GREENPEACE: „Papa, es geht um meine Zukunft!“

Während die Umweltbewegung auf der Suche nach neuen Bündnispartnern ist, drücken sich weltweit die Regierungen weiter um effiziente Maßnahmen zum Klimaschutz. Im Interview gibt sich Kumi Naidoo, Geschäftsführer von Greenpeace, trotzdem kämpferisch.

Kumi Naidoo ist seit 2009 internationaler Geschäftsführer der Umweltorganisation Greenpeace. Er wurde 1965 in Südafrika geboren, wo er schnell seine ersten Erfahrungen als Aktivist machen konnte. Aufgrund heftiger Repression verließ er 1989 das Land, kehrte jedoch nach Mandelas Freilassung zurück.
Bevor er zu Greenpeace wechselte, wurde er unter anderem Teil der South African National NGO Coalition, gründete CIVICUS – World Alliance for Citizen Participation mit, und war einer der Initiatoren des Global Call to Action against Poverty.

woox: Herr Naidoo, Sie waren schon als Jugendlicher in der Anti-Apartheidbewegung aktiv, wurden ein paar Mal festgenommen und beschlossen schließlich, nach London ins Exil zu gehen. Heute sind Sie internationaler Direktor von Greenpeace. Haben Sie Karriere gemacht?

Kumi Naidoo: Wissen Sie, ich bin sozusagen als junger Aktivist in Südafrika aufgewachsen, mit dem Wissen, jederzeit verschleppt, gefoltert oder getötet werden zu können. Nach dem Ende des Apartheid-Regimes entschloss ich mich, zurückzukehren und mich am Aufbau Südafrikas zu beteiligen. Für mich war es aber immer wichtig, nicht in die Politik zu gehen; ich wollte den zivilgesellschaftlichen Bewegungen treu bleiben. Das Problem war bloß: Während wir in einem Land Erfolge hatten, mussten wir woanders Rückschläge hinnehmen. Mir wurde klar: Wir brauchen eine globale Strategie. Das wurde dann zu so einer Art Lebensaufgabe. Als ich von Greenpeace angesprochen wurde, wollte ich eigentlich ablehnen. Ich war zehn Jahre lang in der Weltgeschichte unterwegs gewesen und wollte endlich nach Südafrika zurückkehren. Aber meine Tochter sagte mir, ich könnte auf keinen Fall Nein sagen. Sie sagte „Papa, es geht um meine Zukunft!“ Wenn Sie mich jetzt nach Karriere fragen, kann ich Ihnen nur sagen, dass diese ganzen Jahre in den Bewegungen eine unglaubliche Bereicherung für mich waren. Es war sehr bereichernd, all die wundervollen Menschen in der ganzen Welt zu treffen, all die Kämpfe zu führen. Aber wenn Sie unter Karriere das verstehen, was leider viele Menschen darunter verstehen … nein, ich fahre kein dickes Auto und lebe nicht in einer Villa. All das könnte die wunderbaren Erfahrungen, die ich gemacht habe, sowieso nicht ersetzen.

Sie kommen aus den sogenannten sozialen Bewegungen, haben Plattformen wie die South African National NGO Coalition oder das Global Call to Action against Poverty mitgegründet. Inwiefern unterscheidet sich die Arbeit bei Greenpeace von ihrer vorherigen Arbeit ?

(Lacht) Das ist ein riesengroßer Unterschied! Die meisten Organisationen, für die ich in der Vergangenheit gearbeitet habe, waren kleiner. Bei Greenpeace haben wir weltweit um die 4000 Mitarbeiter und bis zu einer Million Freiwillige, das ist einfach ein ganz anderer Level. Leider werden große Organisationen oft langsam und behäbig. Das ist eine der Sachen, die ich bei Greenpeace vorantreiben will: den Wandel hin zu einem Modell, bei dem Entscheidungen öfter an der Basis getroffen werden, dort, wo die Kämpfe ausgetragen werden. Aber Greenpeace ist nun mal eine große Struktur und wird nie so schnell arbeiten können wie kleinere Gruppen.

„Wenn wir von freier Marktwirtschaft reden, ist das eine Lüge. Das gegenwärtige System sorgt für globale Umweltzerstörung und hält die Menschen in Armut und Misere. Wo ist da die Freiheit?“

Greenpeace wird, vor allem in AktivistInnenkreisen, oft als hierarchische und vertikal strukturierte Organisation dargestellt. Ist eine solche Organisationsform notwendig, um auf globaler Ebene politisch etwas bewegen zu können?

(Lacht) Gute Frage … verdammt gute Frage! Es ist die Frage danach, wie man überhaupt etwas verändern kann. Wissen Sie, die Zeit läuft uns davon. Alle, nicht nur Greenpeace, müssen jetzt sehr schnell reagieren. In diesem Sinn sind vielleicht verantwortungsvolle Führungspersonen erforderlich, die schnell und klug handeln können. Trotzdem, wenn wir uns die Geschehnisse der letzten Zeit anschauen, den arabischen Widerstand, Occupy, die Indignados, die Gezi-Park-Bewegung, die Demonstrationen in Brasilien … das alles waren spontane Bewegungen, die sich über soziale Netzwerke organisiert haben. Und sie haben Geschichte geschrieben. Deswegen bin ich mir nicht sicher, ob man hierarchische Strukturen haben muss. Ich glaube, es gibt keine einheitliche Lösung für alle Situationen und alle Probleme. Aber ich werde nochmal über diese Frage nachdenken …

Herr Naidoo, ihre erste große Kampagne war der Global Call for Climate Action im Vorfeld des UN-Klimagipfels in Kopenhagen im Dezember 2009. Was war das Ziel dieser Kampagne? Und war sie ein Erfolg?

Ziel dieser Kampagne war in gewisser Weise, die Basis der globalen Klimabewegung zu verbreitern, Bündnisse mit unüblichen Akteuren einzugehen. Wissen Sie, ich glaube, die Situation erlaubt es uns nicht, in unserer jeweiligen Ecke zu verharren, also hier die Umweltbewegung, da die Menschenrechtsbewegung und dort die Bewegung für soziale Gerechtigkeit. Wir müssen unsere Kämpfe verknüpfen! In diesem Sinn war die Kampagne ein Erfolg. Aber wir haben den Kampf gegen den Klimawandel keinen entscheidenden Schritt weitergebracht. Es hat kein weitreichendes Abkommen in Bezug auf den Klimawandel gegeben.

Hat sich ihre Strategie nach Kopenhagen geändert?

Nach Kopenhagen haben wir beschlossen, weniger Energie und Aufwand in die Verhandlungen um ein Klimaabkommen zu stecken. Wir nehmen immer noch an den Verhandlungen teil, aber in geringerem Ausmaß als vorher. Wir fokussieren uns mehr auf die die lokalen und nationalen Regierungen, versuchen, sie zum Handeln zu bringen. Wir bringen Unternehmen dazu, mit uns zusammenzuarbeiten, finden konkrete Lösungen für konkrete Probleme. Das heißt aber nicht, dass wir den Vereinten Nationen den Rücken gekehrt haben. Das Problem ist bloß: Verhandlungen können nur so gut sein wie die Akteure, die an ihnen teilnehmen.

Hat sich Greenpeace in den letzten Jahren mehr in Richtung einer Lobbyorganisation entwickelt? Welchen Stellenwert hat die Lobbyarbeit für Greenpeace?

Lobbyarbeit bedeutet, diejenigen, die die Macht haben, zu etwas zu verpflichten. Demnach betreiben wir viel Lobbyarbeit. Die Schwierigkeit dabei ist ? die meiste Zeit erzählen wir diesen Leuten Sachen, die sie längst wissen. Es war in der Vergangenheit, als viele Menschen noch nicht an die Gefahr durch den Klimawandel glaubten, fast einfacher. Da konntest du noch was bewegen. Heutzutage sind sich alle einig, aber in dem Moment, in dem du den Raum verlässt, machen sie genau so weiter wie zuvor. Wissen Sie, heute kommen in den Vereinigten Staaten drei bis sieben Vollzeitlobbyisten auf jeden Kongressabgeordneten. Die vertreten dann da die Öl-, Kohle- oder Gasindustrie und sorgen schon dafür, dass sich nichts bewegt. Ich sage immer: Die USA sind die beste Demokratie, die man für Geld kaufen kann! (Lacht)

Im September vergangenen Jahres wurden 30 AktivistInnen beim Protest gegen Ölbohrungen in der Arktis von russischen Sicherheitskräften verhaftet und zwei Monate lang festgehalten. Wie konnte das passieren? Ist Greenpeace nicht auf diese Art von Repression vorbereitet?

Wir haben schon einmal genau die gleiche Aktion durchgeführt, ich habe selber daran teilgenommen. Die Küstenwache kam zwar, aber es ist nichts passiert. Bei diesem zweiten Mal sind wir näher an die Bohrungen herangefahren – aber damit befand sich unsere Aktion in angemessenem Verhältnis zu der Gefahr für die Umwelt, die diese Ölplattform darstellt. Die Reaktion der russischen Sicherheitskräfte, die mit scharfer Munition auf die Boote geschossen und unser Schiff illegalerweise beschlagnahmt haben, war dagegen völlig unverhältnismäßig. Aber ich bin froh, sagen zu können, dass alle AktivistInnen erhobenen Hauptes aus der Haft gekommen sind und gesagt haben: „Wir bereuen nichts, wir würden es wieder tun.“

Herr Naidoo, Sie sind der erste Greenpeace-Direktor, der aus der südlichen Hemisphäre kommt. Sie setzen den Fokus vermehrt auch auf den Kampf gegen die globale Armut. Was haben Armut und Umweltzerstörung miteinander zu tun?

Wissen Sie, ich glaube, die Umweltbewegung hat einen großen Fehler begangen: Sie hat zugelassen, dass man diese beiden Punkte getrennt voneinander betrachtet. Ich glaube fest daran, dass der Kampf gegen die Klimakatastrophe und der Kampf gegen Armut Hand in Hand gehen müssen. Es sind die Armen, die am meisten unter den gewaltigen Umweltproblemen leiden. Armut wiederum führt verstärkt zu Umweltzerstörung. Es gibt eine zutiefst ungerechte Ressourcenverteilung, aber ich glaube, der Schlüssel zum Erfolg ist Nachhaltigkeit auf allen Ebenen.

Würden Sie sich als Antikapitalist bezeichnen?

Ich habe eine sehr starke Abneigung gegen unser wirtschaftliches System. Wissen Sie, die Idee von Kapitalismus beinhaltet etwas … nämlich, wenn du Kapital besitzt und ein Risiko eingehst mit deinem Kapital, dann kannst du Gewinne erwirtschaften. Aber heutzutage, schauen Sie sich doch nur diese Banker an, die anderer Leute Geld verspielen. Die riskieren nicht ihr eigenes Kapital, die riskieren das Kapital der Investoren! Das ist Kasinokapitalismus, das ist eine Perversion, bei der sich selbst Adam Smith im Grabe umdrehen würde! Wenn wir von freier Marktwirtschaft reden, ist das eine Lüge. Das gegenwärtige System sorgt für globale Umweltzerstörung und hält die Menschen in Armut und Misere. Wo ist da die Freiheit? Wenn Antikapitalist sein bedeutet, gegen all das zu sein, dann sage ich mit Stolz: Ja, ich bin Antikapitalist!

Die ökonomische sowie politische Basis Ihrer Organisation bildet vor allem die weiße Mittelschicht aus den Industrienationen, deren Lebensstil für globale Umweltprobleme verantwortlich ist ? ein Widerspruch?

Das ist in der Tat ein Widerspruch. Das ist ein Widerspruch, den wir dabei sind, zu verändern. Wir gewinnen momentan sehr viele neue Mitglieder in den sogenannten Schwellenländern. Wir haben auch viele Mitglieder, die keinen Mitgliederbeitrag zahlen, weil sie sich ihn ganz einfach nicht leisten können. Aber ich lebe lieber mit diesem Widerspruch, als Geld von Regierungen oder der Wirtschaft anzunehmen!

Wenn Sie einmal Bilanz ziehen ? hat sich das Projekt Greenpeace gelohnt?

Ich will daran glauben, dass es sich gelohnt hat. Ich sehe steigende Mitgliederzahlen, ich sehe die ganzen Kampagnen, ich sehe, dass wir kleine Erfolge verbuchen können. Wir gewinnen einzelne Schlachten … aber wir sind dabei, den Krieg zu verlieren. Wir haben beachtliche Erfolge zu verbuchen, aber das reicht nicht. Die Zeit läuft uns davon, und ich habe Angst, dass wir nicht schnell genug voranschreiten.

____

Globale Probleme erfordern eine globale Strategie. Leider scheint die Liste der bestehenden globalen Probleme unendlich lang zu sein. Ungerechte Ressourcenverteilung, Verknappung von Wasser-, Nahrungs- und Energiereserven, Zerstörung der tropischen Regenwälder, Wüstenausdehnung, Hunger, Armut, Krieg – dass ein Großteil der Menschheit angesichts der Vielzahl an globalen Problemen in Resignation versinkt, mag kaum verwundern. Die Lösung ist das jedoch sicherlich nicht. Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung, Erkenntnis der erste Schritt zur Veränderung. Vielleicht wäre ja schon ein enormer Schritt in die richtige Richtung gemacht, wenn man die Sachen endlich beim Namen nennen, wenn man erkennen würde, dass all diese Probleme verschiedene Facetten eines einzigen, großen, globalen Problems sind – des Kapitalismus.


Cet article vous a plu ?
Nous offrons gratuitement nos articles avec leur regard résolument écologique, féministe et progressiste sur le monde. Sans pub ni offre premium ou paywall. Nous avons en effet la conviction que l’accès à l’information doit rester libre. Afin de pouvoir garantir qu’à l’avenir nos articles seront accessibles à quiconque s’y intéresse, nous avons besoin de votre soutien – à travers un abonnement ou un don : woxx.lu/support.

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?
Wir stellen unsere Artikel mit unserem einzigartigen, ökologischen, feministischen, gesellschaftskritischen und linkem Blick auf die Welt allen kostenlos zur Verfügung – ohne Werbung, ohne „Plus“-, „Premium“-Angebot oder eine Paywall. Denn wir sind der Meinung, dass der Zugang zu Informationen frei sein sollte. Um das auch in Zukunft gewährleisten zu können, benötigen wir Ihre Unterstützung; mit einem Abonnement oder einer Spende: woxx.lu/support.
Tagged .Speichere in deinen Favoriten diesen permalink.

Kommentare sind geschlossen.