Bedingungsloses Grundeinkommen: Geld gegen Krise

Eine Lösung für die Armuts- und Systemkrise oder eine Utopie, die zur Überwindung des Systems anspornt? Das Grundeinkommen führt auch in Luxemburg zu Debatten, bei denen sich beide Aspekte vermischen.

Geld, das vom Himmel fällt? (Foto: Hans-Jörg Walter)

„Mehr Fragen als Antworten“, so lautete das Fazit der Moderatorin Caroline Mart beim Rundtischgespräch über das Grundeinkommen am vergangenen Montag. Dass die Veranstaltung auf viele Zuschauer tatsächlich eher verunsichernd als erhellend wirkte, mag glühende Anhänger des bedingungslosen Grundeinkommens enttäuscht haben. Doch das Interessante an der Debatte ist ja nicht, ob man dafür oder dagegen ist und welche technischen Schwierigkeiten einer Einführung entgegenstehen, sondern die Beschäftigung mit dem Thema an sich. Das jedenfalls meinte François Biltgen, ehemaliger CSV-Minister kurz vor der Veranstaltung gegenüber der woxx. Als Präsident des Veranstalters, „Journées sociales du Luxembourg“ sprach Biltgen auch ein paar einführende Worte – an ein größtenteils sozial fortschrittliches, katholisches Publikum, das sich erst seit kurzem für das Thema interessiert.

Verwirrend und erhellend zugleich war auch der Titel der Veranstaltung: „Bedingungsloses Grundeinkommen: Ende der Armut oder Utopie?“ Angesichts des Scheiterns der Armutsbekämpfung in den christlichen ebenso wie in den kapitalistischen Jahrhunderten muss man zum Kommunisten werden – oder man findet sich damit ab, dass das Ende der Armut nur eine Utopie ist. Doch die Gegenüberstellung ist sinnvoll, weil sie die Janusköpfigkeit des Grundeinkommens aufzeigt: Als Utopie verstanden, soll es die Menschen zum Nachdenken und zum Handeln bringen, als konkretes Projekt gemeint, verspricht es die Lösung von dringenden Problemen, wie der zunehmenden Verarmung.

Brauchen wir ein Grundeinkommen, um die jetzige Krise zu bewältigen? Jedenfalls betonen seine Befürworter seit dem Ende der „Trente Glorieuses“, der Phase des stetigen Wirtschaftswachstums der Nachkriegszeit, überwiegend diesen Aspekt. Auch der Statec-Ökonom und bekennende Christ Guy Schuller, der das Konzept am Montag vorstellte, brachte es in Verbindung mit dem „Ende der Arbeit“, das durch die immer stärkere Rationalisierung und Automatisierung herbeigeführt wird. Eine Vollbeschäftigung wie in der Nachkriegszeit sei wohl nur schwer wieder zu erreichen, so Schuller, und es seien vor allem die Jobs für unqualifizierte Arbeiter, die verschwänden. In einem Wort-Interview hatte der Ökonom seine Haltung gegenüber dem Grundeinkommen angesichts der wirtschaftlichen Krise als „offen“ bezeichnet und hinzugefügt, das Modell könne „Teil der Lösung“ sein.

Das Grundeinkommen ist keine gute Antwort, weil die Probleme der Arbeitslosen nicht in erster Linie finanzieller Natur sind, so der Bankier Schuman.

Neben dem „wohlwollenden Skeptiker“ Schuller saß auch ein Kritiker des Grundeinkommens am Tisch: Thierry Schuman, Vorstandsmitglied von BGL-BNP-Paribas. Das Grundeinkommen stelle keine gute Antwort auf die Arbeitslosigkeit dar, weil die Probleme der Arbeitslosen nicht in erster Linie finanzieller Natur seien, so der Bankier. „Sie fühlen sich ausgeschlossen, weil sie nichts zur Gesellschaft beitragen – ihnen ein Almosen zu geben, ohne Gegenleistung, ist entwürdigend.“

Interessant ist, dass weder die Befürworter noch die Gegner diesen Widerspruch zu Ende denken: Würde es gelingen, die Arbeit umzuverteilen – Arbeit für alle, aber für jeden einzelnen weniger -, so hätte man zumindest das Problem der sozialen Exklusion eleganter gelöst als mit dem Grundeinkommen. Auch auf die von Guy Schuller angesprochene Entwicklung, dass Menschen künftig häufiger den Job wechseln und zwischendurch arbeitslos sind, ließen sich andere Antworten finden als ein bedingungsloses Einkommen. Doch alternative Konzepte, wie Arbeitszeitverkürzung und bezahlte Fortbildungen, werden vor allem von den Gewerkschaften befürwortet – denen ein nicht an Lohnarbeit gebundenes Einkommen naturgemäß suspekt ist.

Doch nicht nur der linke Teil des politischen Spektrums, in dem die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens auf fruchtbaren Boden fällt, hat mit Widersprüchen zu kämpfen. Auch bei den Liberalen liegen die Positionen weit auseinander: Obwohl ein solches Einkommen dem Leistungsprinzip zu widersprechen scheint, gibt es prominente Befürworter der Idee, nämlich die Nobelpreisträger Milton Friedman und Friedrich Hayek.

Das bedingungslose Grundeinkommen ist eine sehr unselektive Sozialmaßnahme, was einen Teil ihres Charmes ausmacht.

In Luxemburg hatte zwar weder die DP noch einer ihrer Koaltionspartner die Forderung nach einem Grundeinkommen im Wahlprogramm stehen. Doch eines der Themen der Koalitionsverhandlungen ist die Reform des Sozialstaats – ein liberales Leitmotiv, das von fast allen Parteien übernommen wurde. Befürworter des Grundeinkommens versuchen hier, mit der radikalen Vereinfachung der sozialen Systeme zu punkten: In der Tat könnte man laut Guy Schuller viele undurchsichtige, mit hohem bürokratischen Aufwand verbundene Sozialleistungen abschaffen – sogar Arbeitslosengeld und Familienzulagen – und das so eingesparte Geld für die Finanzierung des Grundeinkommens nutzen. Transparenz und Effizienz – der Traum eines jeden liberalen Reformers.

Doch Thierry Schuman war nicht wirklich überzeugt: Dass seine sechsköpfige Familie zum Beispiel vom Staat 6.000 Euro zusätzlich zu dem ansehnlichen Lohn erhalte, ein arbeitsloser Single dagegen nur 1.000 Euro, sei hochgradig unselektiv. Zwar wies Schuller darauf hin, dass gegebenenfalls die Einkommenssteuer eine gewisse Selektivität herstelle, doch Schuman hat durchaus recht: Das bedingungslose Grundeinkommen ist eine sehr unselektive Sozialmaßnahme. Das macht vermutlich einen Teil des Charmes der Idee aus.

Doch so weit, dies zu bejahen, wagte sich keiner der Diskussionsteilnehmer vor, obwohl sie alle von der Fruchtbarkeit und dem intellektuellen Reiz des Grundeinkommens schwärmten. Stattdessen wurde erörtert, wie man das Modell finanzieren könnte. Schlussfolgerung: In Luxemburg gar nicht. Denn wie Robert Kieffer, Präsident der Nationalen Pensionskasse, erläuterte, die nationale Sozialpolitik muss den europäischen Kontext berücksichtigen. Zum Beispiel sei unklar, welche Auswirkungen ein Grundeinkommen für Einwohner auf die Situation der Grenzgänger habe, so Kieffer, der an die Klagen gegen die Verweigerung der Studienbeihilfen erinnerte. Eine starkes Gegenargument gegen einen luxemburgischen Alleingang – allerdings passen solche Überlegungen nicht so recht zu der Geste der Großzügigkeit, die das Grundeinkommen ja eigentlich sein soll.

Huch, Geld! Einige Menschen werfen die kleinen goldenen Münzen hoch, andere wühlen in dem riesigen Geldhaufen herum, vergraben sich darin. Von einem Kipplaster sind acht Millionen Fünfrappenstücke auf dem Berner Bundesplatz ausgeschüttet worden – ein „Fünferli“ für jede Eidgenössin, jeden Eidgenossen. Wir schreiben den 4. Oktober 2013, und die „Eidgenössische Volksinitiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen“ feiert die Zulassung des Volksbegehrens mit einem spektakulären Happening. Kein Wunder, denn einer der Initiatoren ist der deutsche Künstler Enno Schmidt, der auch den Film „Grundeinkommen – Kulturimpuls“ gedreht hat.

Zweck der „Geldberg-Performance“ ist weniger, für eine Mehrheit bei einer künftigen Volksbefragung zu werben, als die Menschen zum Nachdenken zu bewegen: „Welche Rolle spielt das Geld im Leben? Ist das Geld der Anreiz zum Arbeiten? Was würden Sie arbeiten, wenn für Ihr Einkommen gesorgt wäre? (…) Arbeitet dann niemand mehr? Oder erfolgt ein Entwicklungs- und Innovationsschub?“ Klar ist, dass für Schmidt nicht die Armutsbekämpfung im Vordergrund steht. „Der Solidaritäts- und Sozialhilfegedanke ist sogar eine Denkfalle, weil man dann neuen Wein in alte Schläuche füllt“, so der Künstler in einem Interview des Magazins „a tempo“. Manche Linken mögen am Grundeinkommen die Verwandschaft mit den Prinzipien bestimmter sozialistischer Systeme, in denen jeder eine Art Staatsbeamter ist, begrüßen, doch Schmidts Utopie klingt anders: „Jeder Einzelne ist Unternehmer seiner Biografie (…) in dem Sinne, dass er etwas unternimmt, sein Leben nach seinen Möglichkeiten aus eigener Einsicht führt.“

„Der Solidaritäts- und Sozialhilfegedanke ist sogar eine Denkfalle, weil man dann neuen Wein in alte Schläuche füllt.“ (Enno Schmidt)

Am kommenden Donnerstag wird der Künstler im Centre Neumünster seine Sicht auf das Grundeinkommen vorstellen. Disputantin ist die grüne Unternehmerin Françoise Folmer, die nach eigenen Angaben der Idee eher skeptisch gegenübersteht. Nach der Runde von Realisten der „Journées sociales“ wird es spannend sein, zu hören, wie ein im politischen Sinn liberaler Visionär das Thema angeht. Interessanterweise stimmt der deutsche Künstler mit dem amerikanischen Philosophen Charles Eisenstein (woxx 1232) darin überein, dass es wichtig ist, einfach Geld an die Menschen zu verteilen – damit sie das tun können, was sie wirklich wollen. Das unterscheidet sich deutlich von der am Montag mehrfach zu hörenden Aussage, viele Menschen seien „unverschuldet“ arbeitslos. Eine wundersame Geldvermehrung und -verteilung scheint für Katholiken, sogar für sozial fortschrittliche, nicht ohne die Bedingung auszukommen, dass die Empfänger ihrer auch würdig sind.

Mit feinem Gespür für Widersprüche versuchte Caroline Mart am Montag, bei den Befürwortern nachzubohren: „Jeder erhält ja schon jetzt ein Grundeinkommen. Aber weil es nicht bedingungslos ist, wird es als menschenunwürdig kritisiert. Was ist daran menschenunwürdig?“ Jos Freylinger, Linkskatholik und Mitglied der „Initiativ Bedingungslost Grondakommes“, entgegnete, dass die Empfänger des garantierten Mindesteinkommens (RMG) seitens der Institutionen als lebensunfähig angesehen und bevormundet würden. Der ihm gegenüber sitzende Thierry Schuman hielt dagegen, das RMG liege zu nahe am Mindestlohn, und Arbeitslosigkeit sei für viele Menschen attraktiv. So konnte Mart immerhin festhalten, das „Menschenbild“ zu ihrer Rechten unterscheide sich deutlich von dem zu ihrer Linken.

Aktionen wie die Geldberg-Performance zeigen, dass mit dem Thema Grundeinkommen eine subversive Kapitalismuskritik verbunden sein kann. Angesichts der internationalen Finanz- und Schuldenkrise, angesichts auch von Koalitionspartnern in Luxemburg, die in Haushaltsfragen vor den Finanzmärkten buckeln, ist die grundsätzliche Infragestellung der Mechanismen der Geldschöpfung und -verteilung sehr erfrischend. Am Montag hielt man sich in dieser Hinsicht leider zurück. Nur als Schuman dozierte, ein Teil der Armut erkläre sich dadurch, dass Leute nicht mit Geld umgehen können, konterte Freylinger gewitzt: „Ich kenne auch Banken, die nicht mit Geld umgehen können.“ Die Anspielung auf Schumans Bankhaus, das 2008 vom Luxemburger Staat gerettet werden musste, brachte dem Linkskatholiken tosenden Applaus ein.

Angesichts von Koalitionspartnern, die vor den Finanzmärkten buckeln, ist die Infragestellung der Geldschöpfung und -verteilung erfrischend.

Die spannenden Fragen zum Wert der Arbeit und zum Stellenwert der Lohnarbeit wurden ebenfalls nur am Rande berührt. Guy Schuller hob hervor, dass die derzeitige Lohnskala doppelt ungerecht sei: Er selbst habe einen interessanten Job für den er auch noch gut bezahlt werde, während Menschen, die beschwerliche und undankbare Arbeiten verrichten, in der Regel nur den Mindestlohn erhielten. Unklar blieb, ob das Grundeinkommen hieran etwas ändern könnte. Freylinger wies darauf hin, dass dessen Einführung es für die Unternehmer rentabler machen würde, Leute einzustellen: Das gezahlte Gehalt könnte niedriger ausfallen, und trotzdem hätten die Empfänger ein besseres Auskommen. Ein solcher „Kombilohn“ würde aber nichts Entscheidendes an der bestehenden Gehälterhierarchie ändern.

Auch das Revival des ehrenamtlichen Engagements, das durch das Grundeinkommen ermöglicht werden soll, ist nicht unumstritten. Freylinger beklagte das Verschwinden der Freiwilligen Feuerwehr in Differdingen, zu dem es gekommen sei, weil ein 40-Stunden-Job den Menschen keine Zeit für ehrenamtliche Aktivitäten lasse. Doch Schuman schlug vor, hauptberufliche Feuerwehrleute einzustellen – das sei möglicherweise effizienter und günstiger, als mit der Gießkanne Geld zu verteilen und auf Freiwilligkeit zu hoffen.

Nicht ausdiskutiert wurde die Frage, welche Aktivitäten – Feuerwehr, Erziehung, Pflege – bis zu welchem Punkt professionalisiert werden sollten. Für Charles Eisenstein sind Grundeinkommen und Freiwilligkeit wichtige Gegenmittel zur Monetisierung, bei der auch die menschlichen Beziehungen zur Ware werden. Auf der anderen Seite besteht die Gefahr, wie Caroline Mart anmerkte, dass der Staat sich aus vielen Bereichen zurückzieht und auf die individuelle Verantwortung der mit dem Grundeinkommen ja wohlversorgten Bürger verweist. Gerade in Zeiten, in denen stärkere kollektive Anstrengungen in Bereichen wie Fortbildung und Umweltschutz erforderlich sind, könnte das kontraproduktiv sein.

www.grondakommes.lu
www.grundeinkommen.ch

2016/04 lm: Im Grenzbereich zwischen Kunst und Ökonomie bewegt sich auch der deutsche Esperte Steffen Henke. Artikel im Vorfeld seines Auftritts in Luxemburg 2015 in der woxx 1322.


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