FORDERUNGSKATALOGE: Schere, Stein, Papier

Im Vorfeld der Chamberwahlen positionieren sich – noch vor den Parteien – große und kleine Lobbygruppen. Das Gegeneinander und Miteinander von Wirtschafts-, sozialen und Umweltinteressen dürfte den Wahlkampf prägen.

Angreifen, statt im Schützengraben zu verharren! Die Royal Naval Division 1915 in der Offensive, ohne Erfolgsgarantie.

Ob’s wohl stimmt, dass der Horizont der meisten PolitikerInnen nur bis zum nächsten Wahltermin reicht? Wenn ja, dann ist eine logische Folge der Vorverlegung eines Wahltermins, dass dieser Horizont noch enger wird. Zurzeit versuchen Vertreter von Wirtschafts-, sozialen und Umweltinteressen auf die Ausarbeitung der Parteiprogramme Einfluss zu nehmen. Eine Initiative, die sich den Namen
2030.lu gegeben hat, darf sich hierbei aber wohl keine allzu großen Hoffnungen machen.

Das ist bedauerlich. Denn obwohl 2030.lu von der Handelskammer unterstützt wird, betreibt die Initiative keineswegs tumbes Lobbying im Interesse der Privatwirtschaft. Das vergangene Woche vorgelegte doppelbändige, 161 Seiten starke Vorschlagspapier ähnelt, vor allem im allgemeinen Teil, eher einem Arbeitsdokument des Nachhaltigkeitsrats als einem Pressekommuniqué des Unternehmerverbands. Zwar ist die beliebte Forderung nach „nachhaltigen Staatsfinanzen“ Teil des Zukunftsprojekts, doch steht sie neben Überlegungen zur Mobilitätspolitik, zum Klimaschutz und zum Bau von Sozialwohnungen. Eine ausgewogene Synthese von wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Forderungen ist das 2030-Brevier aber auch nicht: Mit Schlagworten wie soziale Selektivität, wettbewerbsfähige Steuerpolitik und realistisches Wachstum (2,5 Prozent) grenzt sich die Initiative deutlich von konsequent linken und ökologischen Forderungen ab.

Wie hältst du’s mit dem Index?

Schlägt 2030.lu eher versöhnliche Töne an, so sind die von „5 vir 12“ aufgeworfenen Fragen gewollt provokativ: „Was, wenn der heute großzügig verteilte Wohlstand morgen plötzlich verschwunden wäre? Was, wenn die Schwerfälligkeit der Verwaltung die Gründung von Unternehmen verhindern würde? Was, wenn die Arbeitslosen einen Beitrag zur wirtschaftlichen Aktivität leisten würden, statt dafür bezahlt zu werden, ausgeschlossen zu sein?“ Die Initiative, ein lockerer Zusammenschluss von UnternehmerInnen und PolitikerInnen, möchte einen Gesinnungswandel in Luxemburg herbeiführen. Ihre vernünftig klingenden rhetorischen Fragen zielen darauf ab, der konservativen Bevölkerung neoliberale Ideen wie Sozialabbau, schlanker Staat und Workfare schmackhaft zu machen. Wenig überraschend taucht die Förderung von Eigeninitiative und Unternehmertum im Schulunterricht gleich zweimal im Forderungskatalog von „5 vir 12“ auf.

Veränderungen sind notwendig – das sagen 94,8 Prozent der befragten Personen in einer der üblichen, diesmal von 2030.lu bestellten Gefälligkeitsumfragen. Der OGBL scheint einer so populären Ansicht nicht widersprechen zu wollen und richtet deshalb nur einen warnenden Aufruf an die politischen Parteien: „Wer neu anfangen will, der muss das Bewährte mitnehmen.“ Gemeint ist das „luxemburgische Lohnmodell“ und sein „Zusammenspiel von gesetzlichem Mindestlohn, Index und Kollektivvertragswesen“. Der Anfang August veröffentlichte Aufruf konzentriert sich auf diese Punkte und holt zum Schlag aus gegen jene, die die automatische Lohnanpassung nicht integral wieder einführen wollen. Jean-Claude Junckers „gedeckelter Index“ wird explizit als populistisch gebrandmarkt, da er in Wahrheit zu einer „Umverteilung von unten nach oben“ führe. Doch auch die Position der LSAP – Begrenzung auf eine Indextranche pro Jahr – wird als strukturelle Verschlechterung abgelehnt, so dass am Ende allein die Programme von Déi Lénk und die KPL den Forderungen der größten Gewerkschaft entsprechen dürften.

Während sich bei „5 vir 12“ und 2030.lu mehr oder weniger deutliche Forderungen nach Eingriffen in den Index-Mechanismus finden, spart der Mouvement écologique dieses Thema aus – obwohl seine im Vorfeld der Wahlen vorgestellten „Visionen der Zukunft“ immerhin hundert Seiten umfassen. Zwar verweisen die UmweltschützerInnen auch auf das – liberal geprägte – Positionspapier des Nachhaltigkeitsrats zu den Staatsfinanzen, doch im Allgemeinen sind sie eher auf Konfliktkurs mit der Wirtschaftslobby. Und ebenso mit der LSAP, deren Spitzenkandidat angekündigt hat, den gordischen Knoten der Wohnungsnot durch eine Ausweitung der kommunalen Bauperimeter zu zerschlagen. Der Mouvement aber sieht das ganz anders: „Die Wahrung des natürlichen Lebensraums muss vordringliches Ziel einer zukunftsorientierten Politik sein – auch in Verantwortung gegenüber kommenden Generationen – und darf nicht z.B. einer ?simplification administrative` oder einer kurzsichtigen Siedlungspolitik zum Opfer fallen!“

Mit seiner Ansicht, Energiepolitik und Klimaschutz seien die wichtigste Herausforderung unserer Zeit, steht der Mouvement erwartungsgemäß alleine da – sogar „Déi Gréng“ ziehen in den Wahlkampf mit der erklärten Absicht, „Luxemburg auf die Beine zu stellen“. Mit der Infragestellung des „Wachstumsdogmas“ ecken die UmweltschützerInnen bei der Wirtschaftslobby an, mit dem Vorschlag, das „gute Leben“ – gemeint ist Genügsamkeit – in den Vordergrund zu stellen, setzen sie sich seitens der Gewerkschaften dem Verdacht aus, Kaufkraftverluste zu legitimieren. Immerhin betont der Mouvement, „mehr soziale Gerechtigkeit und ein Miteinander von Sozialem und Ökologie“ seien die Grundlage einer nachhaltigen Gesellschaft.

Alle Bewegung ist nur Illusion!

Schaut man sich die Haltung der Akteure an – und nicht die von ihnen vertretenen Inhalte – so erstaunt die Ähnlichkeit zwischen OGBL und CSV: „Verteidigt das luxemburgische Lohnmodell“ und „Zesummen fir Lëtzebuerg“ klingt beides defensiv, weit entfernt von Parolen wie „Diese Veränderungen sind lebenswichtig, um den Wohlstand unseres Landes abzusichern“ (5 vir 12) oder „Den nachhaltigen Umbau unserer Gesellschaft angehen“ (Mouvement écologique). Auch der LSAP-Spitzenkandidat hat sich klar für eine offensive Strategie entschieden – ob die krisengeschädigte Arbeiterwählerschaft darauf anspricht, wird sich zeigen.

Interessant ist auch, dass es ein paar Themen gibt, über die bei VertreterInnen von Wirtschafts-, sozialen und Umweltinteressen Konsens herrscht. Bildung sei eine „Investition in die Zukunft“, schreibt der Mouvement und plädiert auf vier Seiten für mehr schulische Selbstverwaltung, bessere politische Bildung und eine Aufwertung des naturwissenschaftlich-technischen Unterrichts. Die Unternehmerlobbys ihrerseits betonen seit Jahren, eine bessere Ausbildung trage zur Bekämpfung der Jugendarbeitlosigkeit in Luxemburg bei. Eine Wahrheit, die auch den Gewerkschaften einleuchtet, trotz des Hemmschuhs, den die Lehrergewerkschaften darstellen.

Auch die Forderung nach dem Wahlrecht für Ausländer findet sich – in eher vagen Formulierungen – in dem Mouvement-Papier wieder. Dass Unternehmer und Gewerkschafter sich hierüber einig sind, ist spätestens seit dem Rapport Fontagné von 2004 allgemein bekannt – und dass sich dennoch in diesem Bereich wenig bewegt hat, war vorhersehbar (woxx 775). Ob das Bekenntnis Etienne Schneiders zum Ausländerwahlrecht daran etwas ändert, wird sich zeigen.

Paradox ist auch, dass die Index-Argumentation des OGBL so ausgefeilt ist wie nie zuvor und die Wirtschaftslobby dem wenig Handfestes entgegenzusetzen hat. Doch simplistische Gegenargumente wie jenes, der Index benachteilige die unteren Lohngruppen, werden von den BürgerInnen umso leichter akzeptiert, als die Gewerkschaften als rückständig und wirtschaftich inkompetent angesehen werden.

Die Annahme der Nachhaltigkeitsforderung durch die Wirtschaftslobby ist ebenfalls mehr Schein als Sein: Beim Rentensystem sieht sie dringenden Handlungsbedarf, nicht aber beim Klima – wo es doch wirklich weltweit „5 vir 12“ ist. Auch das „nachhaltige Wachstum“ meint häufig ein Weiterwachsen, von dem man einen größeren Anteil für nachhaltige Projekte abzweigen kann. Nullwachstum-Szenarien, die zum Nachdenken über strukturelle Nachhaltigkeit zwingen würden, sind für die Anhänger einer „wirtschaftsverträglichen Nachhaltigkeit“ immer noch tabu.

Ob die Partei „Déi Gréng“ diese Unterschiede verstanden hat, ist unklar: Immerhin kandidieren auf ihren Listen zwei Mitglieder von „5 vir 12“. Der Mouvement dagegen warnt: „Jedwede wirtschaftliche Entwicklung ist in Frage gestellt, wenn die Lebensgrundlagen ge- oder zerstört und die ökologischen Grenzen des Planeten nicht respektiert werden“. Und fordert, die Parteien sollen sich zu einer klar umrissenen Definition des Begriffes Nachhaltigkeit bekennen.


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