ROT-BLAU-GRÜN: Angst vor der eigenen Courage

Das Luxemburger Wahlsystem ermöglicht zwar, seine TraumkandidatInnen zusammen zu stellen. Eine Wunsch-Koalition allerdings lässt sich, wegen der fehlenden Koalitionsaussagen der Parteien, aber nicht bestimmen.

Als die woxx im Vorfeld der Chamberwahlen des Jahres 2009 zu einem Streitgespräch zum Thema „Ist eine Regierung ohne CSV-Beteiligung möglich?“ einlud, wurde allein die Fragestellung in manchen Reihen schon als eine Art Königsmord empfunden. Mit dem Hinweis, dass ein solcher bunter Haufen mit 31 von 60 Sitzen gerade einmal über die zum Regieren nötige kleinstmögliche absolute Mehrheit verfügen würde, wurden einer solchen politischen Konstellation alle Überlebenschancen abgesprochen. Es war darum auch vor allem der LSAP-Vertreter Alex Bodry, der sich in der Debatte illusionsfrei präsentierte: Auch im Jahre 2009 komme man nicht an der CSV als Regierungspartei vorbei.

Die Skeptiker sollten Recht behalten: Im Juni 2009, also nur wenige Monate nach dem Ausbruch der Finanzkrise, errang die CSV einen historischen Sieg, der ihr 26 von 60 Sitzen im Parlament sicherte. Und die erwähnte potenzielle Dreierkoalition wäre mit 29 Sitzen gar nicht regierungsfähig gewesen. „Juncker on Tour“ und der „séchere Wee“ hatten sich als die richtige Mischung entpuppt, die eigenen Truppen, aber auch die WechselwählerInnen, für die CSV zu gewinnen. Anders als bei vorangegangenen Wahlen musste nicht nur der Koalitionspartner, sondern auch der konkurrierende „Juniorpartner“ Federn lassen. Für die DP war die Lektion besonders bitter: Mit nur mehr neun Sitzen war sie auf das Niveau der 1950er Jahre zurückgefallen.

Die CSV hatte es geschafft, sich in wenigen Monaten – nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers am
15. September 2008 und dem folgenden Ausbruch der Finanzkrise – als noch unentbehrlicher als in den Boomjahren darzustellen. Und auch der auserwählte Thronfolger, Luc Frieden, saß fester im Sattel denn je, auch falls Juncker trotz aller Versprechen doch nach Brüssel gegangen wäre. Eine Regierung ohne Beteiligung der CSV schien auf lange Zeit undenkbar.

Nehmen wir als Referenzpunkt das Jahr 1989, als die Zahl der Parlamentssitze erstmals auf 60 festgesetzt wurde: Es ist es bemerkenswert, dass es theoretisch, mit Ausnahme des Jahres 2009, immer eine Mehrheit jenseits der CSV (und der ADR) gegeben hat: 1989 und 1994 mit 34, 1999 mit 33 und 2004 wie schon erwähnt mit denkbar knappen 31 Sitzen.

Und heute? Von den Anhängern der CSV werden solche Gedankenspiele gerne als Verschwörung verunglimpft. Und auch wenn Jean-Claude Juncker im Fernsehduell mit dem LSAP-Spitzenkandidaten Etienne Schneider einräumt, dass eine solche Konstellation durchaus eine demokratische Legitimation hätte, so tut er dies nicht, ohne auf das „ungeschriebene Gesetz“ zu verweisen, wonach der Regierunsgformateur aus den Reihen der stärksten Fraktion kommt. Doch auch als die CSV 1974 den Weg in die Opposition ging, war sie, wenn auch nur knapp, stärkste Partei geblieben.

Verfolgt man die zahlreichen Kongressreden, Wahlmeetings, Debatten, Face-à-Faces und Interviews, die wegen des vorgezogenen Wahlkampfs in diesem Jahr besonders dicht aufeinander folgen, so fällt auf, dass es besonders CSV-PolitkerInnen sind, die das „Gespenst“ einer Dreierkoalition beschwören. DP und Grüne weichen der Frage immer wieder mit dem Hinweis auf den Wahlausgang und den aus ihm abzulesenden Wählerwillen aus. Womit wohl gemeint ist: Eine knappe rechnerische Mehrheit reicht nicht; erst wenn die CSV klar verliert, ist eine Regenbogenkoa-
lition denkbar.

Nur Etienne Schneider, der sich als direkter Herausforderer von Jean-Claude Juncker positioniert, entwirft bisweilen das Bild einer Regierung ohne CSV-Beteiligung. Sein Anspruch, Premierminister zu werden, hat ja nur Sinn, wenn er Spitzenkandidat der stärksten Partei in einer möglichen Koalition ist. Dass die LSAP die CSV, die 2009 genau die doppelte Zahl an Sitzen errungen hat, übertrumpfen könnte, ist ja ganz undenkbar.

Verdammt ich lieb dich …

Die LSAP, und insbesondere ihr Spitzenkandidat, befinden sich auf einer Gratwanderung, bei der es gilt, nach dem 20. Oktober alle sich bietenden Optionen offen zu lassen. Sollten die Sozialisten gestärkt aus den Wahlen hervorgehen, aber ohne dass es für eine sattelfeste Dreierkoalition reicht, müssten sie glaubhaft in die Rolle des CSV-Juniorpartners zurückfinden. Sollte die LSAP nur leicht verlieren – wie es die letzten Umfragen, die allerdings noch auf Erhebungen vor der eigentlichen politischen Krise zurückgehen, wahrscheinlich machen – so könnte es ebenfalls zu einem Fortbestehen von Schwarz-Rot kommen, da zumindest Juncker in der LSAP immer noch einen „natürlichen“ Partner sieht.

Die DP und in gewissem Sinne auch die Grünen gehen davon aus, dass sie sich hinsichtlich einer Dreierkoalition erst gar nicht zu outen brauchen: Bei den Umfragen im Frühsommer wurden für beide Parteien Stimmen- und Sitzgewinne errechnet, ein Effekt der durch die politische Krise innerhalb der CSV-LSAP Regierungsmehrheit wohl kaum in sein Gegenteil verkehrt worden sein dürfte. Sollte dann auch noch die CSV tatsächlich einbrechen und sich eine tragfähige Mehrheit zu Dritt ergeben, wäre der Weg für eine Dreierkoalition frei.

Wenn die CSV aber ihr erklärtes Ziel von „22 Plus“ erreicht, kann sich Juncker als Formateur einer neuen Regierung aussuchen, mit wem er bis 2017 den Haushalt sanieren will. Dabei könnten sich jene, die den meisten Stimmenzuwachs verbuchen können, die größten Hoffnungen machen, da auch eine CSV dem „Wählerwillen“ zumindest formal gerecht werden muss.

All das macht es den umworbenen WählerInnen sehr schwer, zu entscheiden, wie sich denn nun verhalten sollen. Anders als 1974 ist ja nicht sicher, ob eine Stimme für eine der Parteien aus dem möglichen Dreierbündnis überhaupt dazu verhilft, die CSV in die Schranken zu weisen. Zwar wird die CSV von allen drei kritisiert, doch ein „No go“ bezüglich einer Koalition mit der großen schwarzen Schwester spricht niemand aus. Die LSAP tut sich, mit Blick auf die linke Konkurrenz, schwer, zum „vote utile“ aufzurufen, da auch sie nicht versprechen kann, den Wechsel – zumindest was die politische Farbgestaltung anbelangt – herbeizuführen.

Für die DP birgt eine all zu klare Positionierung für einen Wechsel die Gefahr, die wirtschaftsliberale Stammklientel an die CSV zu verlieren. 1999, als die DP zum letzten Mal in einer nationalen Wahl Gewinne verbuchen konnte, profitierte sie vor allem vom Unmut, den die Pensionsreform bei den Staatsbediensteten ausgelöst hatte. Der (Nicht-) Spitzenkandidat Xavier Bettel steht, anders als ein Gaston Thorn 1974, aber nicht für einen Politikwechsel (siehe folgenden Artikel).

Und die Grünen? Sollte der im Frühsommer errechnete Trend anhalten, steht ihnen so oder so die Tür zu Koalitionsgesprächen offen. Ob sich daraus auch erstmals eine Regierungsbeteiligung ergibt, dürfte vor allem von der Menge der zu schluckenden Kröten abhängen. Und die wäre, in Anbetracht des durchliberalisierten Wahlprogramms der Schneider-LSAP, im Falle einer Dreierkoalition nicht unbedingt geringer als bei einem Zusammengehen mit der CSV.

Wahlkampf 1974: „Eine neue Gesellschaftsordnung.“


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