HARDCORE: Zündelnde Cheerleader

Boysetsfire sind mit dem ersten Album nach ihrer dreijährigen Trennung nun wirklich zurück. Zurück im Hardcore-Geschäft und auf der Bühne, die sie wie in alten Zeiten in Brand setzen.

Leicht entzündlich: Boysetsfire.

Mit einer Mischung aus Hardcore-Krachern und poppigen Rocksongs, die Bon Jovi vor Neid erblassen lassen würden, zeigt die Band aus Newark in Delaware, dass sie die alten Tricks noch immer draufhat. Die ursprünglich 1994 gegründete Post-Hardcore-Band, die sich 2007 auflöste und 2010 neu entstand, ist in den letzten drei Jahren viel getourt. Allerdings drohte sie laut Gitarrist Josh Latshaw, zur „The Boysetsfire Experience“ zu werden, die nichts als ihre eigenen Hits aus den 1990ern spielt, wie er in einem Interview kürzlich sagte. „Aber irgendwann ist [?] der Punkt erreicht, an dem du als Band wie ein Arschloch wirkst, wenn du keine neuen Songs hast,“ so Latshaw.

Gesagt, getan, und so erschien im vergangenen Juni das neue Album „While a Nation Sleeps“. Wie auf vielen Boysetsfire-Alben findet man hier eine „schizophrene“ Ansammlung verschiedenster Stile, wie die Band das selber nennt. Da gibt es Titel, die vollständig zum Hardcore und seiner Devise „schnell, laut, basslastig“ gehören. Und andere, die melodiösen, massentauglichen Rock repräsentieren. Hier kann schon mal der Gesang mit kitschigem Echo unterlegt oder mit Chören wie aus Pop-Punk-Hymnen ausgeschmückt werden. Die drei Bonustracks sind sogar durchgehend folkige Akustiksongs.

Fans von Boysetsfire werden also auf ihre Kosten kommen, denn genau dieses Potpourri aus Stilrichtungen ist das Markenzeichen der Band. Es klingt weniger wie eine neue Kreation als etwas, das sich schon immer im Repertoire der Band befunden und durchgesetzt hat. Bahnbrechend neu sind die Arrangements zwar nicht, aber die Qualität stimmt. Das sieht man zum Beispiel daran, dass „While a Nation Sleeps“ in den deutschen Albumcharts bis auf Platz 22 aufgestiegen ist.

Nun sind Boysetsfire allerdings auch für ihre politische Position bekannt. Interessant daran ist, dass dies zwar ständig von Kritikern erwähnt wird, niemand aber eine Ahnung davon zu haben scheint, wie diese politische Position tatsächlich aussieht. „While a Nation Sleeps“ gibt jedenfalls keine Antwort auf diese Frage. Denn die Songtexte rufen zwar zum Aufwachen und gegen Passivität auf, werden aber nie konkret.

Das Video zur Single „Bled Dry“, die im April erschien, führt die menschlichen und politischen Abgründe des 20. Jahrhunderts vor. Vom Zweiten Weltkrieg über hungernde Kinder in Afrika und das Abschlachten von Walen hin zu blutigen Straßenkämpfen. Hier werden die üblichen Bilder des Grauens aneinandergereiht, ohne direkt mit dem Finger auf jemanden zu zeigen oder gar Hoffnung auf eine bessere Welt zu verbreiten. Die offenbar beabsichtigte Aussage, dass die Welt sich ändern muss, ist zwar löblich, bleibt aber schwammig.

Sänger Nathan Gray sagte in einem Interview, die Texte des neuen Albums seien Ausdruck von Liebe, Frustration, Hoffnung und inspirierten dazu, alles in Frage zu stellen. Die Band wolle ihren Fans nicht vorschreiben, wie sie die Songs zu interpretieren hätten. „Wir sind lediglich Cheerleader für das Streben nach mehr und die Lust am Leben,“ so Gray.

Die Lust an der Musik zeigt sich jedenfalls deutlich bei den Auftritten der Band. Mit nahezu zwei Jahrzehnten Live-Erfahrung sieht man ihnen die Freude am gemeinsamen Spielen mit alten Freunden an. Und bekommt eine Ahnung davon, wie Boysetsfire zu ihrem Bandnamen kamen …

Am 5. Juli in der Rockhal.


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