GEPLANTER VERSCHLEISS: Die Kaputt-Garantie

Der Elektronikmarkt ist schnelllebig. iPhone 3, iPhone 4, iPhone 5 – in kurzen Abständen kommen die Nachfolge-Geräte heraus. Der Konsument soll sich natürlich immer gleich das neueste Modell anschaffen. Helfen die Hersteller dabei nach, indem sie Schwachstellen einbauen?

In vielen elektronischen Geräten steckt ein kleines Teil, das sich Elektrolytkondensator nennt, kurz Elko. Dieser Grundbaustein von  Monitoren und Netzteilen muss viel aushalten. Häufig ist er in die Nähe von wärmeabgebenden Bauteilen platziert. Die Regel lautet: Mit je 10 Grad Temperaturerhöhung halbiert sich die Lebensdauer des Kondensators. Wenn der Monitor zu flackern beginnt oder sich von selbst ausschaltet, könnte es daran liegen, dass der Elko zu viel Wärme abbekommen hat.

Steckt Kalkül hinter der ungünstigen Positionierung? Reduzieren Hersteller – auf diese oder andere Weise – die Haltbarkeit ihrer elektronischen Produkte? Den Firmen wird diese Masche  immer wieder vorgeworfen. Von geplantem Verschleiß oder geplanter „Obsoleszenz“ ist die Rede. Die Geräte würden mit Schwachstellen versehen, damit sie früher kaputtgehen – natürlich erst nach Ablauf der Garantie. Der Konsument lege sich dann, wie beabsichtigt, ein neues Gerät zu. Und die Firma streiche satte Gewinne ein.

Der zweifelhafte Ruhm, geplanten Verschleiß salonfähig gemacht zu haben, kommt einem gewissen Alfred Sloan, Präsident von General Motors, zu. Er führte in den 1920er Jahren Maßnahmen zu Reduzierung der Haltbarkeit seiner Autos ein. Damit verschaffte er General Motors einen Konkurrenzvorteil – besonders gegenüber Ford, dessen „Model T“ ein Ausbund von  Langlebigkeit war.

Kreative  Destruktivität

Was vor langer Zeit in den USA begann, beeinflusst auch die Wirtschaft von heute, sagt ein Gutachten aus Deutschland, das geplanten Verschleiß als „Massenphänomen“ bezeichnet und den Herstellern „kreative Destruktivität“ attestiert. Das Gutachten zählt typische Schwachstellen auf, die absichtlich in Geräte eingebaut werden. Etwa die Plastikfederungen hinter dem Ein-Aus-Schalter von PCs, die schnell ermüden. Oder die mangelhaft konstruierten Netzteilbuchsen, die einen Wackelkontakt verursachen.

Das Argument, haltbarere Bauteile würden die Preise in die Höhe treiben, lassen die Autoren nicht gelten: Der Unterschied mache nur Centbeträge aus. Im Gutachten steht auch, dass Reparaturen bewusst erschwert oder sogar verhindert werden, um einen Neukauf zu erzwingen, etwa durch verklebte Notebook-Gehäuse. Die Forderung aus diesen Erkenntnissen: Fehlende Reparierbarkeit muss zum Sachmangel erklärt werden.

Christian Kreiß, Professor für Ökonomie an der Hochschule Aalen und einer der Autoren des Gutachtens, beschreibt die Absicht hinter dem geplanten Verschleiß: „Die Unternehmenseigentümer, meist kapitalmarktgetriebene Großfirmen, wollen ihren Gewinn erhöhen. Dabei darf der Endverbraucher aber nicht zu stark enttäuscht werden, denn sonst würde er zur Konkurrenz abwandern. Der geplante Verschleiß muss unter der Wahrnehmungsschwelle bleiben.“

Auch fest verbaute Akkus ordnet Kreiß dem geplanten Verschleiß zu. Ist der Energiespeicher hinüber, kann er nicht ausgetauscht werden. Fest verbaute Akkus verstoßen sogar gegen europäisches Gesetz, genauer die Richtlinie 2006/66/EG. Allerdings fehlt es an einer Sanktionsmöglichkeit.

Die Einwände der Industrie hält der Ökonom für vorgeschoben. Sie bestehen vor allem in dem Argument, dass Geräte mit entnehmbaren Akkus größer und schwerer würden. Zudem könne es zum Kurzschluss „durch unsachgemäße Entnahme“ kommen. Und der „Innovationsspielraum“ der Hersteller werde behindert.

Das Gutachten rechnet vor, welche volkswirtschaftlichen Folgen die Tricksereien haben. In Deutschland gingen etwa sieben Prozent aller Ausgaben privater Haushalte auf geplanten Verschleiß zurück. Ein Verbot würde Kaufkraft in Höhe von jährlich 101 Milliarden Euro freisetzen. Zudem könnten sieben Müllverbrennungsanlagen, etwa jede zehnte, schließen. Denn 9,6 Millionen Tonnen Müll – etwa 120 Kilogramm pro Jahr und Kopf – habe allein der geplante Verschleiß zu verantworten. Drittens würde der Energieverbrauch um mindestens drei Prozent sinken. Das Energieäquivalent von 16 Großkraftwerken könnte sofort eingespart werden – ohne jeglichen Verlust an materiellem Wohlstand.

Kreiß hält den Renditedruck auf den Kapitalmärkten für den entscheidenden Auslöser von geplantem Verschleiß. Solange sich Firmen am Shareholder-Value orientieren, würden sie automatisch in die Früh-Kaputt-Strategie getrieben.

Zudem werde, wer nicht mitspielt, bestraft, er habe mit Umsatzverlusten und sinkenden Marktanteilen zu kämpfen. Es gebe jedoch einen Ausweg: Der Renditedruck müsse reduziert werden, etwa durch ein System mit umlaufgesichertem Geld, das seinen Wert verliert, wenn es gehortet wird, statt im Umlauf zu sein (siehe woxx-Interview mit Charles Eisenstein in der Nummer 1232). Dann würde auch die eigentliche Quelle des Übels versiegen: die Fixierung auf Gewinne.

Madsen Pirie, Präsident des libertären Adam Smith Instituts in London, nennt geplanten Verschleiß einen Mythos. Es liege nicht an den Produzenten, sondern an den Konsumenten. Momentan würden sie kurzlebige Produkte bevorzugen. Wollten sie langlebige, dann würden sie auch für sie bezahlen.

„I fix it“

Kreiß hält die Konsumenten zwar auch für mitverantwortlich, solange sie überwiegend auf den Preis schauen. Aber: „Sie wissen ja gar nicht, was sie kaufen. Wichtige Daten zu den Produkten werden ihnen vorenthalten.“

Hinzu komme die Werbung, die den Konsumenten desinformiere. Sie treibe den psychologischen Verschleiß zusätzlich an, erklärt Kreiß, indem sie Konsumenten dazu verleite, sich in immer kürzeren Abständen neue Geräte anzuschaffen. Mit ziemlich viel Nachdruck: Erwachsene nähmen an einem Tag etwa 3.000 Werbebotschaften wahr. Einschränkungen könnten den psychologischen Verschleiß reduzieren. Kreiß nennt einen erhöhten Mehrwertsteuersatz von 25 Prozent auf Werbeaktivitäten. Weniger Reklame hätte auch den Vorteil, dass die Produkte billiger würden.

Hinter mangelhaften Konstruktionen steckt Absicht – auch die Nutzer sehen es offenbar so. Bei einer Online-Umfrage in Österreich meinten 55 Prozent der Teilnehmer, dass der Verschleiß geplant sei. Von Einzelfällen gingen 4,1 Prozent aus. Nur 0,5 Prozent hielten die Diskussion für „maßlos übertrieben“.

Aber wer hat den Beweis? Die Hersteller dementieren oder sprechen von Phantomdebatten. Vielleicht setzt sie ein neues Gütesiegel unter Druck. HTVLife zeichnet Produkte aus, die keine Verschleißmechanismen enthalten. Die Testfirma aus Bensheim, setzt unter anderem Elektronenmikroskope und 3D-Röntgentechnik ein. Von den Herstellern verlangt sie eine eidesstattliche Erklärung.

Nutzer können sich auch Hilfe aus dem Netz holen. „I fix it“ (Ich repariere es) gibt detaillierte Anleitungen zur Reparatur von defekten Teilen. Die Macher der Seite verkünden: „Wir glauben, dass alle das Recht haben, ihre Geräte zu reparieren“. Auch ein iPhone 4 kann auseinandergenommen werden. Allerdings muss dafür erst ein Hindernis aus dem Weg geräumt werden: die berüchtigten Pentalobe-Schrauben. Sie lassen sich nur mit speziellen Schraubendrehern lösen – ohne sie bleibt das Gehäuse verschlossen. „I fix it“ hat die Lösung, schließlich gilt es, Nutzer von Apples „Hardware-Fesseln“ zu befreien. Auf der Seite wird für zehn US-Dollar ein „Liberation Kit“ angeboten. Es enthält passendes Werkzeug, mit dem man die garstigen Schrauben endgültig los wird.

 

2016/04 lm: Mittlerweile gibt es auch eine deutsche Ifixit-Seite. Der Beitrag „Geplante Obsoleszent: Schwann drüber!“ geht auf die jüngsten Entwicklungen der Diskussion über geplante Obsoleszenz ein.


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