ABSCHIED: Chris Birch Band

Eine unaufdringliche E-Mail erreichte vor mehr als einem Monat die Computerschirme der lokalen Kulturredakteure. Die „Chris Birch Band“, eine symphatische, musikalische Vereinigung von vier hiesigen Mittfünfzigern, gebe ihr Abschiedskonzert am Sonntag, 7. Juli im Rahmen des „Rock um Knuedler 2002“, verhieß die digitale Botschaft.

Fast 200 Jahre Luxemburger Rockgeschichte im Bild. Von l.n.r.: Roger Hamen, Paul Lebrun, Chris Birch und Raymond Linden.

Der letzte Waltzer

Eine eher unspektakuläre Angelegenheit möchte man meinen, denn als ich vor Tagen auf Bridel bei Roger Hamen, dem Autor der E-Mail und Schlagzeuger besagter „Chris Birch Band“, für ein Gespräch vorstellig wurde, war ich der bisweil erste Interessent.

„Et geet net nëmmen ëm de läschte Concert vun eiser Bänd. Et ass och den Ofschloss vun engem Kapitel lëtzebuerger Rockgeschicht,“ erläutert der Familienvater, Bankbeamte und Hobbymusiker Roger Hamen, als er mich in sein Arbeitszimmer im Erdgeschoss führt.

Eine Flasche Bier später …

Flashback

Der Schreibtisch im Arbeitszimmer meines Gesprächspartners ist übersät mit LP-Covern und CD-Schachteln. An der Pinnwand heften Dutzende von Schwarzweißphotos, und ich stehe ratlos vor mehreren Kapiteln Luxemburger Rockgeschichte.

Eine Langspielplatte im Karton sticht besonders hervor. Ein halbes Dutzend Hippies mit coolen Klamotten, Afrohairmatten und angeräuchertem Lächeln posieren auf der Rückseite des Longplay. Auch Roger hockt mit einer Bärenfellweste geschmückt inmitten der bunten Horde.

„Dat wor ‚Cool Breeze‘, eng Showbänd mat Ralph Siegel-Connection, déi dësen Album 1974 zu Köln an zu Bréissel opgeholl huet. Domadder wore mer d’Joer drop zu Cannes um ‚Midem‘. D’Saach huet ni richteg kommerziell ofgehuewen, well d’Bänd net professionell genuch funktionéiere konnt,“ erklärt mir der Schlagzeuger bereitwillig.

Auf dem antiquierten Gruppenphoto sind auch Monique Melsen, luxemburgisches Stimmwunder und 70’s Grand Prix-Vertreterin, sowie die lokalen Szenedinosaurier Willy Pultz, Luke Haas und Rico Winandy in jüngerer Ausführung zu erkennen.

Damals, in der Postpionierzeit der privaten Rundfunkanstalten, war unser Großherzogtum dank „Radio Luxemburg“ und seiner Frequenzen zeitweilig ein Begriff auf der europäischen Musikproduktions-Landkarte, meine ich. Roger Hamen stimmt zu.

Ich deute beliebig auf ein größeres Photo an der Wand, um das Rad der Geschichte weiter anzukurbeln. Mein Finger zeigt auf sechs Mann in Hawaïhemden. „Dat do war ‚Deepwater‘, eng däitsch Rockbänd, bei der de Mil Garofalo an ech matgemaach hunn. Dat war géint 1980, do hu mer bei Bitburg am Lokal ‚Die Kajüte‘ gastéiert. Dat war eng lëschteg Equipe.“

Auf einem weiteren, zweifarbenen Cliché haben sich hornbebrillte, Rollkragenpullover tragende Studenten in einem Proberaum versammelt.

„Dat muss esou 1970 gewiescht sinn. ‚Plasma‘ wor eng Instrumentalformatioun, déi Jazzrock gemaach huet.“

Weitere Bandnamen wie „Candy“, „The Shepherds“ und „Third Edition“ kamen mir an den Kopf geflogen, und die Kapitel breiteten sich weiter vor meinen Augen und Ohren aus.

Experiences

„Mat Lindens Raym, dem Gitarrist vun der ‚Chris Birch Band‘, sinn ech schonn zesummen an d’Spillschoul gaang zu Bouneweg. Hie wollt ëmmer Danzmusek spille goen. Mat him wor ech eng Zéit laang bei den Challengers.“

Und der Namensgeber der Band, Chris Birch himself?

Chris kam 1974 von Liverpool nach Luxemburg, wo er sich für einen Übersetzerposten auf Kirchberg beworben hatte. Das Sprachen- und Musiktalent (Chris spielt Geige, Gitarre, Cembalo, Dudelsack u.a. und er ist auch ein hervorragender Sänger) beteiligte sich sogleich aktiv am lokalen Szenegeschehen.

So schloss sich der englische Musiker dem erfolgreichen Folkensemble „Dullemajik“ an zudem war er Mitglied der progressiven Kultrockband „Angelus Novus“, die Ende der 70er Jahre unsere Musiklandschaft entscheidend prägte.

Es fehlt jetzt nur noch der Letzte im Bunde der CBB: Bassist, Songwriter und Sänger Paul Lebrun.

„De Paul ass e Phenomen. Egal op Gitarreverstärker oder Motorrad, de Paul hëllt der di Maschinn ganz auserneen an da setzt en se, Schrauf fir Schrauf, erëm zesummen.“

„Midlife Crisis“ nannte sich die Band, mit der Lebrun und Hamen jahrelang mit Altmeister Luke Haas durch die Lande rockten.

Anfang der 90er Jahre, 1991 um präzise zu sein, waren die drei Mittvierziger Birch, Linden und Hamen des vielen Wochenendtourens durch halb Europa (u.a. als Begleitband der lokalen Country-Legende Claude Weber, alias „Buffalo Wayne“) müde und gründeten mit dem vierten Mann Lebrun die „Chris Birch Band“.

The last Waltz

Gefällige Country-Rhythmen, harmonische Sounds und ein stilsicheres Programm zeichnen seit Jahren das Klangbild der CBB.

„Mir wollten ëmmer esou klénge wéi d’Eagles oder Poco. Heiansdo woren eis Prouwen endlos musikalesch Diskussiounen. Mee wann et bis gerullt ass, da goung ët ewéi vum selwen.“

Zwei Tonträger, „Finally“ und „Turn it up“, sind Dokumente ihrer Studioarbeit („Du héiers natierlech, dass dat net zu L.A. opgeholl ginn ass …“), und die Liste ihrer ‚most important gigs‘ lässt sich, nebst Auftritten in Freudenburg und Paris, wie eine detaillierte Topographie der Luxemburger Provinz studieren: Rock a Maacher, Rock am Minett, Rock am Praetzerdall, Rock in Saeul, Rock the boat, Rock an der Buerg und Rock n`Riesling sind hier verzeichnet.

Am meisten Lokalkolorit tragen vielleicht die „Fête de la truite“ auf Simmerschmelz und ein Auftritt in Pulvermühle beim „Club Canin“. Alte Hasen wie die CBB kann nichts mehr erschüttern.

„Du wärs dech wonnëren“, sagt Roger beim Abschied, „mee an all deene Jorën mat der Musek sinn ech ni enttäuscht ginn.“

Auf seinem Schreibtisch unter den vielen bunten CD-Schachteln begraben, liegt ein fünfzehnseitiges, computergetipptes Pamphlet mit Titel: „Pour une politique culturelle en faveur des musiques amplifiées“. Doch hier beginnt eine andere Geschichte.

Berny Z.

The Chris Birch Band – Farewell Concert mit vielen Special Guests findet am Sonntag, den 7. Juli um 20.20 Uhr auf der großen Bühne des „Rock um Knuedler“ statt.


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