woher kommen wir, wer sind wir?“


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