Wiroth Dan: Kunst ist eine Waffe

Nach seinem Kurzfilm „Erè mèla mèla“ will der Regisseur und Objektanimateur Dan Wiroth sich künftig mehr dem Menschen widmen. Seine Kunst versteht er als Medium für kritische Botschaften.

Animiert gerne zu guter Laune und zum Nachdenken: Filmregisseur Dan Wiroth.
Foto: Christian Mosar

Ein Lied. Zwei Männer, die tanzen. Körperkontakt. Blicke treffen sich, verschmelzen. Stille, Stillstand. Schultern und Füße berühren sich zärtlich. Socken und Hosen krabbeln sehnsüchtig von einem Tänzer zum anderen und wieder zurück. Stopp. Hosen, die krabbeln?

„Ich suchte nach einem erotischen Ausdruck“, erklärt Dan Wiroth. Bild für Bild hat der Filmregisseur diese Szene aufgenommen. Die Tänzer durften sich dabei nicht bewegen. Nur die Hosen hat Wiroth jedesmal ein paar Zentimeter weiter herunter- und dem anderen Tanzpartner angezogen. Für das Publikum wirkt das dann so, als würde die Kleidung die Körper der beiden Tänzer miteinander verbinden.

„Der Film war sehr technisch“, die Erläuterungen des Filmanimateurs Wiroth klingen fast wie eine Entschuldigung. Doch es sind genau diese Effekte, unterschiedliche Kamerageschwindigkeiten, weite und nahe Perspektiven sowie die Animation von Kleidungsstücken, die aus der Begegnung zweier Tänzer ein erotisch prickelndes Sehvergnügen machen. Und die dem gebürtigen Luxemburger den schwullesbischen Filmpreis „Teddy“ auf der Berlinale für den besten Kurzfilm einbrachten.

„Nein, ich bin nicht schwul“, sagt Wiroth und lacht. Seitdem er „Erè mèla mèla“ gedreht hat, wird er öfters mit der Frage konfrontiert. „Ich wollte die Homosexualität der beiden Tänzer unbedingt respektieren und ganz normal zeigen“. Das ist ihm gelungen – der Film ist nicht nur ein Renner auf allen schwullesbischen Filmfestivals in Europa. KritikerInnnen sind sich einig, dass Wiroth das Kunststück gelungen ist, männliche Homosexualität darzustellen, ohne dafür auf nackte Körper und wuchtige sexuelle Bilder zurückgreifen zu müssen.

2.000 Gabeln für acht Minuten Film

Dabei stehen Menschen noch nicht allzu lange im Mittelpunkt der Arbeit des 31-jährigen: In den vergangenen Jahren seines filmischen Schaffens hat sich Wiroth vor allem mit Objektanimation und Experimentalfilmen einen Namen in der in- und ausländischen Filmszene gemacht. Für den Animationsfilm „Crucifiction“, seine Abschlussarbeit an der Brüsseler Kunsthochschule „La Cambre“, erweckte der gebürtige Luxemburger Küchenbesteck zum Leben. Per Hand, ganz ohne Computereffekte. Um die witzige Geschichte einer Gabel zu erzählen, die gemeinsam mit FreundIn Messer und Löffel aus dem Besteckkorb ausbricht und Jagd auf einen Rosenkohl macht, habe er 2.000 Gabeln gebraucht, sagt Wiroth nicht ohne Stolz. Eigenhändig hat der Filmemacher Zinken und Messerspitzen Zentimeter für Zentimeter verbogen, gefilmt und wieder verbogen. Der Effekt dieser Aufnahmetechnik: Gabel und Messer können laufen, kämpfen, sie tanzen sogar.

Klar, dass solche Aufnahmen viel Geduld, Genauigkeit und eine gehörige Portion Fantasie verlangen. „Ja, ich bin präzise“, bestätigt Wiroth schmunzelnd. Und dass Fantasie eine der wichtigsten Fähigkeiten des Menschen ist, davon ist der Künstler überzeugt. „Es ist wichtig, dass Menschen heute noch in Bildern denken können“.

Das Erfinden und Denken solch skurriler Plots bereitete dem Sohn des bekannten luxemburgischen Künstlers René Wiroth offenbar nie Probleme. „Ich wollte schon mit acht, neun Jahren Filme machen“. Da Malerei, Bildhauerei und Musik als künstlerische Domänen bereits an Vater und Bruder vergeben waren, und der junge Daniel unbedingt „etwas ganz anderes machen“ wollte, blieb nur noch die Schauspielerei. Die Pantomime hatte es dem Zwölfjährigen besonders angetan – genaues Beobachten, präzises Einsetzen der Ausdrucksformen Gestik und Mimik, auch den minimalistischen Umgang mit Sprache lernte er hier. Charlie Chaplin war sein großes Vorbild. Aus dem Wunsch, Schauspieler zu werden, ist zwar nichts geworden. Die mit der Pubertät einsetzende Kamerascheu verhinderte dies. Dem Film blieb Wiroth dennoch treu – auf der anderen Seite der Kamera.

Das Unmögliche animieren

Animation als Ausdrucksform entdeckte der Künstler eher zufällig. Seine Vorliebe für Comics und Zeichentrickfilme und die guten technischen Möglichkeiten an der Brüsseler Hochschule könnten dazu beigetragen haben. Für die Arbeit mit Objekten spitzte Wiroth sein bisheriges Motto „etwas Anderes anders zu machen“ zu. Jetzt hieß es, „das Unmögliche zu animieren“. Nudeln, Schuhe, Besteck, Kohlköpfe … die Liste der Objekte, die der Künstler zum Leben erweckt hat und deren Animation ihm Preise gebracht hat, ist lang.

Aber trotz aller Erfolge – künftig wird sich Wiroth mehr den Menschen und dem Langfilm widmen. „Vom Kurzfilm allein kann ich nicht leben. Er ist leider nicht so anerkannt wie der Langfilm“, bedauert der Regisseur, der sich zurzeit auch mit Werbefilmaufträgen über Wasser hält. Der Wechsel zum Spielfilm hat allerdings auch einen künstlerischen Ansporn: Nach vielen Jahren intensiven Lernens und Ausprobierens in Kameraführung, technischer Ideenumsetzung und Regieführung im Umgang mit Objekten, fühlt sich der Künstler jetzt reif genug, das Subjekt Mensch schärfer ins Visier zu nehmen. Damit will Wiroth, für den Kunst ohne Botschaft undenkbar ist, inhaltlichen Aspekten mehr Raum geben. „Auch meine Kurzfilme sind mit kleinen Botschaften bespickt, aber die meisten bekommt man in der Kürze nicht mit.“ In der Tat, dass die Geschichte wildgewordener Messer und Gabeln auch ein Appell gegen Krieg und Gewalt ist, dürften wohl die wenigsten ZuschauerInnen entdeckt haben: Die als Landkarte dargestellte Küchenunterlage, auf der die stählernen Bestecke Jagd auf den lebendig grünen Rosenkohl machen, ist – bei acht Minuten Gesamtspiellänge – nur wenige Sekunden eingeblendet. Zu kurz, um die dahinter liegende antimilitaristische Botschaft zu begreifen.

Politischer Militantismus als Lebensziel

Die Auseinandersetzung mit Menschen und gesellschaftlichen Themen ist Wiroth schon seit vielen Jahren ein Anliegen. Als Student in Brüssel hatte der Filmemacher gemeinsam mit StudienkollegInnen kritische Kunstprojekte initiiert. Dieser „politische Militantismus“, wie Wiroth sein Engagement selbst nennt, fehle ihm heute. Inspiriert vom geliebten Vater René, der in seinen Werken die Bedeutung der „Kunst als gesellschaftskritische Waffe“ betont, will Ex-Anarchist Dan Wiroth in Zukunft die Botschaften in seinen Filmen stärker herausarbeiten.

Aber die Werbefilme? Wie passen die zum politischen Selbstverständnis? Die mache er nur fürs Geld, sagt Wiroth und wirkt für einen Augenblick verlegen. Auch dort sollen künftig kritische Einstellungen Vorrang haben: Zurzeit arbeitet Wiroth gemeinsam mit dem Regisseur Armand Strainchamps an einem Werbespot für die Recycling-Firma „Valorlux“.

Derweil nimmt im Kopf des freischaffenden Filmemachers bereits das nächste Filmprojekt konkrete Formen an. Die Geschichte steht, mehr will Wiroth nicht verrraten. Schließlich liebt er es, die Leute zu überraschen. Nur eines gibt er preis: Auch dieses Mal wird es besondere Effekte der Animation geben.


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