PATIENTE VERTRIEDUNG: Pflegeleistungen nicht ausgeführt

Bei der Ausarbeitung des „Plan d’action démences“ der Regierung wurde die Patiente Vertriedung asbl nicht berücksichtigt. Dabei ist sie mit zahlreichen Anfragen unzufriedener Angehöriger befasst, die die unzureichende Versorgung bemängeln.

Michèle Wennmacher
ist Diplom-Psychologin.
Sie war mehrere Jahre bei der „Association Luxembourg Alzheimer“ (Ala) aktiv.
Seit 2009 ist sie Verantwortliche
bei der Patiente Vertriedung,
zudem ist sie Präsidentin
der Ama.lu asbl und ist Mitglied im Verwaltungsrat der asbl „anonym Glécksspiller“.

Woxx: Wieviele Anfragen oder Klagen bekommen Sie zum Thema Alzheimer und Demenz? Und worum geht es bei diesen?

Michèle Wennmacher: In der letzten Zeit haben sich die Anfragen gehäuft. Vielleicht hat es damit zu tun, dass das Thema Alter 2012 mit dem europäischen Jahr unter dem Titel „for active ageing and solidarity between generations“ im Mittelpunkt stand und wir auch ein paar Mal im Zusammenhang mit den Problemen im Altersheim in Hamm in der Presse erwähnt wurden. Der Schwerpunkt der Probleme, mit denen Betroffene sich an uns wenden, liegt bei der mangelhaften Versorgung in verschiedenen Alters- und Pflegeheimen. So klagen Familienangehörige, dass sowohl die wesentlichen Versorgungsleistungen nicht adäquat durchgeführt werden, als auch, dass der Umgang insgesamt mit den demenzkranken Personen mangelhaft ist.

Zum Beispiel?

Bestimmte Pflegeleistungen, auf die die Betroffenen aufgrund der Pflegeversicherung ein Anrecht haben, werden nicht erbracht. Das betrifft meistens das Waschen: Obwohl Demenzkranke in Alters- und Pflegeheimen einen Anspruch auf eine vollständige Pflegeleistung haben, die auch die tägliche Dusche oder die Nagelpflege umfasst, stellen Angehörige bei Besuchen häufig fest, dass nichts gemacht wurde und die betreffende Person ungepflegt riecht. Besonders inakzeptabel ist, dass inkontinente Personen nicht selten einen ganzen Nachmittag in ihren nassen Windeln ausharren müssen, was oft zur Bildung von Wundstellen führt.

Sind die Pfleger im Umgang mit demenzkranken Patienten geschult?

Es ist wichtig, die eingehenden Beschwerden richtig einzuschätzen – ob sie nur auf subjektiven Eindrücken beruhen oder objektiv zutreffend sind. Oft wird beklagt, dass der Personalschlüssel in den Alters- und Pflegeheimen nicht ausreicht. Wenn eine Institution demente Menschen betreut, benötigt sie einen höheren Personalschlüssel. Das Personal ist oft überfordert. Kürzlich waren wir mit Vertretern des Familienministeriums in einem Heim, da bestand das Personal plötzlich aus fünf Leuten, die sich mit den alten Menschen beschäftigten – die Familien berichten jedoch, dass normalerweise nur eine Person anwesend ist, die obendrein keine Ausbildung hat.

Der Personalschlüssel müsste doch eigentlich vorgeschrieben sein?

Wenn mehr Pflege erfordert ist, dann ist der Personalschlüssel höher. Aber auch jede pflegerische Maßnahme sieht bestimmtes Personal vor. Bestimmte Maßnahmen dürfen nur von einem Krankenpfleger durchgeführt werden, andere nur von einem Ergotherapeuten, wiederum andere nur von einem Psychologen.

Personen, die an einer schweren Demenz leiden, werden zum Teil mittels Tabletten ruhiggestellt. Wie wird Mißbrauch verhindert?

Oft wird zu schnell und leichtfertig auf Tabletten und Beruhigungsmittel zurückgegriffen. Dazu kommt, dass Patienten unterschiedlich auf Medikamente reagieren: Der eine Patient wird durch die Tabletten sediert, ein anderer reagiert genau umgekehrt und wird durch sie noch unruhiger. Die Wirkung wird einfach nicht genug kontrolliert. Wir hatten einen Fall, wo eine Patientin Medikamente bekommen hat, die nicht zusammen mit anderen Mitteln hätten verschrieben werden dürfen, da die Kombination das Herzinfarkt-Risiko erhöht. Die Person erlitt tatsächlich einen Infarkt – dann stellt die Familie sich natürlich die Frage, ob daran der Medikamentencocktail schuld war? Bei dementen Personen entscheidet grundsätzlich der Arzt über die Einnahme von Medikamenten. Jedoch ist es immer gut, wenn er mit der betroffenen Person oder der Familie Rücksprache hält. Wir erleben auch oft, dass die Verantwortlichen einer Institution eine Familie, die nicht Bescheid wusste, mit der Erklärung abspeisen, dass sie zur Information nicht verpflichtet gewesen seien. Auch bei der Vormundschaft über eine demente Person geht es oft nur ums Geld, die Frage der Medikamentenvergabe wird hier ganz ausgeklammert.

Wie ist Ihre Einstellung zur Fixation?

Fixationen sind im Prinzip noch gar nicht geregelt. Wir erfahren davon immer nur vom Hörensagen, und wenn wir dann in einer Institution nachfragen, heißt es, wir machen das nicht. Fakt ist aber, dass Familienangehörige häufig von Fixationen berichten. Aber auch in den Krankenhäusern wird immer öfter das Argument vorgebracht, dass ein dementer Patient die anderen stört – der wird dann eben hinter einen Tisch geklemmt oder am Bett fixiert.

Alte und demente Personen schaffen es irgendwann nicht mehr, ihre behördlichen Unterlagen in Ordnung zu halten.

Es wäre begrüßenswert wenn das neue Patientenrechtsgesetz solche Aspekte einbeziehen würde. Aber das macht es leider nicht. Wenn ein Vormund eingesetzt wird, handelt es sich meistens um einen Anwalt, der jedoch nur den finanziellen Aspekt der Sache berücksichtigt. Der Patient wird nicht im Ganzen gesehen. Ein Teil seiner Angelegenheiten wird von einer Person verwaltet, ein anderer von einer anderen. Eine demente Person benötigt jedoch eine feste Bezugsperson.

Und diese Aspekte sind auch nicht in dem angekündigten „plan d’action   maladies démentielles“ geregelt?

Das weiß ich nicht. Wir wurden leider nicht einbezogen.

Gibt es Institutionen, die Personen aufgrund ihrer Demenz ablehnen?

Da bin ich postiv überrascht, es ist im Grunde kein Ausschlusskriterium mehr. Die Pflegeheime müssen Betroffene aufnehmen, aber auch die „Centres Intégrés pour Personnes Âgées“ (Cipa) gehen immer mehr dazu über, diese Menschen aufzunehmen. In letzter Zeit haben wir in dieser Richtung keine Beschwerden mehr bekommen.

Dagegen wurde kürzlich eine Person im Rehabilitationszentrum auf Kirchberg aufgrund ihrer Demenz nicht angenommen – wurden sie mit solchen Fällen konfrontiert?

Diesen Fall hatten wir schon. Es wird dann argumentiert, es gäbe keinen Platz mehr.

An welcher Schnittstelle könnte die Kommunikation zwischen der Institution, dem Arzt und der Familie verbessert werden?

Hilfreich in den Institutionen ist ein Kommunikationsheft für jeden Patienten, in dem die Familie vermerken kann, dass etwa die Mutter an einem bestimmten Tag nicht genug gegessen hat, dass sie sehr aufgeregt war oder dass ein Hemd fehlt. Das erleichtert den Informationsaustausch und ermöglicht eine bessere Versorgung einer Person.

Was muss bei den ambulanten Diensten in der Altersversorgung verbessert werden ?

Der Trend geht Richtung ambulante Versorgung. Aber das Problem ist, dass die bestehenden Betreuungsdienste schon jetzt überfordert sind. Zudem wird die demente Person über einen Dienstleistungsplan versorgt. Das heißt, der diensthabende Pfleger kommt morgens zum Waschen ins Haus, in den Stunden bis zum Verabreichen des Mittagessens ist dann niemand da. Eine ambulante Versorgung ist ok, aber keine optimale Lösung, da viele eine wirklich durchgängige Betreuung brauchen, und die kann ein ambulanter Dienst beim besten Willen nicht leisten. Zudem gibt es keine Versorgung während der Nacht. Zwar gibt es die Tagesfoyers der unterschiedlichen Leistungsanbieter, die sehr gut sind. Aber Nachtfoyers fehlen – sie wären nicht nur ein interessantes Projekt sondern auch sehr hilfreich und nützlich.

Wo sehen Sie den größten Handlungsbedarf – auch angesichts der Tatsache, dass die Zahl der von Demenz betroffenen Personen in Zukunft noch wachsen wird?

Wichtig wäre auf jeden Fall, dass das Pflegepersonal eine Ausbildung für den Umgang mit dementen Menschen erhält. Aber auch bei der Diagnosestellung ist vieles zu verbessern: Es fehlt oft an einer Nachbetreuung, in die die Familie miteinbezogen wird. Und wenn eine betroffene Person plötzlich ins Krankenhaus muss und dann wieder entlassen wird, dann fehlt ein Sozialarbeiter, der sich um den Übergang kümmert, und überlegt, wo die Person künftig unterkommt. Einige werden einfach nach Hause geschickt, auch wenn dort vielleicht niemand ist. Viele Kritiken von Angehörigen beziehen sich darauf, dass Betroffene Hals über Kopf aus dem Krankenhaus nach Hause entlassen werden und niemand informiert wird und nichts vorbereitet ist. Ein weiterer sehr wichtiger Aspekt ist die Aufklärung über die Krankheit. Sinnvoll wäre eine Broschüre des Gesundheits-ministeriums, die erläutert, was getan werden muss, wenn der Verdacht auf Alzheimer besteht.

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Siehe auch Dossier | Demenz

 


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