GESUND ALTERN: Hydra: Ein unverwüstlicher Winzling

Europas Bevölkerung besteht zu immer größeren Teilen aus älteren Menschen. Fragt sich also, wie Senioren länger fit bleiben könnten. Die Wissenschaft sucht Antworten.

An Hydra wurde das Langlebigkeitsgen untersucht. Das Tier ist ca. 1 cm groß.

Herkules sollte die Hydra erledigen, ein zischendes neunköpfiges Ungeheuer, dem für jeden abgeschlagenen Kopf zwei neue nachwuchsen. Daher musste Jolaos dem Helden zur Hilfe eilen. Mit einer Fackel brannte er die neu wachsenden Köpfe „bei ihrem ersten Emporkeimen“ aus. Herkules trennte daraufhin das unsterbliche Haupt vom Schlangenleib. Er begrub es am Wege und wälzte einen schwer Stein darüber.

Bei der Hydra, die heute in Laboren untersucht wird, handelt es sich nicht um ein Monster, sondern um einen winzigen Süßwasserpolypen von etwa einem Zentimeter Länge. Zu seinem Namen ist er gekommen, weil sein Kopf ebenfalls nachwächst, nicht ganz so schnell wie bei der Schlange aus der Sage, aber immerhin in gut drei Tagen.

Der Grund für die Unverwüstlichkeit: Die Tierchen verstehen es, ihre Stammzellen ständig zu erneuern. Dadurch verzögert sich der Prozess der Alterung, und zwar so sehr, dass die Hydren „potentiell unsterblich“ sind. Das muss auch so sein, sonst wären die Polypen schon längst ausgestorben. Sie vermehren sich durch Knospung, also ungeschlechtlich. Voraussetzung dafür ist die ständige Teilungsfähigkeit der Stammzellen.

An der Christian-Albrechts-Universität in Kiel haben Forscher eine Entdeckung gemacht: Dem FoxO-Gen ist es zu verdanken, dass sich die Stammzellen der Hydra permanent erneuern. Um die Rolle dieses Gens zu ergründen, züchtete man eigene Polypen. Anna-Marei Böhm vom Zoologischen Institut: „Wir haben eine genetisch veränderte Sequenz in das Tier gegeben, welche das Gen inaktiviert.“ Ohne FoxO sank die Fähigkeit der Mutanten, ihre Stammzellen zu erhalten. Folgerichtig alterten sie.

Mit den Hydren besitzt die Wissenschaft nun ein lebendiges Experimentier-Modell für die weitere Erforschung des Langlebigkeits-Gens. Was umso interessanter ist, als FoxO auch beim Menschen vorkommt. Durch Versuche an Zellkulturen ist bekannt, dass dieses Gen eine Rolle bei der Erhaltung von Stammzellen spielt. Normalerweise hören diese im Alter auf sich zu erneuern. Sie können dann alte, beschädigte Zellen nicht mehr ersetzen. Der Abbau von Muskeln beginnt, auch beim Herzen. Nerven- und Immunsystem sind ebenfalls betroffen.

Kann FoxO diesen unvermeidlichen Prozess aufhalten? Es gebe einen Zusammenhang zwischen einer bestimmten Variante des FoxO-Gens und sehr hohem Alter, sagt Böhm. Hundertjährige tragen vermehrt diese Variante. Das Gen scheint also das Altern und die Langlebigkeit zu beeinflussen.

Die Forscher wollen den Menschen aber nicht unsterblich machen. Böhm: „Das wird uns nicht gelingen und niemals unser Ziel sein. Das Altern ist von vielen Faktoren abhängig: Genetik, Umwelt, Lebenswandel. Die Genetik beeinflusst es zum Beispiel nur zu 20 Prozent.“

Die eigentliche Frage hinter den Hydra-Versuchen lautet: Welche Mechanismen und Gene liegen dem Altern des Menschen zugrunde? Mit Hilfe dieser Informationen könnten Menschen länger gesund leben als heute, was einen handfesten ökonomischen Nutzen hätte.

Denn die Lebenserwartung in Europa steigt und steigt, seit 1980 hat sie sich um fünf Jahre erhöht, wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in ihrem „European Health Report 2012“ mitteilt. Frauen seien 2010 im Schnitt 80 Jahre, und Männer 72,5 Jahre alt geworden.

Der Anteil älterer Menschen an der Bevölkerung wird sich damit erhöhen. 2060 werde fast jeder dritte Mensch in Europa 65 Jahre oder älter sein, erklärt das Berlin Institut für Bevölkerung und Entwicklung, was einer Verdoppelung gegenüber 1990 entspricht. Noch krasser ist die Entwicklung bei Europäern über 79: Ihr Anteil soll sich in diesem Zeitraum sogar vervierfachen.

Weil im Alter verstärkt Krankheiten auftreten, drohen die Gesundheitskosten zu explodieren. 2009 lag ihr Anteil am Bruttoinlandsprodukt in Schweden, Österreich, Deutschland, Frankreich oder den Niederlanden schon im Bereich zwischen zehn und zwölf Prozent ? Tendenz steigend.

Die Altersforschung versucht daher, den Teil der Lebenszeit, der in Gesundheit verbracht wird, zu verlängern. Ein schwieriges Vorhaben, denn hohes Alter bringt häufig Krankheiten mit sich: Arteriosklerose, Diabetes, Gelenkdegenerationen, Alzheimer, Krebs, Atemwegsprobleme, Leberschäden und psychische Leiden.

Multimorbidität

Altersforscher sprechen von Multimorbidität – dem gleichzeitigen Auftreten mehrerer Erkrankungen. Diese bestehen nicht unabhängig voneinander, erklärt das Robert-Koch-Institut. Vielmehr griffen Krankheitsfolgen, mit ihnen verbundene Funktionseinschränkungen und erforderliche Arzneimitteltherapien in komplexer Weise ineinander. Daraus resultiere ein hohes Risiko, auftretende Fehlfunktionen von Organsystemen „nicht mehr kompensieren zu können“. Die Folge: weniger Selbstbestimmung und Lebensqualität der Betroffenen. Und häufig „ein umfassender Behandlungsbedarf“.

Zu den typischen Beschwerden der späten Jahre gehören auch instabile Knochen. Das Zentrum für Medizin im Alter in Hannover rechnete aus, dass etwa 30 Prozent der über 65-jährigen und 50 Prozent der über 80-jährigen mindestens einmal im Jahr stürzen, wobei die Verletzungswahrscheinlichkeit mit dem Alter steigt. Einer von zehn über 65-Jährigen lande wegen eines Sturzes im Krankenhaus, ein Prozent habe eine Schenkelhalsfraktur, bei fünf Prozent handle es sich um Frakturen von Hüfte oder Becken. Die Kosten gingen in die Milliarden.

Die Geriatrie-Professorin Heike Bischoff-Ferrari vom Zentrum für Alter und Mobilität in Zürich leitet eine internationale Studie, die sich mit dem Problem der Altersstürze befasst. 2.000 Probanden, alle jenseits der 70, nehmen an einem Versuch teil. Sie müssen jeden Tag Vitamin D und Omega-3-Fettsäuren schlucken und ein kleines Sportprogramm absolvieren.

Vitamin-D ist genau genommen kein Vitamin, da es kaum über die Nahrung aufgenommen, sondern vor allem in der Haut produziert wird, und zwar mittels UVB-Strahlung. Damit dieser Prozess stattfinden kann, muss sich der Mensch also regelmäßig der Sonne ausetzen. Vitamin D ist vor allem für den Calciumgehalt in den Knochen wichtig. Haben diese zu wenig Calcium, kommt es zur Osteomalazie, einer schmerzhaften Knochenerweichung, die oft Stürze nach sich zieht.

Diese könnten mit einer ausreichenden Vitamin-D-Konzentration im Blut verhindert werden. 50 Nanogramm pro Milliliter sollten es mindestens sein, 75 werden als ideal angesehen. Senioren bilden aber aufgrund ihres Alters weniger Vitamin D. Zudem halten sie sich seltener im Freien auf, weswegen der Vitamin-D-Wert sogar im Sommer häufig zu niedrig ist.

Vitamin-D-Pillen sollen das Sturzrisiko senken. Durch Einnahme von 700 bis 1000 Internationalen Einheiten pro Tag könnten etwa 20 Prozent aller Stürze und resultierenden Knochenbrüche, auch die an der Hüfte, vermieden werden, versichert Bischoff-Ferrari. Es wäre eine kleine Sensation, wenn sich die Lebensqualität im Alter mit einfachen und günstigen Mitteln verbessern ließe. Ergebnisse sind aber erst 2018 zu erwarten.


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