DIFFERDINGEN: Ende des Gemeischels

Die Abstimmung über einen neuen Bürgermeister und zwei Schöffen in der drittgrößten Gemeinde des Landes am Mittwoch wurde zum Fiasko. Der DP-Familienbetrieb in Differdingen scheint keinen Rückhalt mehr zu haben. Eine Quittung für Machtpolitik und Vetternwirtschaft …

Fehlstart hinter verschlossenen Türen.

Von Richard Grad und Anina Valle Thiele

Es brodelt schon seit geraumer Zeit im Kessel. „Nach dem Wechsel von Claude Meisch in die Regierung herrscht in der Differdinger DP-Sektion das blanke Chaos“, heißt es in einer Presseerklärung der LSAP Differdingen. „Intrigen und Misstrauen scheinen nach dem Rückzug von Claude Meisch die Arbeit der Demokratischen Partei zu bestimmen.“ Die Stimmabgabe im Differdinger Gemeinderat am vergangenen Mittwoch legte offen, dass die blau-grüne Koalition so gut wie am Ende ist. Die Abstimmung geriet zum regelrechten Fiasko: Die Kandidatur des als neuen Bürgermeister designierten DP-Mitglieds Jean Hoffmann wurde mit neun zu acht Stimmen abgelehnt. Aber auch die beiden DP-Politiker Marcel Meisch, Vater des neuen Bildungsministers, und Pascal Bürger erlangten keine Mehrheit, um in den Schöffenrat nachzurücken. Und während Vater Meisch, der sogar zehn Gegenstimmen einstecken musste, weiterhin versucht, die Fassade aufrecht zu erhalten, haben ihn die Geschehnisse längst eingeholt: Der Zweite Schöffe der Stadt, Jean Lorgé, warf vor einer Woche das Handtuch und versäumte nicht, über den Facebook-Account seiner Tochter den „Service Culturel“ der Stadt, der von Claude Meischs Bruder François geleitet wird, als „Differdinger Vatikan“ zu bezeichnen. Der Zweitgewählte der DP-Liste, Carlo Bernhard, der bis heute seltsamerweise noch nicht einmal einen Schöffenratsposten bekleidet, verabschiedete sich Anfang der Woche in den Urlaub und blieb damit der Abstimmung fern. Lorgés Nachfolger Arthur Wintringer ist noch nicht im Amt vereidigt. DP-Gemeinderat Michel Braquet, der einst von der LSAP zur DP gewechselt war, stimmte gegen den Bürgermeister wie die Schöffen, um danach seinen Austritt aus der DP zu verkünden. Man habe ihm vorgeschrieben, wie er abzustimmen habe, und sich nie die Mühe gemacht, ihn mit Inhalten zu überzeugen, berichtete das abtrünnige DP-Mitglied nach der Abstimmung sichtlich erleichtert der Presse.

Keine Transparenz beim Kulturhaushalt

Ob man das nun einen „Putsch“ nennen will oder nicht – die Methoden, mit denen die DP einst (2001) die Sozialisten ausbootete, um in Differdingen das Zepter zu übernehmen, scheinen nun wie ein Bumerang mit Wucht auf sie zurückzufallen und bringen die Partei ins Taumeln. Ziemlich merkwürdig wenn man bedenkt, dass Claude Meischs Wechsel ins Bildungsministerium ja nicht unverhofft und nicht von heute auf morgen geschah. Und daher verwunderlich, dass der Vorzeigeschwiegersohn in Differdingen einen regelrechten Scherbenhaufen hinterlassen hat. Naivität oder schlichter Größenwahn eines Familien-Clans, der noch immer darauf setzt, dass die Meisch-Dynastie „Triple M“ schon die Fäden in der Hand (be)halten wird. Papa Meisch wird’s schon richten! Dieser hat es nun, wo Sohnemann auf der nationalen Polit-Bühne mitmischt, am Mittwoch zumindest wieder in den Gemeinderat geschafft – mit dem Placet des Innenministers. Als Neuntgewählter der DP-Liste bei den Gemeinderatswahlen 2011 hatte er wegen des „conflit d’intérêt“ zugunsten seines Sohnes auf einen Sitz im Gemeinderat verzichtet, zog jedoch im Hintergrund (und als Parteipräsident der DP-Sektion Differdingen) weiterhin eifrig die Fäden und machte keinen Hehl daraus, dass er auch in Zukunft die Kultur unter seiner Ägide zu halten gedachte.

Zweifelhafte Ämterverteilung

Sein Sohn, François Meisch hatte in den letzten Jahren die Leitung des „service culturel“ inne und investierte das Kulturbudget der drittgrößten Gemeinde des Landes (rund 20 Millionen Euro – ein Viertel des ordentlichen Haushalts von 2013) laut kritischen Stimmen in ein Spaß-Kulturprogramm. „Strongmenrun“, „Blues-Festival“ oder „Urban-Living“ hießen die megalomanen, von Differdingen finanzierten Kulturprojekte, die als Publikumsmagnet – ähnlich wie das Spaßbad Aquasud – fürs ganze Land ausgelegt waren. Kein Wunder also, dass CSV-Mann Tom Ulveding den „Service culturel“ als „Wahlmaschine des Meisch-Klans“ bezeichnete. Keine Frage: Kulturell tut sich in Differdingen viel, doch folgen die Veranstaltungen eher einer Logik von „Brot und Spielen“ als einem niveauvollen Kulturprogramm. „Mehr Aktionismus als Konzept“, bringt es Gary Diderich, der für die Linke im Differdinger Gemeinderat sitzt, auf den Punkt. „Wir müssen die Größten, Stärksten und Besten sein, lautet die message“, meint Diderich. Das sei nicht unbedingt schlecht. Das Differdinger Kulturprogramm weise immerhin eine große Vielfalt auf. Einige Projekte wie die Kreativfabrik sind durchaus ambitioniert. Bleibt die Frage der Subventionierungen und Dienstreisen. Auf Facebook kursierten Gerüchte von einer ausschweifenden China-Reise des Differdinger Kultur-Dienstes. In einer Presseerklärung der CSV heißt es zum Rücktritt Lorgés: „Der Drittgewählte und Zweite Schöffe (J.L) ist wegen unüberwindbarer Differenzen mit Père Meisch vor einigen Tagen zurückgetreten. Nach Aussagen des zurückgetretenen Schöffen wollte nämlich Vater Meisch das Kulturressort in einer Nacht-und-Nebelaktion an sich reißen, damit dort der zweite Sohn Meischs im sogenannten „Differdinger Vatikan“ machen kann, was er will, sprich unkontrolliert Geld ausgeben“. Unlängst hat sich die Opposition zusammengetan und in einer Interpellation „Aufklärung im Fall Lorgé“ und die Einrichtung einer Kontrollkommission gefordert.

Mit Unmut betrachtet die Opposition auch die dubiose Art und Weise, mit der bei der Differdinger DP Ämter verteilt werden. So ist es verblüffend, dass weder der Zweitgewählte (bei den Kommunalwahlen 2011) der DP-Liste, Carlo Bernard, noch die an vierter Stelle Gewählte der DP-Liste, Christiane Saeul, einen Schöffenratsposten erlangten. Stattdessen wurde mit dem Arzt Jean Hoffman der Siebte der Liste als Bürgermeisterkandidat aufgestellt. Immerhin wurde Saeul, die sich von der autoritären Männerriege übergangen fühlte und der gegenüber Jean Hoffmann großspurig verkündet hatte „ne Frau wird in Differdingen keine Bürgermeisterin“ mittlerweile ein Schöffenratsposten in Aussicht gestellt. In der vor der Abstimmung veröffentlichten Presseerklärung der LSAP wird außerdem kolportiert, Meisch Senior kämpfe gerade mit Hilfe eines Anwalts um seinen Einzug in den Schöffenrat. Und die CSV erklärte „Wir, die CSV Differdingen, sind der Überzeugung, dass Differdingen keine Erbmonarchie und kein Familienbetrieb ist.“

Grüne am Ball

Nun liegt der Ball bei den Grünen. Roberto Traversini, Erster Schöffe der Stadt und Interimsbürgermeister, der am Mittwoch die Sitzung unter Tränen mit den Worten schloss: „Ich stelle fest, Differdingen hat keinen Bürgermeister“, erklärte, bereits Sondierungsgespräche mit LSAP und CSV aufgenommen zu haben, und ließ einen Tag nach dem Fiasko durchblicken, dass er als Bürgermeister zur Verfügung stehe. Die beiden Oppositionsparteien LSAP und CSV könnten gemeinsam mit den Grünen eine Mehrheit bilden. Eine solche „Kenia“-Dreierkoalition hätte derzeit eine Mehrheit von zehn Sitzen gegenüber einer arg geschwächten DP mit aktuell sieben Sitzen (da Braquets Sitz zurück an die LSAP geht) und der Linken und der KPL mit jeweils zwei Sitzen. Eine Fortsetzung von Blau-Grün scheint angesichts des autonomen Abstimmungsverhaltens des Grünen Gemeinderats Georges Liesch gegen Marcel Meisch als Schöffen eher unwahrscheinlich – obwohl die Grünen (noch) hinter ihrem aus ihrer Sicht mit einem ökologischen Stempel versehenen Koalitionsprogramm stehen. Auch Neuwahlen sind nicht ganz ausgeschlossen. Doch tickt die Uhr, denn die Verabschiedung des Haushalts 2014 war ursprünglich für kommende Woche angesetzt. Nichts kann jedoch über die Fanalwirkung hinwegtäuschen, die die Abstimmung am Mittwoch hatte: Der machiavellistische Politikstil der DP in Differdingen scheint selbst in den eigenen Reihen und der Gemeinde nicht mehr akzeptabel. Fürs erste hat es sich ausgemeischt.


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