RESISTENZMUSEUM: Luxemburgs weißer Fleck

Die Ausstellung „Between Shade and Darkness“, die das „Schicksal“ der Luxemburger Juden von 1940 bis 1945 beleuchtet, kommt zum richtigen Zeitpunkt. Kann sie konstruktiv zur Diskussion über die Zeit der deutschen Besatzung in Luxemburg beitragen?

PHOTO: Photothéque Luxembourg

Mit der Polemik um die Listen, die der Historiker Denis Scuto über RTL in die Öffentlichkeit gebracht und über das Tageblatt beworben hat, ist die Frage von Kollaboration und Resistenz während der deutschen Besatzung in Luxemburg zum Thema einer gesellschaftlichen (Stammtisch-)Debatte geworden. Selbst der Premier hatte in seiner Antwort auf die parlamentarische Frage Ben Fayots eingeräumt, dass hinsichtlich der Zeit der deutschen Besatzung „un certain flou“ bestehe. Der Zeitraum sei noch nicht hinreichend erforscht, so Juncker, der prompt die Berufung einer Historikerkommission ankündigte, die dieses „dunkle Kapitel der luxemburgischen Geschichte“ erforschen soll.

Während Luxemburger Mainstream-Medien, wie RTL und Tageblatt, Denis Scuto eine Plattform boten, um die herum sich die Diskussion eher plakativ fortentwickelte, publizierte die woxx mit den „bonnes pages“ Auszüge aus der Doktorarbeit des Historikers Vincent Artuso ? gewissermaßen als Antwort und Versuch einer Versachlichung der Debatte. Und obwohl dessen Dissertation ein wichtiger Baustein ist, fehlt es noch immer an Aufklärungsarbeit, an Fakten, die das hierzulande geltende historische Narrativ von den braven Luxemburgern, die von den Nazis überfallen wurden, aufbrechen. Es bedarf unterschiedlicher Stimmen und kontroverser Perspektiven. In diese schwelende Diskussion, in der mittlerweile jeder meint, mitmischen zu können, kommt die Ausstellung „Between Shade and Darkness. Das Schicksal der Juden Luxemburgs von 1940 bis 1945“ im Resistenzmuseum in Esch gerade recht. Wie schon im vorigen Jahr mit der Ausstellung über die Situation der Roma hat Direktor Frank Schroeder auch dieses Mal bei seiner Themenwahl ins Schwarze getroffen. Und wenn auch keine Quantensprünge von der Ausstellung zu erwarten sind – wer einmal mit einer Schulklasse durchs Resistenzmuseum geprügelt wurde, den dürfte es dort so schnell nicht wieder hinziehen – so ist sie doch möglicherweise ein Schritt hin zu einer kritischen Auseinandersetzung mit einem unliebsamen, tabuisierten Zeitraum der jüngeren Luxemburger Geschichte. Etwa 80 historische Dokumente, Fotos und Briefe aus den Archiven bieten die Grundlage, auf der der Besucher sich ein eigenes Bild machen kann.

Stammtischdebatte

Dem Direktor des Resistenzmuseums geht es erklärtermaßen um Aufklärung und darum, ein möglichst breites Publikum zu erreichen und SchülerInnen Geschichte überhaupt nahezubringen: „Die Ausstellung wird den Spezialisten sicherlich enttäuschen. Es wird keine großen Enthüllungen geben. Das Museum hat die Aufgabe, die Arbeit von Wissenschaftlern aufzuarbeiten und sie für eine breite Masse zugänglich zu machen“, so Schroeder. Deshalb habe man auf Dokumente des Nationalarchivs und auf das Archiv des Konsistoriums zurückgegriffen. Dann habe man versucht, eine Auswahl von Dokumenten zu treffen, die verschiedene Situationen beschreiben. „Es gibt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.“ Schließlich sind die Möglichkeiten begrenzt, ist das Resistenzmuseum in den letzten Jahren immer wieder Opfer der staatlichen Sparpolitik gewesen. Die Renovierung stand zwar noch bis vor Kurzem im Staatsbudget, fiel dann jedoch unter den Tisch. Mit aus diesem Grund entstand seinerzeit der Verein „Frënn vum Resistenzmusée“. „Um ein bisschen Lobbyarbeit zu machen“, wie dessen Präsident André Hoffmann präzisiert. Wenngleich Kammerpräsident Laurent Mosar und selbst der Premier mittlerweile Wohlwollen bekunden, gehört das Museum offenbar doch nicht in genügendem Maße zu den Prioritäten auf politischer Ebene. Bietet der Wahlkampf im Sommer vielleicht eine Chance, auf diesem Terrain zu punkten?

Für die Konzeption der Ausstellung hat Schroeder eng mit dem jüdischen Konsistorium zusammengearbeitet. Journalistisch aufbereitet hat sie Laurent Moyse, ehemaliger Chefredakteur von „La Voix“ und Bruder des Präsidenten des Consistoire Juif. Von ihm stammen auch die Texte im Katalog. Auch Claude Marx, der das Archiv sehr gut kennt, hat an der Ausstellung mitgewirkt. Ein logischer Ansatz, meint André Hoffmann, für den diese Einbeziehung der jüdischen Gemeinschaft bei einer solchen Ausstellung selbstverständlich ist.

Ausstellung wie auch Katalog konzentrieren sich auf zwei Phasen. Der erste Zeitraum zwischen Mai 1940 und Oktober 1941 behandelt die Vertreibung der Juden und macht klar: Ziel der deutschen Besatzer war es, ein – in der nationalsozialistischen Terminologie – „judenreines“ Luxemburg zu schaffen. Von Anfang an war der Antisemitismus Teil der deutschen Eroberungspolitik. Die zweite Phase, beginnend Mitte Oktober 1941, ist die der Deportationen in die osteuropäischen Ghettos und Konzentrationslager. Sieben Züge mit über 700 Menschen jeden Alters verließen Luxemburg zwischen 1941 und 1943 Richtung Osten.

Kein Anspruch auf Vollständigkeit

Auf 17 Tafeln werden historische Fotos und erklärende Texte gezeigt und an einer Zeitleiste exemplarisch die Lebensetappen zweier Menschen beleuchtet. Anhand der Lebenswege von Alfred Oppenheimer und des Rabbiners Robert Serebrenik, die gegen ihren Willen zu zentralen Akteuren der Epoche wurden, ist es möglich, das „Schicksal“ der Verfolgten nachzuzeichnen. Serebrenik unternahm alles in seiner Macht Stehende, um Juden in ihrer Emigration zu unterstützen. Nach der (Zwangs-)Auflösung des israelitischen Konsistoriums beauftragten die Besatzer den Geschäftsmann Alfred Oppenheimer, den „Ältestenrat der Juden“ zu leiten ? ein Verbindungsorgan, das der jüdischen Gemeinschaft die Anordnungen der Machtorgane zu übermitteln hatte. Oppenheimer erfüllte diese Aufgabe bis zu seiner eigenen Deportation im Jahr 1943.

In den Katalogtexten schlägt Laurent Moyse einen Bogen von der Situation der jüdischen Bevölkerung in Luxemburg über die individuellen Schicksale der beiden hin zu allgemeineren Fakten. Immer wieder streut er nüchtern Zahlen ein, um die Relationen klarzumachen. Eine Volkszählung von 1930 verzeichnete 2.242 Personen „jüdischer Herkunft“? etwa 0,7% der Gesamtbevölkerung. Die Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland bewirkte die Immigration zahlreicher deutscher Juden nach Luxemburg. Im Jahr 1935 wird dort die letzte Volkszählung vor dem Krieg durchgeführt: 3.144 Juden leben zu dem Zeitpunkt in Luxemburg, von denen drei Viertel keine Luxemburgische Staatsangehörigkeit besitzen. Zahlreiche sehen ihren Aufenthalt im Großherzogtum nur als Übergangs-etappe ihrer Reise.

Historische Fotos von antijüdischer NS-Propaganda und mit Parolen beschmierte Fassaden und Schaufenster von Geschäften zeugen davon, dass sich ab den 30er Jahren auch in Luxemburg die antisemitischen Tendenzen verstärken. Aus dem Katalog erfährt man, dass die rechts-katholische Presse gegen die eingereisten und geflohenen Juden hetzte und die Haltung der Luxemburger Regierung defensiv war: 1935 wird mehr als der Hälfte der 651 Juden, die einen Asylantrag gestellt haben, die Einreise nach Luxemburg verweigert; nach 1938 werden unerwünschte Flüchtlinge ausgewiesen. Ab 1935 ist die Hetze gegen Juden im Stadtbild deutlich sichtbar. Jüdische Geschäfte werden beschmiert und es wird öffentlich zu ihrem Boykott aufgerufen. Nach der Besetzung des Landes am 10. Mai 1940 versuchen die Bedrohten massenhaft, sich ins Ausland zu retten, doch von den rund 4.000 Juden die zu dem Zeitpunkt in Luxemburg leben, hat nur etwa ein Viertel hierbei Erfolg. Einigen wenigen gelingt noch in den folgenden Monaten die rettende Ausreise ? mit Unterstützung vereinzelter überzeugter Nazi-Gegner, wie etwa des Leiters des Passierschein-Büros, Franz von Hoiningen-Huenes, und George Platt Wallers, der sich für die Ausstellung amerikanischer Visa für jüdische Familien stark macht. Ab dem Sommer 1940 gelten Regelungen, die die jüdische Bevölkerung vom öffentlichen Leben ausschließen.

Bei den Exponaten der Ausstellung handelt es sich überwiegend um historische Dokumente, so zum Beispiel das Antwortschreiben eines Distriktskommissars der Bezirksverwaltung Diekirch an die Zivilverwaltung, betreffend „die Beseitigung jüdischen Einflusses auf das öffentliche Leben“ (Diekirch, 1940) aus dem Nationalarchiv. „Hiermit beehre ich mich, Ihnen mitzuteilen, dass in meinem Amte keine Person tätig ist, die von den kommenden Bestimmungen betroffen ist“ heißt es darin. Ob amtliche Schreiben wie dieses als Akte der Kollaboration oder im Gegenteil der Protektion von Juden zu deuten sind, ist unklar und bleibt der Interpretation überlassen. Frank Schroeder verspricht sich davon, dass sie die Besucher zu eigenen Gedanken anregen. Anders, so sein Argument, hätte man das Ganze angesichts der knappen finanziellen Mittel gar nicht angehen können. Immerhin wird so für jedermann sichtbar, wie sehr die wissenschaftliche Aufklärung der Besatzungszeit in Luxemburg noch am Anfang steht.

Effektheischende Bildsprache

Insgesamt wirken die Dokumente etwas ungeordnet aneinandergereiht, und natürlich würde man sich die Ausstellung umfangreicher und noch stärker ins Detail gehend wünschen. Auch über eine Museumspädagogik sollte nachgedacht werden. Mit der schlichten „Zur-Schau-Stellung“ von Exponaten, wie etwa der Jacke eines KZ-Häftlings aus dem Bestand der Dauerausstellung, läuft man Gefahr, auf der Ebene eines in erster Linie ästhetischen Schauders zu bleiben. Die Bildsprache des Flyers, der einen bis auf die Knochen ausgemergelten Mann neben einem wohlhabenden Mann mit Mantel und Koffer zeigt, wirkt recht effektheischend und vom Zugang her etwas antiquiert. Und warum wurde für die Ausstellung ein englischer Titel („Between Shade and Darkness“) gewählt, wo doch die Dokumente und Texte ausnahmslos deutsch-französisch sind? Man habe es, mangels einer adäquaten Übersetzung, beim englischen Titel belassen, erläutert Schroeder. „Shade“ drücke schlicht eine Grauzone aus. Dahinter habe die Idee gestanden, sich bildlich auszudrücken. Doch mit Blick auf die von deutscher Seite von Beginn an geplante systematische Entrechtung und Ermordung aller Juden mutet auch der Begriff „Schicksal“ im Untertitel der Ausstellung etwas metaphysisch an, suggeriert er doch, dass es dem Zufall geschuldet war, wer überlebte und wer denunziert und schließlich deportiert wurde. Eine Tendenz, die der englische Haupttitel nur noch verstärkt.

Viel Raum also für weitere Überlegungen, was das Anliegen der Ausstellung nicht schmälert. Denn natürlich bietet sie in der Sache – dem Grad der Luxemburger Kollaboration beim deutschen Vernichtungsfeldzug gegen die Juden ? viel Anlass zur Auseinandersetzung. „Ich wollte keine Polemik mit der Ausstellung machen“, betont Direktor Frank Schroeder, denn davon habe es in den letzten Monaten schon genug gegeben. Er erhoffe sich hingegen Diskussionen, bei denen auch die Historiker ihre „internen Rangeleien bleiben lassen“. Ziel sei es, im Verlauf der Ausstellung auch eine öffentliche Konferenz zu organisieren; Paul Dostert und Denis Scuto habe er schon angefragt.

Weiße Flecken der Luxemburger Geschichte

André Hoffmann von den Frënn vum Resistenzmusée ist jedenfalls zuversichtlich, dass die Ausstellung positiv zur Debatte beiträgt. Lange Zeit sei die Verfolgung der Juden als zweitrangig gegenüber anderen Aspekten des 20. Jahrhunderts behandelt worden. Insofern sei die Ausstellung enorm wichtig ? gerade „in Bezug auf die weißen Flecken, die es noch in der Luxemburger Geschichte gibt“. Dass es in Luxemburg nur Resistenzler gab und das Luxemburger Volk aufrecht gegen den Faschismus stand, sei ein falsches Bild. Einen geschlossenen Widerstand habe es nicht gegeben. „Wir müssen unbedingt ein differenziertes Bild zeichnen, und ich denke, dass diese Ausstellung zum einen dazu beiträgt, die Frage der Judenverfolgung wirklich ins öffentliche Bewusstsein zu rücken, und zum anderen bei der differenzierten Aufarbeitung der Geschichte unseres Landes, unserer Geschichte helfen kann.“ Die Möglichkeit seines Vereins, zur Erinnerung und Bewusstseinsbildung beizutragen, haben die Frënn vum Resistenzmusée genutzt, um begleitend zur Ausstellung im Herbst Stolpersteine in Esch verlegen zu lassen. – In Gedenken an jüdische MitbürgerInnen, die während der Besatzung deportiert wurden.


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