DOKUMENTARFOTOGRAFIE: The bitter years of Jennifer X

Die Fotoausstellung Jennifer’s Family im Pomhouse des CNA ist eine kleine, aber feine zeitgenössische Ergänzung zur Hauptausstellung im Wasserturm und ein einfühlsames Statement Louisa Marie Summers.

Der sozialen Krise in den Staaten ein kunstvolles Gesicht geben – Louisa Marie Summers Werk knüpft an Steichens „The Bitter Years“ an.

Edward Steichens Ausstellung „The Bitter Years“ im Wasserturm des CNA enthält einige der eindrucksvollsten Porträts der frühen Dokumentarfotografie. Die Folgen der Weltwirtschaftskrise scheinen regelrecht eingekerbt in die Gesichter der arbeitenden Menschen. Die Porträts eines Walker Evans oder einer Dorothea Lange dokumentieren damit soziale Armut ? die subjektive Betrachtung markiert(e) zu Recht einen Meilenstein und gilt zugleich bis heute als beispielhaftes Sozialportrait der Vereinigten Staaten zur Zeit der großen Depression.

Um soziale Armut und ihre Folgen geht es auch in der recht übersichtlichen Fotoausstellung von Louisa Marie Summer im Pomhouse des CNA, und hier ist die Intimität der Sichtweise noch ausgeprägter. In ihrer Serie „Jennifer’s Family“, bestehend aus etwa zwanzig Fotografien, transportiert die Münchnerin ihre Erfahrung mit Jennifer, einer jungen, in zweiter Generation von Puerto-Rico-Einwanderern abstammenden US-Bürgerin. Jennifer lebt mit ihrem amerikanischen Partner und ihren vier Kindern in South Providence, Rhode Island, in einem armen Viertel mit hohem Ausländeranteil. Hier wohnen überwiegend Menschen afro-amerikanischer und lateinamerikanischer Herkunft. Arbeitslosigkeit und hohe Kriminalität prägen das Viertel. Viele der dort wohnenden Familien leben unterhalb der Armutsgrenze.

Über zwei Jahre begleitete die Münchner Fotografin Jennifer und ihre Familie und hielt die verschiedenartigsten Alltagssituationen fest. So entstanden intime Einblicke, die jedoch von einer respektvollen Beziehung zwischen der Fotografin und ihrem Sujet getragen sind. Es sind realitätsnahe, aus dem Leben gegriffene Szenen – Jennifer, auf dem Sofa sitzend, vor dem Duschen, beim Haarewaschen, oder Jennifers Kinder bei einer Geburtstagsparty. Szenen, die für sich sprechen und keiner bourdieuschen Interpretation bedürfen.

Summers Bildserie kündet ebenso wie die begleitenden Interview-Protokolle von Mairéad Byrne von zahlreichen intensiven Gesprächen und einer einfühlsamen Auseinandersetzung der Autorin mit den Menschen.

Der Blick der Fotografin ist intim, doch stets voller Achtung. Sie zeigt die abgelichteten Personen zwar in würdelosen Verhältnissen, doch immer in ihrer menschlichen Würde. Und sie zeigt, dass es Jennifer trotz ihrer prekären Lebensumstände gelingt, Optimismus zu bewahren: „I want my kids to be better than I was, you know as a kid. I want them to finish school and to do a lot of things really good,“ wünscht sie sich im letzten Protokoll „When I met Louisa“. Jennifers Family ist somit ein Spiegelbild sozialer Armut in Zeiten von Hurricane Katrina und einer Wirtschaftskrise, unter der die Armen am stärksten leiden. Mehr noch als das ist Jennifer’s Family jedoch das Resultat einer empathischen Annäherung, die von der Möglichkeit einer Freundschaft zeugt, in der die Klassenverhältnisse für kurze Zeit aufgehoben sind.

Wie heißt es in dem Roman „Der große Gatsby“, in dem der amerikanische Traum fortlaufend dekonstruiert wird? „One thing’s sure and nothing’s surer, the rich get richer and the poor get – children. In the meantime, in between time -“

Sicher kann Jennifer’s Family nicht den Anspruch erheben, ein umfassendes Sozialbild zu sein, wie Steichens „The Bitter Years“ es war. Summers Serie ist eher ein persönliches und einfühlsames Bekenntnis. Aber als solches steht sie komplementär zu der Ausstellung im Wasserturm und wirkt so als deren konsequente Ergänzung.

Noch bis zum 25. August im Pomhouse des CNA.


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