Reuter Nathalie: Gegen den Strom

Makaber und beschämend beschrieben KritikerInnen ihre Bilder. Zu Unrecht! Widerlegen diejenigen, die sich die Mühe machen und die Zeit nehmen, ihre Werke genauer zu betrachten …

Foto: Christian Mosar

Künstlerisch thematisiert Nathalie Reuter Körperlichkeit und Erotik. Auf Farbe, Pinsel und Leinwand verzichtete sie diesmal. Spontan, direkt sollten ihre aktuellen Werke sein. Bildnerische Eindrücke wollte sie zeichnerisch schnell erfassen und festhalten. Folglich entschied sie sich für die Skizze. Ein roter und schwarzer Benzinstift mussten als Medien ausreichen, das Wesentliche sichtbar zu machen. Ihre jüngsten Arbeiten geben kleine Szenarios wieder und lesen sich für die BetrachterInnen wie Story-Boards:

In Kritzeleien Geschichten erzählen

Wie kaputtes Spielzeug liegen verstümmelte Mädchenleiber zerstreut auf dem Fußboden. Apathisch, dümmlich starren sie in die Luft. Daneben hängt leblos ein Frauenkörper in Fesseln auf einem Bett, gesichtslose Männergestalten schleifen Kinderluftballone hinter sich her, tragen Fetischkleidung …

In ihren Werken greift Nathalie Reuter Bildmotive aus Pornoheften und Comics auf. Ihr Interesse gilt der Darstellung von Körperlichkeit in den Medien. Wie zeigen Pornozeitschriften oder -filme Sexualität? Wie führen sie das Ausleben sexueller Fantasmen vor und definieren dabei die Rollen der Männer und Frauen? Wie weit beeinflussen Medien das gesellschaftliche Sexual- und Sozialverhalten und bestimmen den Alltag, fördern physische Unterdrückungsmechanismen und psychische Abhängigkeitsverhältnisse innerhalb sozialer Gruppen wie beispielsweise der Familie?

Dabei möchte die Künstlerin nicht schockieren oder ausschließlich provozieren, sondern in ihren Bildern zeigen, wie Medien das soziale Zusammenleben prägen. Was dort geschieht, spiegelt sich ihrer Ansicht nach in unserem sozialen Verhalten wider. So wünscht sie sich, dass die dargestellten Beobachtungen die BetrachterInnen nicht abstoßen, sondern innere Reflexionen nach sich ziehen und ihnen eigene Visionen ermöglichen.

Werke ohne Schöngeisterei und -färberei, also. Da tun sich manche KunstkritikerInnen schwer mit Nathalie Reuters Bildmotiven, werten ihre Arbeiten voreilig ab und sprechen von „l’Esthétique de la honte“. „Obschon die Thematik Schande eigentlich künstlerisch herausfordert“, meint Nathalie Reuter zu dem vernichtenden Kommentar. „Was bedeutet Schande in unserer Gesellschaft? Interessant! Rainer Werner Fassbinder, der übrigens ein Vorbild für mich ist, stellte beispielsweise dieses Phänomen in Kleinbürgerkreisen in seinen Filmen besonders gut dar“. Und ein Zitat von Antonin Artaud spendet ihr bei abfälligen Bemerkungen über ihre Kunst Trost: „La sociéte me dit fou, parce qu’elle me mange et elle en mange d’autres.“ Dennoch enttäuscht sie der Umgang der Kritik mit den KünstlerInnen. Die Medien leisten zu wenig konstruktive Rezension und urteilen zu subjektiv. KritikerInnen fixieren sich zu sehr auf Inhalte, lassen oft die Weiterentwicklung des künstlerischen Schaffungsprozesses oder die Übereinstimmung von Technik und Materialien außer Acht. In diesem Sinne erhofft sich Nathalie Reuter mehr Objektivität. KünstlerInnen müssen ihr Werk in Frage stellen können, so wie KunstrichterInnen ihre Urteile.

Vergangenen Monat ehrte die Jury des Cercle Artistique de Luxembourg „Salon 2001“ Nathalie Reuter und David Russon mit dem „Prix Jeune Peinture“. Welche Bedeutung hat diese Auszeichnung für die Künstlerin?

Über den Preis hat sie sich gefreut. Er belegt, dass die Arbeiten junger KünstlerInnen von Wichtigkeit sind und Würdigung finden.

Sexuelle Fantasmen im Medienzeitalter

Doch von der Kunst allein kann auch Nathalie Reuter nicht leben. Als Teilzeitbeschäftigte jobbt sie in der Galerie Tendance Mikado. Eine Tätigkeit, die ihr Spaß macht. In Straßburg und Trier studierte sie das Metier. Malerei bedeutet für sie eine Auseinandersetzung mit sich selbst und ihrer Umwelt. Und sie bezeichnet es als ihre künstlerische Pflicht „sich den Luxus herauszunehmen, gegen den Strom zu schwimmen, nicht nur die angenehmen Dinge zu zeigen, sondern Selbstverständliches auch in Frage zu stellen.“ Die skizzierten Bildfolgen möchte sie weiterführen. Und zieht zudem andere Medien als die Malerei in Betracht: Zum Beispiel Fotografien und Schrifttexte. Gleichwohl beabsichtigt sie ihren Fragen treu zu bleiben. Wie wird Erotik heute gelebt, imaginiert, dargestellt? Wie gehen Boulevardpresse, Comicstrips, das Fernsehen, Pornoblätter … mit sexuellen Fantasmen um? Welche Symbole, Sprache verwenden sie dabei? Welche sozialen Zwänge und Hierarchien entwickeln sich dadurch? Auf die Frage, wie sie ihre Möglichkeiten einschätzt, diese Ziele zu verwirklichen, lautet die Antwort: „Wo man letztlich hinsteuert, weiß man im Voraus nie. Wie im Leben gilt auch in der Kunst die Regel ‚trial and error'“.

Noch bis zum 28.10. stellt Nathalie Reuter bei der Biennale des Beaux-Arts im Centre culturel „A Spiren“ in Strassen aus. Im Dezember nimmt die Künstlerin an der Kollektivausstellung der asbl Stop Aids Now teil (im Cercle der Stadt Luxemburg)“Selbstverständliches in Frage stellen“ ist für Nathalie Reuter eine der wichtigsten Prämissen bei ihrer Arbeit als Künstlerin.


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